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Ignatius fühlte sich immer schlechter. Sein Magenventil war wie zugeschweißt und ließ sich auch durch ausdauerndstes Treppenhüpfen nicht mehr öffnen. Gewaltige Rülpser kämpften sich durch die verschiedenen Trakte seines Verdauungsapparats aufwärts; manche traten dröhnend ans Tageslicht, andere blieben in der Brustgegend hängen und verursachten schreckliches Sodbrennen.
Die organische Ursache für diese Beschwerden lag, das war Ignatius bewusst, im exzessiven Genuss von Paradise-Würstchen. Ebenso klar war ihm aber, dass es auch andere, subtilere Gründe gab. Da war zum Beispiel seine Mutter, die allmählich außer Rand und Band geriet mit ihrer unermüdlichen Streitlust. Gut möglich, dass sie sich einer Nazi-Splittergruppe angeschlossen hatte, in der Bösartigkeit zum guten Ton gehörte. Jedenfalls hatte sie kürzlich in der braunen Küche eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet und alles über seine politische Einstellung wissen wollen. Sonderbar. Bisher war seine Mutter ein komplett apolitischer Mensch gewesen. Wenn sie überhaupt an Wahlen teilnahm, hatte sie ihre Stimme immer nur an Kandidaten vergeben, von denen sie gehört hatte, dass sie gute Söhne und nett zu ihren Müttern seien. Vier Amtsperioden lang hatte sie treu hinter Roosevelt gestanden – aber nicht wegen des New Deal, sondern weil Franklin Delanoe seiner Mutter Sara Ehre und Respekt zollte. Später dann hatte sie ihre Stimme nicht eigentlich Harry Truman, sondern eher dessen Mutter Martha gegeben, die auf jener Fotografie so nett vor ihrem viktorianischen Haus in Independence, Missouri, stand. Mrs. Reilly hatte auch Nixon und Kennedy gewählt, aber die wichtigsten Vornamen waren für sie Hannah und Rose gewesen, nicht Richard und John. Mit mutterlosen Kandidaten konnte sie nichts anfangen, und bei mutterlosen Wahlen blieb sie zu Hause. Weshalb sie nun plötzlich dazu übergegangen war, den American Way of Life gegen ihren eigenen Sohn zu verteidigen, war Ignatius ein Rätsel.
Und dann war da auch noch Myrna, die ihm in einer Serie von Träumen erschienen war: das Ganze erinnerte ihn an jene Batman-Serie, die er als Kind im Kino gesehen hatte. In einer besonders grausigen Folge hatte er auf einer U-Bahn-Plattform gestanden als die Wiedergeburt des heiligen Jakobs des Jüngeren, der von den Juden zu Tode gemartert wurde. Myrna war durch ein Drehkreuz auf ihn zugekommen mit einem Schild, auf dem FRIEDENSMARSCH FÜR DIE SEXUELL BEDÜRFTIGEN stand, und Ignatius-Jakob hatte die Arme ausgebreitet und „Jesus ist die Vorhut der Vorhaut!“ verkündet. Dann hatte ihn Myrna höhnisch grinsend mit ihrem Schild auf die Schienen gestoßen, als gerade der nächste Zug heranraste, und in der Sekunde vor dem todbringenden Aufprall war er aufgewacht. Die Minkoff-Träume waren schlimmer als seine früheren Scenicruiser-Alpträume, in denen Ignatius auf dem Oberdeck von Geisterbussen gesessen hatte, die Brückengeländer durchschlugen und nach endlosem freiem Fall auf vollgetankten Düsenflugzeugen zerschellten, die nichtsahnend vom Hangar hinaus zur Startbahn rollten.
Nachts litt er unter seinen Träumen, tagsüber unter der Hotdog-Route, die Mr. Clyde ihm aufgezwungen hatte. Im gesamten French Quarter hatte – so schien es zumindest – kein Mensch Lust auf Hotdogs. Sein Nettolohn sank von Tag zu Tag, parallel dazu verschlechterte sich die Laune seiner Mutter. Wann und wie würde dieser Teufelskreis enden?
In der Morgenzeitung hatte Ignatius gelesen, dass eine Gruppe einheimischer Freizeit-Kunstmalerinnen ihre Werke in der Pirate’s Alley ausstellte. Da er zuversichtlich annahm, dass die Bilder schlecht genug sein würden, um ihm eine Weile Spaß zu machen, schob er seinen Karren hinüber zum Gitterzaun hinter der Kathedrale, an dem die Werke hingen. Am Bug seiner Blechwurst hatte er zu Werbezwecken ein Blatt aus einem seiner linierten Schulhefte aufgeklebt, auf dem stand: DREISSIG ZENTIMETER (30 CM) AUF DEM WEG INS PARADIES! Bisher hatte niemand auf die Botschaft reagiert.
Die Gasse war voll gutgekleideter Damen mit großen Hüten. Ignatius richtete seinen Karren auf sie und fuhr los. Eine Dame las die Nachricht auf dem linierten Blatt, schrie auf und bedeutete ihren Gefährtinnen mit heftigen Armbewegungen, sich vor dieser garstigen Erscheinung, die da ihre Ausstellung heimsuchte, in Sicherheit zu bringen.
