Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Über die Klasse der Klassik › Die Zauberflöte ein "Machwerk“? › Re: Die „Zauberflöte ein Machwerk“? Anderes?
gypsy, vorab: dieser Thread ist keine Kritik an Interpretationsvergleichen, keine an deine Herangehensweise an die Klassik. Vielmehr freue ich mich, wenn du so aktiv die Klassikseiten hier füllst.
Dein Verweis auf die Partitur ist sicher nicht falsch.
Eine Mozart-Sonate z.B. ist nun mal ein Notentext, den man sicherlich so oder so interpretieren kann, der eine „geschmackvoller“, „richtiger“, der andere „falscher“ aus der subjektiven Sicht des Hörers. Haebler geht gar nicht, Gould geht etc. Mozart selbst hat wenig Vorschriften gemacht. Dennoch ließe sich über die Musik reden, auch wenn der Notentext nicht danebenliegt, man abstrahiere von der Aufführung. (Ein Song ist eben etwas anderes als seine Umsetzung. Er wird nicht dadurch schlechter oder besser, wenn er in entsprechende Arrangements und Sounds gekleidet wird)
Wellington ist natürlich fürchterlichst, das hört man, da muss ich nicht die Partitur lesen, das ist vordergründig, banal, einmal ganz abgesehen von der inhaltlichen Seite dieses „sinfonischen Schlachtengemäldes“.
Danke auch für deine Reaktion, grünschnabel. Zum einen spricht sie natürlich das für das Forum leidige, weil schon ewig diskutierte, Thema der „Überwindung der Geschmacksgrenzen“ an. Keine Frage, darum geht es. Zum anderen erscheint es mir keineswegs eine Selbstverständlichkeit Werke im Bereich der Klassik zu hinterfragen. Dieser kritischere Ansatz mag in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben, Allgemeingut scheint er mir aber noch nicht geworden.
Und es geht ja nicht nur um kritische Abwertung von Musik, nein, auch um Aufwertung. Wie viele Werke von unbekannteren Komponisten sind nicht jahrzehntelang oder länger ungehört liegen geblieben, obwohl sie hochgradig spannend und interessant sind. Man denke an Mahler als vielleicht markantestes Beispiel, der bis in die 50er/60er Jahre kaum gespielt und beachtet wurde, dann aber einen wahren Boom erlebte.
Das gehört zur Rezeptionsgeschichte, sie ist aber nur die eine Seite der Medaille, die ich meine. Bachs musikästhetischer Ansatz unterscheidet sich elementar von jener Beethovens, Mozarts von jener Wagners usw. Es geht also auch um diese Ansätze, die sicher zeitbedingt sind, die aber auch über ihre Zeit hinausweisen, sonst würde man die Musik doch wohl nicht mehr hören. (Oder wird sie nur deshalb gehortet und gehört, weil sie kanonisiert ist? Ein Eindruck, den man manchmal nicht ganz von der Hand weisen kann.)
Beethovens Impetus, musikalisch die Welt zu erobern, den Hörer in gewisser Weise mit Tönen zu bannen, ihm kaum die Chance zu Distanz zu lassen, kann man sehr wohl als solchen hinterfragen. Bachs kristallklare Musiksprache fordert den Hörer intellektuell heraus, aber geht sie einem auch zu Herzen? usw.
Was den 4. Satz der Neunten anbelangt, so höre ich nach den eher düsteren drei Eingangssätzen eine Banalisierung der bis dahin spürbaren Problematik, aufgelöst in eine Melodie, die so primitiv ist, so inständig wiederholt bzw. vorbereitet, aufbereitet und dem Hörer in die Ohren gedrückt wird, dass er sich unwillkürlich fragen muss, woher plötzlich dieser Umschwung, warum diese Einfachheit? Dass LvB das handwerklich mit allen Tricks komponiert hat, stelle ich dabei gar nicht in Frage. Aber ist da nicht Mahlers 2. die wesentlich stimmigere Erlösungssinfonie, auch wenn man mit Religion nichts am Hut hat?
Mir geht es also in erster Linie um diese ästhetischen Ansätze, die Komponisten haben, aus denen heraus sie ihre Werke komponieren.
Dass auch Beethoven für mich Wunderbares geschrieben hat, keine Frage. Aber m.E. ist er sowohl im Fidelio gescheitert, wie ich auch die großen Sinfonien 3.,5., 9. nicht sonderlich goutieren kann. Meine liebste von ihm ist die 7. Haben die 1. oder 2. denn nicht nur deshalb überlebt, weil sie vom Titanen sind?
Doch es geht nicht nur um Beethoven. Was ist mit Werken von Tschaikowsky, Rachmaninow, Schumann, Sibelius, Strauss, Holst, Händel, Elgar, Vaughn, Ravel, Debussy, Puccini, etc… (wahllos herausgegriffen)?
Oder anders: Welche allgemein goutierten, kanonisierten Werke darf/sollte man ruhig stärker hinterfragen?
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