Re: Retromania | ist Pop tot?

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jan-lustiger

Registriert seit: 24.08.2008

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tolomoquinkolomEs geht doch auch um Methoden der Aneignung. Ist das Herumdrehen an Rubiks Zauberwürfel kreativ? Worin würdest du denn im (mehr oder weniger zufälligen) Auswählen von Samples diese kreativ schöpfende, die künstlerische Eigenbeteiligung des – meinetwegen auch geschickten – Archivars sehen? Bist du der Ansicht, dass beim Sampling Musik nicht nur zusammengetragen und neu angeordnet wird, sondern tatsächlich auch neue Musik ‘gemacht’ wird?

Natürlich wird da neue Musik gemacht. Und manchmal ist diese Musik dann kreativ und manchmal nicht. So wie es immer ist beim Musikmachen. Wie du darauf kommst, dass das Auswählen von Samples „mehr oder weniger zufällig“ sei, ist mir ein Rätsel. Das ist genauso wenig zufällig wie der Drum-Beat oder die Akkordfolge, auf die man ein Stück aufbaut. Zur kreativen Eigenleistung hat bullschuetz bereits etwas geschrieben, auf das du (bisher noch) nicht näher eingegangen bist:

bullschuetzUnd dass beim Sampeln nur „kopiert und dupliziert“ wird, ist, mit Verlaub, Stuss. Es wird verändert, gepitcht, de- und rekontextualisiert, kombiniert, geschnitten, montiert, da werden Tonhöhen und damit Klangcharakteristika verändert, Geschwindigkeiten und damit Groove-Charakteristika manipuliert, da wird aus herausgeschnittenen Schnipseln etwas völlig anderes als das, was im Ursprungszusammenhang zu hören war.

tolomoquinkolomUnd wie definierst bzw. unterscheidest du eigentlich Vintage, Retro und Zitat-Pop?

Den Begriff Zitat-Pop finde ich redundant. Auf andere Künstler Bezug zu nehmen, ist seit jeher Teil vom Pop und dazu nicht einmal ein Phänomen, das diesem eigen ist, das zeigt z.B. die Literaturgeschichte.

Über die Unterscheidung Vintage/Retro habe ich mir bis dato keine weiteren Gedanken gemacht. Ich nehme deine Frage aber mal zum Anlass, das zu tun. Der Vintage-Begriff war m.W. zuerst in erster Linie für Sammler interessant; es ist eine Faszination mit Gegenständen direkt aus der Vergangenheit. Das impliziert nicht das Bedürfnis, sie zu reproduzieren, oft sind Rekreationen sogar verpönt. Das Bedürfnis kann aber daraus entstehen. Vintage ist die Stellung der Vergangenheit im Jetzt, Retro ist der Versuch, die Vergangenheit wieder aufleben zu lässen. Vintage ist der wehmütige Blick zurück, Retro ist der Versuch zum Re-Wind. In diesem Sinne ist die Beatles-Nacheifer-Band Retro, ihre 60s-Plattensammlung Vintage.

Wie man sie auch definiert: Mit beiden Begriffen habe ich meine Probleme, weil sie einer differenzierten Wahrnehmung popkultureller Strömungen mit ihren Vereinfachungen im Wege stehen, was solche abenteuerlichen Aussagen zur Folge hat wie die, dass Sampling prinzipiell Retro sei.

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