„Wünschen die Damen einen Hotdog?“, fragte Ignatius liebenswürdig.
Die Damen musterten das Schild, den Ohrring, den Schal und den Säbel, dann ersuchten sie ihn, doch bitte seines Wegs zu gehen. Es wäre schon schlimm genug gewesen, wenn ihre Ausstellung wegen Regens ins Wasser gefallen wäre – aber das hier!
„Hotdogs! Hotdogs!“, wiederholte Ignatius, nun schon etwas gereizt. „Kosten Sie unsere Köstlichkeiten aus der blitzsauberen Küche von Paradise Vendors Incorporated!“
Die Stille, die sich darauf breitmachte, durchbrach er mit einem mächtigen Rülpser. Die Damen betrachteten aufmerksam den Flug der Wolken am Himmel und die Blumen im Gärtchen hinter der Kathedrale.
Weil das Hotdog-Verkaufen im Moment keine realistische Option war, ließ Ignatius seinen Karren stehen und walzte hinüber zum Eisengitter, an dem die Ölbilder, Pastellzeichnungen und Aquarelle hingen. Diese unterschieden sich durchaus im Grad ihrer Unbeholfenheit, aber die Motive waren praktisch identisch: Kamelien in bauchigen Glasvasen, ambitiös arrangierte Azaleenbuketts und Magnolien, die wie weiße Windmühlen aussahen. Einsam, mit finsterem Blick und in aller Ausgiebigkeit betrachtete Ignatius ein Werk nach dem anderen, und während er so das Eisengitter abschritt, scharten sich die Damen angstvoll zu einer Art Wagenburg zusammen. Weit abseits vom Geschehen stand einsam der Hotdog-Karren.
„Großer Gott!“, brüllte Ignatius, nachdem er die Ausstellung zweimal abgeschritten hatte. „Wie können Sie es nur wagen, solche Scheußlichkeiten öffentlich herzuzeigen?“
„Bitte gehen Sie weiter, Sir“, sagte eine der Damen mutig.
„So sieht doch keine Magnolie aus.“ Ignatius deutete mit seinem Plastiksäbel auf die fragliche Pastellzeichnung. „Sie brauchen Nachhilfe in Botanik. Vielleicht auch in Geometrie.“
„Niemand zwingt Sie, unsere Bilder anzuschauen“, sagte eine beleidigte Stimme – vermutlich die Künstlerin, welche die inkriminierte Pastellmagnolie gemalt hatte.
„Oh doch!“, schrie Ignatius. „Jemand muss Ihnen sagen, was für Verbrechen auf Leinwand Sie begehen. Gütiger Himmel! Wer von Ihnen hat diese Kamelie zu verantworten? Sie soll vortreten. Das Wasser in dieser Vase sieht aus wie Motorenöl.“
„Lassen Sie uns in Frieden!“, rief eine schrille Stimme.
„Sie sollten Ihre Teekränzchen mal eine Weile aussetzen und zeichnen lernen!“, donnerte Ignatius. „Zuallererst müssen Sie lernen, wie man einen Pinsel in der Hand hält. Ich würde vorschlagen, dass Sie sich alle zusammentun und als erste Übung jemandem das Haus neu streichen.“
„Verschwinden Sie!“
„Wenn man ‚Künstlerinnen‘ wie Sie auf die Sixtinische Kapelle losgelassen hätte, würde diese jetzt aussehen wie eine Bahnhofshalle in Nevada.“
„Wir müssen uns doch hier nicht von einem Hotdog-Verkäufer beleidigen lassen“, sagte würdevoll eine Dame, die einen besonders großen Hut trug.
„Haben Sie etwas gegen Hotdog-Verkäufer?“, brüllte Ignatius. „Leute wie Sie sind es, die den guten Ruf meines Berufsstands untergraben!“
„Der Kerl spinnt.“
„Wie vulgär er ist.“
„Und primitiv.“
„Wir wollen ihn nicht noch provozieren.“
„Ihre Anwesenheit ist hier nicht erwünscht“, sagte die Dame mit dem besonders großen Hut.
„Das glaub ich gern!“, schnaubte Ignatius. „Das gefällt Ihnen natürlich nicht, dass einer mit Realitätssinn Ihnen sagt, was für einen Mist Sie hier öffentlich herzeigen.“
„Bitte gehen Sie jetzt.“
„Das tu ich, keine Sorge.“ Ignatius fasste die Griffstange seines Karrens und schob ihn an. „Aber Sie alle sollten die Menschheit für das, was hier an diesem Zaun hängt, auf Knien um Vergebung bitten.“
Ignatius watschelte davon und die Damen schauten ihm erleichtert hinterher. „Dass so was frei rumlaufen darf“, seufzte die Dame mit dem besonders großen Hut. „Mit dieser Stadt geht’s wirklich bergab.“
Es überraschte Ignatius dann doch, als ihn ein kleiner Stein am Hinterkopf traf. Wütend schob er seinen Karren zum Ende der Gasse und parkte ihn in einen schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern, wo er außer Sicht war. Seine Füße schmerzten, er musste sich ausruhen. Während der Pause wollte er nicht von Fremden um einen Hotdog angegangen werden. Auch wenn die Geschäfte schlecht liefen, musste der Mensch doch auch mal an sich und an seine Gesundheit denken. Schließlich konnte Mr. Clyde nicht von ihm verlangen, dass er sich die Füße blutig lief.
