Re: Joy Division

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nail75

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kramer
Ich wurde auf Joy Division aufmerksam, weil sie in vielen Musikbüchern, Biographien und Artikeln mit The Doors verglichen wurden, was ich für ziemlichen Schwachsinn halte, da mir, vom vorzeitigen Ableben der Sänger und Songwriter beider Bands mal abgesehen, nur wenige Gemeinsamkeiten einfallen wollen und weil ich Joy Division und Ian Curtis inzwischen als authentischer empfinde.

topsAd JD: Hatte diese abstrusen Doors-Vergleiche ganz vergessen, aber Du hast Recht: sie geisterten tatsächlich durch die Presse. Und waren weder musikalisch gerechtfertigt noch gar in Bezug auf die Texte oder den soziokulturellen Kontext. Und: unterschiedlichere Sänger/Songwriter/Galionsfiguren als Morrison und Curtis sind schwer vorstellbar.

Ich finde diese Einschätzung auch nur schwer vorstellbar. Paul Morley, der die Linernotes für „Heart & Soul“ schrieb, sah das allerdings offenbar anders. In seinem Essay erwähnt er die Doors mindestens an drei verschiedenen Stellen, wobei er äußerst vage bleibt, worin denn die Gemeinsamkeit besteht. Er schreibt:

„There was this sarcastic alternative American thing about them that they nicked in their bedrooms from The Doors, The Stooges and The Velvet Underground. – the way they used guitars as an abuse, melodies as a sign of bitter-sweet intelligence, beat to beat up beat, the way hate was as great a subject as love, the secrecy of though as sexy a subject as sex. These surly, sacrifical Americans revealed to them the edgy.“

Die anderen beiden Verweise sind fast substanzlos.

Außerdem berichtet Ian Curtis Ehefrau von einem Selbstmordversuch des 14-jährigen Ian Curtis und einem Freund. Sie sagt: „I think he wanted to be like Jim Morrison […], someone who’d got famous and died.“

Hatte Ian Curtis eine Obsession mit Jim Morrison? Weiß jemand etwas darüber? Das könnte eine Erklärung für die seltsamen Vergleiche liefern.

Joy Division klingen heute für mich als hätten sie die Verzweiflung und Orientierungslosigkeit des Englands dieser Zeit perfekt musikalisch verarbeitet. Der musikalische Soundtrack zum „winter of discontent“ sozusagen oder vielleicht besser der Soundtrack zum sich rapide beschleunigenden Abstieg Nordwest-Englands in dieser Zeit. Dazu passen die persönlichen Hintergründe der Bandmitglieder. Bernhard Sumner beschreibt beispielsweise seine Kindheit in Salford, wo er in der Nachbarschaft einer die Umwelt verpestenden Chemiefabrik lebte. Interessanterweise gab es dort ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das völlig zerstört wurde als die Leute, die dort lebten in den 1960ern umgesiedelt wurden (und nicht etwa die Fabrik) und fortan in Hochhäusern leben mussten/durften. Er sagt dazu: „The place where I used to live, where I had my happiest memories, all that had gone. All that was left was a chemical factory. I realized then that I could never go back to that happiness. So there’s this void. For me Joy Division was about the death of my community and my childhood. It was absolutely irretrievable.“

The Doors sind hingegen Exzess pur und symbolisieren die dunkle Seite des Sonnenstaates Kaliforniens. Jedenfalls für mich.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.