Re: Lesefrüchte

#8674853  | PERMALINK

hal-croves
אור

Registriert seit: 05.09.2012

Beiträge: 4,617

Aus: Süddeutsche Zeitung, 14.11.2014, S. 11

Männer meiden Mozart

Der Autobauer Lexus wirbt jetzt mit Klassik-Hass

Zunächst lässt sich der sportliche Bartträger am Steuer durchaus einlullen von Mozarts Musik. Beinahe schwebend gleitet das etwas bullig designte Auto durch herbstlichen Wald, die dezente Melancholie der Musik geht stufenlos über in die Bildsprache. Das Auto hält. Die Kamera schwenkt auf die Rückbank; dort spielen drei Musiker Musik von Mozart. Der Fahrer schickt sie mit einem Kopfschlenker hinaus, wie ein Türsteher einen Gast wegschickt, der keines Wortes würdig ist. Dann braust er davon, und ein krachendes Schlagzeug kündet vom neuen Image der Automarke.
Ursprünglich war das, was von Mozart in diesem Spot zu hören ist, eine der berührendsten Melodien, die er je erfunden hat. Der langsame Satz aus seinem C-Dur-Klavierkonzert lässt eigentlich auch Klassik-Verächter nicht kalt, dieses schlichte F-Dur-Dreiklangthema und der fein gesponnene Klangkosmos drumherum sind gleichsam seelisch-emotionales Weltkulturerbe. Solchermaßen zertifiziertes Kunstwerk – das gilt für die Dresdner Oper ebenso wie für den Kölner Dom – übt einen ganz besonderen Reiz aus auf Werbeleute, üblicherweise allerdings in dem Sinn, dass man damit Kunden ködert.
Aber was für sächsische Biere gerade noch so erträglich ist an gewinnbringendem Trittbrettfahren bei der Hochkultur, das nutzt die Automarke Lexus, die luxuriöse Tochter von Toyota, nun ganz neu. Wo Reklamefachwirte üblicherweise unschuldige Kunden in ihre Shopping-Hallen zerren, da unternimmt Lexus mit seinem neuen Werbespot genau das Gegenteil. Die bisherige, eher gediegene Kundschaft soll offenbar gezielt verprellt werden, um Platz zu machen für eine Art domestizierten Hooligan, der über beinahe gute Manieren verfügt und dennoch über einen überdurchschnittlichen Testosteronspiegel.
Für dieses Werbeklischee greift Lexus nach der billigsten Geschlechterpropaganda: Männer hören Rockmusik, und Mozart ist irgendwie schwul. Plötzlich durchzuckt es den Fahrer: Diese Musik passt ja gar nicht zu mir, ich muss mich mit Hardrock zudröhnen, ich brauch Fingerfood für Fäuste, ich bin ja die neue Käuferschicht – huch.

HELMUT MAURÓ

--

"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=