Die Seitentreppe zur Kathedrale, auf der Ignatius sich niederließ, erwies sich als ziemlich unbequem. Überhaupt war ihm in letzter Zeit, da er erheblich an Gewicht zugenommen hatte und wegen seines verschlossenen Magenventils an Blähungen litt, jede Körperhaltung mit Ausnahme des Stehens und Liegens unangenehm. Er zog die Stiefel aus und unterzog seine großen Füße einer eingehenden Inspektion.
„Meine Güte, was ist denn das?“, rief jemand hoch über ihm. „Da komme ich her und will mir die furchtbare Ausstellung anschauen, und was sehe ich als erstes? Den Geist von Kapitän Lafitte! Nein, es ist Fatty Arbuckle. Oder Marie Dressler? Sagen Sie’s mir, ich sterbe vor Neugier.“
Ignatius schaute zu der Stimme hinauf. Es war der junge Mann, der seiner Mutter im Night of Joy den Hut abgekauft hatte.
„Hau ab, du Lackaffe. Wo ist der Hut meiner Mutter?“
„Ach, der …“, seufzte der junge Mann. „Ich fürchte, der ist bei einem wirklich wüsten nächtlichen Beisammensein kaputtgegangen. Wir hatten alle viel Spaß damit.“
„Das kann ich mir vorstellen. Die Frage nach den näheren Umständen erspare ich mir.“
„Ich wäre auch nicht in der Lage, darüber Auskunft zu geben. Zu viele Martinis in meinem hübschen Köpfchen.“
„Grundgütiger!“
„Aber sagen Sie, was um Himmels willen treiben Sie hier in dieser bizarren Verkleidung? Sie sehen ja aus wie Charles Laughton, der sich für eine Transvestitenschau als Zigeunerkönigin verkleidet hat. Was soll denn das darstellen? Ich bin wirklich neugierig.“
„Hau ab, du Schnösel.“ Ignatius ließ einen derart gewaltigen Rülpser fahren, dass sein Echo von den Hausmauern widerhallte und am anderen Ende der Gasse die Damen mit den großen Hüten sich nochmal nach ihm umdrehten. Hasserfüllt musterte er das lohfarbene Samtjackett des jungen Burschen, den violetten Kaschmirpullover und die blonde Tolle, die ihm keck ins glatte Gesicht fiel. „Schleich dich, bevor ich dich zu Boden schlage.“
„Du liebes bisschen.“ Der junge Mann kicherte, dass sein Samtjackett bebte. „Sie sind komplett verrückt, habe ich recht?“
„Wie kannst du es wagen!“ Ignatius löste die Sicherheitsnadel seines Plastiksäbels und schlug nach den Waden des jungen Burschen. Dieser wich kichernd, tänzelnd und Pirouetten drehend aus, und als er außer Reichweite auf der anderen Straßenseite angelangt war, warf Ignatius ihm einen seiner elefantengroßen Wildlederstiefel hinterher.
„Oh“, quiekte der junge Mann. Er hob den Stiefel auf, warf ihn zurück und traf Ignatius mitten ins Gesicht.
„Mein Gott!“, schrie Ignatius. „Ich bin für immer entstellt.“
„Ach was.“
„Ich zeig dich wegen Körperverletzung an.“
„Ich an Ihrer Stelle würde einen großen Bogen um jede Polizeiwache machen. Was würden die wohl sagen, wenn Sie mit Ihrem Supergirl-Outfit antanzen und behaupten, ich hätte Sie angegriffen? Da wollen wir doch realistisch bleiben. Ich find’s schon verwunderlich, dass Sie in Ihrem Wahrsagerinnenkostüm frei rumlaufen dürfen.“ Der junge Mann klappte sein Feuerzeug auf und zündete sich eine Salem an. „Und dann noch barfuß und mit diesem Spielzeugschwert. Soll das eigentlich ein Scherz sein?“
„Die Polizei wird mir aufs Wort glauben.“
„Na gut, versuchen Sie’s.“
„Du kommst für Jahre hinter Gitter.“
„Sie sind wirklich komplett durchgedreht.“
„Das muss ich mir nicht länger anhören“, sagte Ignatius, während er seinen Stiefel wieder anzog.
