Re: Lesefrüchte

#8674769  | PERMALINK

hal-croves
אור

Registriert seit: 05.09.2012

Beiträge: 4,617

[…]
Der Schreibtischmensch, der eben seinen eigenen Schreibtisch hat. Sein Haus, sein Zettelkasten. In der literarischen Persönlichkeit lebt der Gedanke von der Form, und die Form vom Gedanken. In Herrn Harden vegetieren sie armselig nebeneinander, der Gedanke fristet sein Dasein von der kläglichen Gewißheit, daß ihn die Anderen nicht hatten, und die unbestreitbare Eigenart des Ausdrucks besteht von Gnaden der Indolenz, mit der die deutsche Sprache im Zeitungsdienst jegliche Notzucht zu ertragen gelernt hat. Wäre Herr Harden nicht durchaus originell, er wäre überhaupt nicht. Die tiefere Selbständigkeit, die sich’s zutraut, manchmal ja zu sagen, fehlt ihm ganz und gar, und darum kann er nur nein sagen. Weil aber die mechanische Promptheit der Negierung die Banalität des verkappten Jasagers verraten könnte, stellt sich die Sprache auf Stelzen, um sich doch über den Durchschnitt zu erheben. Aber sie unterscheidet sich nur von jenen, die auf zwei eigenen Beinen stehen. Schwulst ist Krücke. Humorlosigkeit ist immer affektiert. Witz ist kein sprachlicher Neutöner, er setzt die Sprache voraus und verträgt keine terminologische Hemmung. Temperament hat so viel zu sagen, daß es nicht Zeit hat, kalligraphische Schnörkel anzubringen. […]

(Die Fackel: Nr. 234-235, 31.10.1907, S. 9)

--

"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=