Re: Lesefrüchte

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hal-croves
אור

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Die Meinenden

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[td]… von Bastien-Lepage, einem heute mit Recht halbvergessenen Epigonen des französischen Realismus Courbetscher Richtung, dessen abschreckende »Schnitterin« in der Luxembourg-Galerie den tiefen Endpunkt der Entwicklungslinie zeigt … diesen beklagenswerten Sudler … in seiner plattesten Manier, in seiner schmierigsten Malweise …
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[td]Auch eine kleine Skizze von Bastien- Lepage hängt in diesem Raum, eine Arbeit, aus der man nun freilich nicht ersehen kann, was für ein meisterhafter Zeichner und prachtvoller, subtiler Feinmaler dieser heute weit unterschätzte, in seinen besten Werken an die großen Altmeister hinanreichende Künstler gewesen ist.

Der eine heißt Nordau, der andere Seligmann, es könnte auch umgekehrt sein. Völlig belanglos. Zwei Hälften geben noch immer keine Persönlichkeit, oder, um im Terrain der Herren zu bleiben: zwei Zigarrenstummel machen noch keine Zigarre, zwei Kranke noch keinen Gesunden, zwei Pinsel noch keinen Maler usw. Wäre jeder der beiden Einer, so dürften sie einander getrost die Haare ausraufen, und wären beide Einer, so dürfte er nach Herzenslust seine Widersprüche bloßstellen. Was aber fängt die Öffentlichkeit mit zwei Bedienten an, die verschiedener Ansicht sind? Diese Differenzen sind in der Gesindestube auszutragen. Die Herrschaft will ordentlich bedient sein, sie will wissen, was sie von Bastien-Lepage zu halten hat, und nicht Kopfschmerzen bekommen. Schluß! Hinaus! Wird da Ruhe sein? Das wäre eine schöne Wirtschaft! Bei den Herren Nordau und Seligmann kommt es doch wirklich nicht darauf an, wie sie servieren, sondern was sie servieren. Ich lege den größten Wert darauf, zu wissen, was die beiden Herren von Bastien-Lepage halten, aber sie haben derselben Ansicht zu sein. Denn Leute, die nur eine Meinung haben, haben nur eine Meinung zu haben. Sonst haben beide Unrecht, auch wenn sie beide Recht hätten. Was dagegen im Gehirn des Publikums vorgeht, das diesen Streit mitanhört, ist rätselhaft. Vermutlich bildet sich allmählich die Vorstellung heraus, daß Bastien-Lepage, der heute mit Recht halbvergessene Epigone und meisterhafte Zeichner, ein beklagenswerter Sudler war, dessen schmierigste Manier und subtilste Malweise diesen heute weit unterschätzten, an die großen Altmeister hinanreichenden Künstler auf dem tiefen Endpunkt der Entwicklungslinie zeigt.

(Die Fackel: Nr. 339-340, 30.12.1911, S. 13)

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=