„Dieser Gesichtsausdruck, hihi!“, jubelte der junge Mann. „Wie Bette Davis mit Magenverstimmung.“
„Sprich nicht mehr zu mir, du Missgeburt. Geh spielen mit deinen süßen kleinen Freunden. Von denen gibt’s jede Menge hier im French Quarter.“
„Wie geht’s eigentlich Ihrer reizenden Frau Mama?“
„Ich dulde nicht, dass du den Namen dieser Heiligen in deinen schmutzigen Mund nimmst.“
„Da es nun aber schon passiert ist, geht es ihr gut? So eine natürliche, nette und unverdorbene Frau. Sie sind wirklich ein Glückskind.“
„Mit dir rede ich nicht über meine Mutter.“
„Wie Sie wollen. Ich hoffe nur, dass die arme Frau nicht weiß, dass Sie hier als ungarische Jungfrau von Orléans durch die Gegend rennen. Ich glaube, der Ohrring macht’s. Der ist ausgesprochen ungarisch.“
„Kauf dir selbst so ein Kostüm, wenn es dir gefällt, aber lass mich jetzt in Ruhe“, sagte Ignatius.
„So was kann man doch nirgends kaufen. Zu schade, das wäre der Knüller auf jeder Party.“
„Ich kann mir gut vorstellen, was für apokalyptische Szenen sich auf deinen Partys abspielen. Das habe ich schon vor langer Zeit vorausgesagt, dass unsere Gesellschaft mal so enden wird. Nur wenige Jahre noch, dann werden Leute wie du die Macht in diesem Land übernehmen.“
„Genau das haben wir vor“, sagte der junge Mann mit einem strahlenden Lächeln. „Wir haben Verbindungen in allerhöchste Kreise. Sie würden staunen.“
„Nein, das würde ich nicht. Hroswitha hätte das schon längst prophezeien können.“
„Wer ist denn Hroswitha?“
„Eine Nonne und Seherin aus dem Mittelalter. Sie leitet mich durch mein Leben.“
„Sie sind ja wirklich unglaublich. Und dicker geworden sind Sie auch seit dem letzten Mal, das hätte man nicht für möglich gehalten. Ich frage mich nur, wo das alles enden soll. Ihre Fettleibigkeit hat etwas Protziges, finden Sie nicht?“
Ignatius erhob sich und stieß dem jungen Mann seinen Plastiksäbel in den Kaschmirpullover. „Nimm das, du Wüstling!“ Die Spitze des Säbels brach ab und fiel zu Boden.
„He, was soll das!“, kreischte der junge Mann. „Sie machen mir ja ein Loch in den Pulli, Sie dicker Spinner.“
Am anderen Ende der Gasse nahmen die Damen mit den breiten Hüten ihre Bilder vom Zaun und klappten die Gartenstühle zusammen wie Beduinen, die ihr Lager abbrechen. Für dieses Jahr war ihnen die traditionelle Freiluftausstellung verdorben.
„Ich bin der Rächer von Anstand und gutem Geschmack!“, schrie Ignatius. Als er den Pullover mit seinem Säbelstumpf zerfetzte, traten die Damen den Rückzug in die Royal Street an. Ein paar Nachzüglerinnen rafften panisch die letzten Magnolien und Kamelien zusammen.
„Das war mein schönster Pulli! Mit Freaks wie Ihnen sollte man sich besser nicht einlassen.“
„Du Hure!“, kreischte Ignatius und fuhr dem jungen Mann mit dem Säbel ein weiteres Mal über die Brust.
Der junge Mann wollte davonlaufen, aber Ignatius hielt ihn mit seiner freien Hand am Arm fest. Da hakte er einen Finger in Ignatius‘ Ohrring, zog diesen nach unten und keuchte: „Lassen Sie den Säbel fallen!“
„O Gott!“ Ignatius ließ den Säbel fallen. „Jetzt ist mein Ohr kaputt.“
Der junge Mann gab den Ohrring frei.
„Du dummer Junge, jetzt hast du’s geschafft!“, wimmerte Ignatius. „Du wirst für den Rest deines Lebens im Zuchthaus verrotten.“
„Schauen Sie sich meinen Pulli an, Sie ekelhaftes Monster.“
„Eine solche Abscheulichkeit kann nur ein farbenblinder Brüllaffe anziehen. Hast du denn gar keine Scham im Leib?“
„Sie schrecklicher Mensch. Sie dickes Ding.“
„Bis mein Ohr wiederhergestellt ist, werde ich mich wahrscheinlich einer mehrjährigen Behandlung in der Hals-, Nasen-, Ohrenklinik unterziehen müssen“, sagte Ignatius und fummelte an seinem Ohr herum. „An deiner Stelle würde ich mich darauf gefasst machen, dass du monatlich ziemlich gesalzene Rechnungen bekommst. Morgen früh werden meine Anwälte bei dir vorsprechen, wo immer du deiner zweifelhaften Tätigkeit nachgehen magst. Meine Anwälte sind Stützen der Gesellschaft, musst du wissen, kreolische Aristokraten und Gelehrte, die Allerbesten auf ihrem Gebiet. Wenn sie überhaupt eine Schwäche haben, dann höchstens die, dass sie mit den niedrigeren Formen menschlichen Lebens nicht recht vertraut sind. Ich werde sie vorwarnen, dass sie sich bei dir auf alles gefasst machen müssen. Wenn ich es recht bedenke, werden sie sich womöglich weigern, mit dir Kontakt aufzunehmen, und stattdessen einen ihrer Juniorpartner schicken.“
„Sie widerliches Rindvieh.“
„Wenn du dir allerdings diese unangenehme Begegnung mit meinen juristischen Geistesgrößen ersparen willst, lass ich vielleicht über einen Vergleich mit mir reden. Fünf oder sechs Dollar wären, so scheint mir, angemessen.“
