Re: Lesefrüchte

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hal-croves
אור

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Fata Morgana

Der aufreibende Dienst des Journalisten, der die siebente Großmacht und das fünfte Rad am Wagen der Weltgeschichte ist, erfordert Geistesgegenwart und die Anspannung aller Kräfte. Das wissen wir und man braucht es uns nicht erst zu sagen. Dennoch hat uns neulich ein offiziöser Winternitz einen Vortrag darüber gehalten. Unter dem anziehenden Titel »Die Presse und ihre Leute«, wobei wir sofort verstanden, daß es sich nicht so sehr um ihre, als um unsere Leute handelte. »Das Publikum sieht nicht tief hinein in das ernste Getriebe der Zeitungsmache. Es hat denn auch wohl keine Vorstellung von der immensen Arbeit, den Mühen und Anstrengungen, die hiefür aufzuwenden sind.« Aber man tut uns Lesern Unrecht. Wir spüren das täglich zweimal. Und wie oft haben wir es schon gehört: »Jeder, der in dieser Werkstatt arbeitet oder berufsmäßig in sie hineingeblickt hat, vermag Zeugnis abzulegen für die hohe Begabung, die Gedankenfülle, den Reichtum an Phantasie und Initiative jener Männer, die das Wiener Zeitungswesen zu hohem Ansehen emporgehoben haben, jener Journalisten, die zumeist anonym ….« Goldene Worte! Aber diese Märtyrer sollten wenigstens den Trost haben, daß wir um ihr Opfer wissen. Wenn wir’s auch nicht ermessen, nicht erfassen können, wir riechen, was geleistet wird. So ein Concordiaballbericht, bei dem alle da sind und alle, die da sind, genannt werden – Hut ab! Und alle, die genannt werden, sind jenen Männern, die es besorgen und selbst anonym bleiben, verständnisvolle Achtung schuldig. Und wenn der Bericht die Gedankenfülle nicht ausdrücken kann, erscheint ein Nachtrag:
… ferner war Herr kaiserlicher Rat Alexander Bergler, Apotheker aus Kolomea, mit Gemahlin anwesend.
Fragt sich nur, ob’s nicht erfunden ist. Wie sagt doch Winternitz? »Die Phantasie ist aus der Geistesarbeit der Journalisten nicht auszuschalten. Ohne Phantasie würde die Zeitung in öder Nüchternheit versanden, die Phantasie kann sich allerdings mitunter ins Erfinden verlieren.« […]

(Die Fackel: Nr. 319-320, 31.03.1911, S. 15-16)

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=