„Mein Pulli hat vierzig Dollar gekostet“, sagte der junge Mann und tastete die Spuren ab, die der Säbel darauf hinterlassen hatte. „Sind Sie bereit, für den Schaden aufzukommen?“
„Natürlich nicht. Ich lasse mich nie auf Streit mit Sozialhilfeempfängern ein.“
„Ich könnte Sie ohne weiteres verklagen.“
„Vielleicht sollten wir beide von gerichtlichen Schritten Abstand nehmen. Ein so feierlicher Anlass wie eine Gerichtsverhandlung würde dir nur in den Kopf steigen, du würdest im Abendkleid und Diadem aufkreuzen und den betagten Richter zu bezirzen versuchen. Und am Ende würden wir womöglich beide schuldig gesprochen.“
„Sie Scheusal.“
„Warum läufst du nicht los und nimmst an einer jener zweifelhaften Vergnügungen teil, die dir und deinesgleichen solchen Spaß machen?“ Ignatius rülpste. „Dort unten in der Chartres Street habe ich vorhin einen Matrosen gesehen, der ziemlich einsam aussah.“
Der junge Mann spähte zur Chartres Street am Ende der Gasse hinunter. „Ach der. Das ist nur Timmy.“
„Timmy?“, fragte Ignatius aufgebracht. „Kennst du den?“
„Natürlich“, sagte der junge Mann höchst gelangweilt. „Ein lieber, alter Freund von mir. Aber alles andere als ein Matrose.“
„Was?“, brüllte Ignatius. „Willst du damit sagen, dass er das Ehrenkleid der amerikanischen Kriegsmarine zu Unrecht trägt?“
„Manchmal trägt er auch was anderes.“
„Das sind erschütternde Neuigkeiten.“ Ignatius runzelte die Stirn, dass der rote Seidenschal über seine Jagdmütze bis zu den Augenbrauen hinunterrutschte. „Das bedeutet, dass jeder Soldat oder Matrose, dem man auf der Straße begegnet, ein verrückter Perversling sein kann. Mein Gott, womöglich ist das Teil einer allumfassenden Verschwörung. Ich hab schon immer geahnt, dass so was eines Tages geschehen könnte. Wahrscheinlich stehen die Vereinigten Staaten von Amerika ohne jede Verteidigung da!“
Der junge Mann und der Matrose winkten einander freundschaftlich zu. Dann verschwand der Matrose hinter der Kathedrale. Einige Schritte hinter ihm folgte Wachmann Mancuso in Kunstmalerverkleidung mit Barett und Ziegenbärtchen.
„Oh!“, jubelte der junge Mann. „Schauen Sie nur, das ist dieser köstliche Polizist. Haben die auf der Wache noch immer nicht begriffen, dass den im French Quarter jeder kennt?“
„Du kennst ihn auch?“, fragte Ignatius misstrauisch. „Der Mann ist extrem gefährlich!“
„‚Ach, den kennt hier jeder. Gottseidank ist er wieder da, wir haben uns schon Sorgen gemacht. Wir lieben ihn alle! Ich kann es jedes Mal kaum erwarten, dass er wieder mit einem neuen Kostüm daherkommt. Sie hätten ihn vor ein paar Wochen sehen sollen, bevor er verschwunden ist – als Cowboy war er Spitze!“ Der junge Mann schüttelte sich vor Lachen. „Er konnte kaum gehen in seinen Stiefeln, dauernd sind ihm die Knöchel umgeknickt. Einmal hat er mich angehalten, als ich in der Chartres Street mit dem Hut Ihrer Mama eine kleine Show abzog. Ein anderes Mal ist er mir mit Hornbrille und Sweater in der Dumaine Street hinterhergelaufen und hat behauptet, er sei Student in Princeton. Er ist einfach fabelhaft! Ich bin so froh, dass die Polizei ihn wieder hierherversetzt hat, wo man seine Qualitäten wirklich zu schätzen weiß. Überall sonst wäre er am falschen Ort. Und erst sein Akzent! Manche mögen ihn am liebsten, wenn er einen englischen Touristen spielt. Na ja, die Geschmäcker sind verschieden. Ich selber ziehe seinen Südstaatenoberst vor, aber das ist Geschmackssache, wie gesagt. Zweimal haben wir ihn übrigens wegen unsittlichen Benehmens angezeigt, so was bringt die Polizei immer herrlich durcheinander. Ich hoffe nur, dass man ihn nicht zu sehr in die Mangel genommen hat, denn wir haben ihn hier wirklich ins Herz geschlossen.“
„Der Mann ist durch und durch böse“, bemerkte Ignatius. „Aber ich würde doch zu gern wissen, wie viele unserer angeblichen ‚Militärs‘ nur verkleidete Stricher sind wie dein Freund da.“
„Wer weiß? Von mir aus alle.“
„Andererseits könnte es sich auch um einen weltweiten Tuntenkomplott zur Unterwanderung der Streitkräfte handeln, dann wäre der nächste Krieg nichts weiter als eine einzige große Schwulenparty. Meine Güte. Wie viele Generäle auf dieser Welt sind nur geisteskranke alte Sodomiten, die ihre persönliche Kostümphantasie ausleben? Vielleicht ist das ja ein Segen für unsere alte Mutter Erde. Gut möglich, dass dies das Ende aller Kriege bedeutet. Was meinst du, ob wir den Schlüssel zum ewigen Frieden in Händen halten?“
„Warum nicht?“, sagte der junge Mann versöhnlich. „Frieden um jeden Preis.“
In diesem Augenblick berührten sich zwei Nervenenden in Ignatius‘ Hirn, worauf sich in seinem Geist zwei Bilder verbanden. Sein Instinkt sagte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war. Jetzt würde er der Minkoff-Mieze so richtig zeigen, welches Potential in Ignatius J. Reilly steckte.
„Ich könnte mir vorstellen“, sagte er zum jungen Mann, „dass die machtbesessenen Fürsten dieser Welt nicht schlecht staunen würden, wenn sich ihre Offiziere und Soldaten als verkleidete Sodomiten herausstellen würden, die nichts Eiligeres zu tun haben, als sich mit den sodomistischen Armeen anderer Länder zu vereinigen, orgiastische Feste zu feiern und ein paar neue Tanzschritte zu lernen.“
„Wäre das nicht wunderbar? Und die Regierung würde unsere Reisekosten übernehmen. Göttlich. Die Schlächterei hätte ein Ende. Glaube, Liebe und Hoffnung würden die Welt regieren.“
„Vielleicht bist du die große Hoffnung für die Zukunft der Menschheit.“ Ignatius klatschte dramatisch in die Hände. „Es ist ja sonst nichts Vielversprechendes in Sicht.“
„Auch das Problem der Bevölkerungsexplosion würden wir lösen.“
„Wahrhaftig.“ Das blaue und das gelbe Auge blitzten. „Deine Methode wär wahrscheinlich ebenso effizient wie meine äußerst restriktive Methode der Geburtenkontrolle, die ich bisher propagiert habe. Ich werde darauf in meinen Schriften eingehen müssen, das Thema verdient eine gründliche Vertiefung aus kulturhistorischer und kulturkritischer Sicht. Ich bin dir für diesen wertvollen Hinweis sehr zu Dank verpflichtet.“
„Ach, was ist das heute für ein lustiger Tag! Sie sind eine Zigeunerbraut, Timmy ist Matrose, und unser fabelhafter Polizist ist ein Künstler.“ Der junge Mann seufzte. „Es ist wie Mardi Gras, und ich bin nicht dabei. Ich laufe jetzt nach Hause und verkleide mich.“
„Einen Augenblick noch“, sagte Ignatius. Diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen.
„Ich werde Stöckelschuhe anziehen, heute fühle ich mich wie Ruby Keeler.“ Dann fing der junge Mann an zu singen: „You go home and get your scanties, I’ll go home and get my panties, and away we’ll go. Oh-ho-ho. Off we’re gonna shuffle, shuffle off to Buffalo-ho-ho …“
„Hör sofort auf mit dieser widerlichen Vorstellung!“, befahl Ignatius. Es war an der Zeit, dass er dem Burschen Disziplin beibrachte.
Der junge Mann tanzte auf leisen Sohlen um Ignatius herum. „Ruby war sooo süß! Ich schaue mir jeden Film von ihr an, der im Fernsehen kommt. And for just a silver quarter, we can tipp the pullman porter, turn the lights down low, oh-ho-ho, off we’re gonna shuffle, shuffle, off to …“
„Jetzt hör auf rumzuhopsen, wir wollen mal eine Sekunde ernst sein.“
„Moi? Hopsen? Was wünschst du dir denn von mir, schöne Zigeunerin?
„Habt ihr jemals daran gedacht, eine Partei zu gründen und einen Kandidaten aufzustellen?“
„Politik? O heilige Jungfrau von Orléans, so was Langweiliges.“
„Das ist sehr wichtig!“ Ignatius würde Myrna Minkoff schon zeigen, wie man Sex und Politik auf einen Nenner bringt. „Der Gedanke ist zwar noch neu und gewöhnungsbedürftig, aber es könnte tatsächlich sein, dass du und deine Freunde den Schlüssel zur Zukunft in Händen haltet.“
„Und was soll daraus werden, Eleanor Roosevelt?“
„Ihr müsst eine Partei gründen. Eine Strategie entwickeln.“
„Oh, bitte“, erwiderte der junge Mann. „Solches Männergerede macht mich ganz schwach im Kopf.“
„Wir sind hier im Begriff, die Welt zu retten!“, tönte Ignatius wie ein Volkstribun. „Herr im Himmel, wieso bin ich da nicht schon früher drauf gekommen?“
„Gespräche dieser Art deprimieren mich mehr, als Sie sich jemals werden vorstellen können“, sagte der junge Mann. „Allmählich erinnern Sie mich an meinen Vater, und etwas Deprimierenderes gibt es nicht.“ Der junge Mann seufzte. „Ich muss jetzt los, es ist Zeit zum Umziehen.“
„Nein!“ Ignatius hielt ihn am Kragen seiner Samtjacke fest.
„O mein Gott, was für eine Aufregung!“, stöhnte der junge Mann und fasste sich an die Kehle. „Ich brauche jetzt dringend eine Tablette, sonst kippe ich aus den Schuhen.“
„Wir müssen uns sofort organisieren.“
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr Sie mich deprimieren.“
„Wir müssen eine Gründungsversammlung durchführen, um unsere Kampagne zu starten.“
„Das wäre dann aber eine Party, oder?“
„Irgendwie schon. Aber wir müssen unsere Botschaft rüberbringen.“
„Das könnte sogar Spaß machen. In letzter Zeit waren die Partys hier nämlich ganz furchtbar öde.“
„Das wird aber keine Party, du Arsch!“
„Verstehe, wir machen Ernst. Alles sehr, sehr ernst.“
„Genau. Jetzt hör mir zu. Ich werde ein Grundsatzreferat halten, das unsere Parteigänger ideologisch auf den richtigen Weg führt. Ich habe einige Erfahrung mit politischen Veranstaltungen.“
„Herrlich. Und Sie müssen unbedingt dieses phantastische Kostüm tragen“, quietschte der junge Mann und hielt sich vor Aufregung die Hand vor den Mund. „Damit sind Sie der Mittelpunkt der Party, das verspreche ich. Ach, das wird ein Spaß!“
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte Ignatius streng. „Der Jüngste Tag steht vor der Tür.“
„Wir machen’s nächste Woche bei mir zu Hause.“
„Dazu brauchen wir rotes, weißes und blaues Krepppapier“, gab Ignatius zu bedenken. „Das ist bei politischen Veranstaltungen üblich.“
„Ich werde das Zeug ballenweise besorgen und denke mir eine schöne Dekoration aus. Dann rufe ich ein paar von meinen besten Freunden an, dass sie mir helfen.“
„Ja, mach das!“ Ignatius war begeistert. „Die Organisation muss auf jeder Ebene ansetzen.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so nett sein kannst. Damals in dieser schrecklichen, schmutzigen Bar warst du so gemein zu mir.“
„Ich bin ein Mensch mit vielen Gesichtern.“
„Und ein erstaunlicher Mensch“, sagte der junge Mann und musterte Ignatius von oben bis unten. „Dass man dich frei herumlaufen lässt … irgendwie imponierst du mir.“
„Verbindlichen Dank“, sagte Ignatius und schaute geschmeichelt beiseite. „Die meisten kleineren Geister sind nicht in der Lage, meine Weltsicht zu erfassen.“
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“
„Ich ahne, dass sich unter deiner weibisch-vulgären Fassade doch eine Art Seele verbirgt. Hast du je Boethius gelesen?“
„Wen? Meine Güte, nein. Ich lese noch nicht mal Zeitung.“
„Dann müssen wir dir sofort ein Leseprogramm zusammenstellen, damit du die Krise unserer Epoche verstehen lernst“, teilte ihm Ignatius feierlich mit. „Wir fangen mit den späten Römern an, vor allem natürlich Boethius. Danach musst du dich möglichst gründlich mit dem Mittelalter befassen. Renaissance und Aufklärung lassen wir aus, das ist nur gefährliche Propaganda. Wenn ich es recht bedenke, solltest du auch die Klassik und die Romantik auslassen. Zum Verständnis der Gegenwart solltest du ein paar ausgewählte Comics studieren.“
„Ach, wie aufregend.“
„Besonders ans Herz legen würde ich dir Batman, weil er gewissermaßen die korrupte Zivilisation, in die er geraten ist, hinter sich lässt. Er ist ein streng moralischer Mensch. Ich respektiere Batman sehr.“
„Oh, da kommt Timmy wieder“, sagte der junge Mann. Tatsächlich überquerte der Matrose die Chartres Street in entgegengesetzter Richtung. „Immer dieselbe Strecke, hin und zurück, hin und zurück. Das muss dem doch irgendwann verleiden. Schau, er trägt noch immer seine Sommeruniform, dabei ist es Winter. Und dann wundert er sich, wenn die Sittenpolizei ihn erwischt. Ein bisschen blöd ist er ja schon, der gute Timmy.“
„Jedenfalls macht er ein Gesicht, als ob er Sorgen hätte. O mein Gott, schau nur!“, rief Ignatius, als ein paar Schritte hinter dem Matrosen der Kunstmaler mit Barett und Ziegenbärtchen wieder auftauchte. „Diese Lachnummer von einem Gesetzeshüter mischt sich wieder ein, der wird uns noch alles vermasseln. Lauf schnell und hol deinen falschen Matrosen von der Straße, bevor ein Unglück geschieht. Wenn die Marine ihn enttarnt, fliegt unsere ganze Strategie auf. Na los, bring ihn in Sicherheit, bevor der teuflischste Politcoup in der Geschichte der westlichen Zivilisation Schiffbruch erleidet.“
„Oh ja!“, quietschte der junge Mann und klatschte begeistert in die Hände. „Timmy fällt glatt in Ohnmacht, wenn ich ihm sage, was er beinahe angestellt hätte.“
„Aber vergiss die Vorbereitungen zum Parteitag nicht“, ermahnte ihn Ignatius.
„Ich werde schuften bis zum Umfallen“, sagte der junge Mann. „Wir machen Bezirksversammlungen, Wahllisten, Programme, Ausschüsse … so um acht legen wir los, ja? Ich wohne in der St. Peter Street, in dem gelben Stuckhaus gleich an der Ecke zur Royal Street. Du kannst es nicht verfehlen. Hier ist meine Karte.“
„Grundgütiger!“, murmelte Ignatius, als er die nüchterne kleine Karte las. „Dein Name ist tatsächlich Dorian Greene?“
„Aber ja, ist das nicht lustig? Wenn ich dir meinen wirklichen Namen nenne, sprichst du kein Wort mehr mit mir, so sterbenslangweilig ist er. Ich bin auf einer Weizenfarm in Nebraska zur Welt gekommen. Da kannst du dir ja vorstellen, wie ich heiße.“
„Wie auch immer – mein Name ist Ignatius J. Reilly.“
„Das geht ja noch. Ich hätte gedacht, du heißt Horace oder Humphrey oder so. Also, bitte enttäusch mich nicht, bereite deine Rede gut vor. Wir werden ein volles Haus haben, das garantiere ich dir. In letzter Zeit war hier alles so furchtbar langweilig, da werden sich die Leute um eine Einladung reißen. Ruf mich an, dann machen wir ein Datum aus.“
„Du musst aber allen klarmachen, wie wichtig diese historische Zusammenkunft ist“, sagte Ignatius. „Wir bilden hier die Kerngruppe, Luftikusse können wir nicht gebrauchen.“
„Ein paar Kostümierte werden wahrscheinlich schon auch kommen“, gab Dorian Greene zu bedenken. „Das ist ja gerade das Schöne an New Orleans, dass man Mardi Gras das ganze Jahr über haben kann. Im French Quarter geht’s oft zu wie auf einem Maskenball, ich selber kann Freund und Feind manchmal nicht mehr unterscheiden. Aber wenn du wirklich keine Kostüme dabeihaben willst, gebe ich eben allen Bescheid, obwohl ihnen das einen kleinen Stich in ihre Herzchen geben wird. Es ist schon so lange her, seit wir eine wirklich gute Party hatten.“
„Gegen ein paar geschmackvolle, dezente Masken hätte ich durchaus nichts einzuwenden“, sagte Ignatius nach einigem Nachdenken. „Sie könnten sogar zum internationalen Flair unserer Versammlung beitragen. Ich habe festgestellt, dass Politiker sehr gern irgendwelchen Deppen in Trachten oder Federschmuck die Hand schütteln, da wär’s vielleicht doch gut, wenn wir zwei oder drei Kostüme dabeihätten. Aber bitte keine Damenimitatoren, mit denen wollen Politiker nicht gesehen werden. Sie erwecken Misstrauen bei der ländlichen Wählerschaft.“
„So, jetzt muss ich mir aber diesen dummen Timmy schnappen. Den erschrecke ich zu Tode!“
„Nimm dich in Acht vor diesem Satan von einem Polizisten. Wenn der von unserer Sache Wind bekommt, ist alles verloren.“
„Wir könnten auf der Wache anrufen und ihn verhaften lassen, weil er mich belästigt hat. Obwohl’s ein bisschen schade wäre, wo er doch erst grad wieder aufgetaucht ist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein herrlich dummes Gesicht der jedes Mal macht, wenn der Einsatzwagen vorfährt und ihn mitnimmt. Und erst die anderen Polizisten! Es ist unbezahlbar. Ich bin so froh, dass er wieder da ist. Eine Weile werden jetzt alle nett sein zu ihm, da bin ich sicher. Bis dann, Zigeunerfürstin.“
Dorian hüpfte die Gasse hinunter, seinem Matrosen hinterher. Ignatius schaute zur Royal Street hinauf und stellte fest, dass die Damen mit den großen Hüten verschwunden waren. Er kehrte zum Durchgang zurück, in dem er seinen Karren abgestellt hatte, bereitete sich einen Hotdog zu und betete, dass ihn in seinem Versteck vor der Abenddämmerung doch noch ein Kunde entdecken möge. Dass er so tief sinken würde, dass er um Kundschaft für seinen Hotdog-Stand beten würde, hätte er nie für möglich gehalten. Fortuna hatte ihm übel mitgespielt, sein Glücksrad war auf dem Tiefpunkt angelangt. Aber dann fiel ihm ein, dass er nun immerhin eine echte Wunderwaffe gegen Myrna Minkoff in Anschlag gebracht hatte; der Gedanke an die Gründungsversammlung stimmte ihn wieder heiter. Diesmal würde er die Göre zur Hölle schicken.
(aus: John Kennedy Toole, Die Verschwörung der Idioten. [OT: A Confederacy of Dunces.] Neu übersetzt von Alex Capus)
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=