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Rout bei Neumanns.
Im goldenen Prag, dem »Schmockkästchen der Monarchie«, ist auch allerlei Schnurriges zu lesen. Im ‚Prager Tagblatt‘ zum Beispiel ein Feuilleton unter dem Titel »Rout bei Neumanns«. Von dieser sinnigen Einrichtung, die der geschäftskundige Direktor des deutschen Landestheaters, Herr Angelo Neumann, eingeführt hat, war hier schon einmal die Rede: die Abfütterung der Journalisten ist eine so gründliche, daß sie es für ein ganzes Jahr satt bekommen, die Theaterwirtschaft des schlauen Händlers mit kritischen Augen zu betrachten. Schon über das Fressen selbst werden Reconnaissance-Feuilletons geschrieben. Die Frau Buska, Heroine, Salondame, erste Liebhaberin, Naive und Direktorsgattin, erreicht es wenigstens einmal im Jahr, »bezaubernd« zu sein. Wenn Journalisten essen, so essen sie immer – wie unappetitlich! – mit dem Messer der Kritik und wischen sich mit Zeitungspapier den Mund ab. Und immer dieselbe Fröhlichkeit, mit der die Absichten des Gastgebers quittiert werden, mag nun Herr Krupp in Berndorf, Herr Philipp Haas in Wien oder Herr Neumann in Prag sich gute Nachrede zu sichern wünschen. Als ob diese culinarische Beeinflußung der öffentlichen Meinung – zumal wenn auch Zigarren in beliebiger Auswahl zur Verfügung stehen – etwas Selbstverständliches, Normales und vom Standpunkt einer unparteiischen Presse zu Billigendes wäre. Der Prager Feuilletongourmand sagt von Herrn Neumann unumwunden: »Er sieht einen Kritiker durstig in der Ecke stehen; aber statt ihn mit einem Löffel Wasser zu vergiften, bietet er die Biere des Landes oder die Weine der Fremde in Überfluß an.« Es muß ja recht nett zugegangen sein: »Das reiche Buffet«, meldet der dankbare Gast, »bricht nicht nur unter der Last der Gerichte, sondern mehr noch unter der Last derjenigen, die sich darauf stürzen«. Der Anblick all der schönen Leckerbissen läßt ihn den Mund spitzen, und niedlich schreibt er: »Es ist uns gelungen, ein kleines Tischchen zu besetzen und Paula Conrad-Schlenther zu Tischchen zu führen«. Aber warum sagt das Schmöckchen »uns«? Bei der Erteilung kritischer Zensurnoten mag man sich majestätisch fühlen: man schreibt doch Gottseidank anonym und hält schützend die Macht der Zeitung vor sein dürftiges Ich. Aber man frißt doch nicht anonym? Man verzehrt doch eigenhändig all die guten Sachen, die die bezaubernde Frau Buska aufgetischt hat? Nein, der Kritiker kann von dem Plural nicht lassen, auch wenn er die armen Theaterleute, die bei solcher Gelegenheit eines ganzen Jahres Sünden abbüßen, schwitzend um sein leibliches Wohl bemüht sieht. In Prag scheint nämlich »das Theatervölkchen« auf der tiefsten Stufe der Demütigung vor der Presse angelangt zu sein: »Unsere ersten Schauspielkräfte mühen sich, uns ein reiches Souper aus zahllosen Hin- und Hergängen zu verschaffen.« Ich habe in meinem ganzen, an Erfahrungen vom Wesen der Presse reichen Leben einen Satz von ähnlicher Verworfenheit nicht gelesen. Der Stolz eines Schmocks, dem Schauspieler Kellnerdienste leisten müssen, und die höhnische Generosität, die statt Trinkgelder Kalauer verabreicht, vereinigen sich zum Eindruck einer Gesinnungsniedrigkeit, die selbst mich abgehärtetsten Leser verblüfft hat. Aber zur Verhöhnung der Rolle, in welche die Diener der Kunst gezwungen sind, tritt verdientermaßen die Geringschätzung des gastfreien Direktors, der sie ihnen, einer verwöhnten Kritik zu Gefallen, aufgezwungen hat. »Man würde es gar nicht glauben«, ulkt unser Feinschmecker, nachdem er sich bei Neumanns breit gemacht hat, »daß in eine solche Privatwohnung mehr Menschen hineingehen, als tatsächlich Platz haben.« Ja, gibt’s denn so viele Theaterkritiker in Prag? Ach nein, »die ganze Presse«, erzählt er, »sämtliche Rubriken vom Leitartikel bis zur Geschäftszeitung« waren ja vertreten. Und wenn man dazu bedenkt, daß jedes Ich in dieser Gesellschaft eigentlich ein »Wir« ist und nicht bloß sich, sondern gleich »uns« anpampfen will, so wird es begreiflich, daß Buffet und Wohnung sich als zu klein erwiesen.
Viele, aber nur zum Schein
Kamen zu den Fresserei’n,
Gingen zum Buffet direkt,
Nahmen sich, was ihnen schmeckt,
Gratulierten nicht einmal
Und verließen das Lokal.
Der Unterschied zwischen der gesamten übrigen Publizistik und mir wird wieder einmal offenbar: Wir fressen, und ich übergebe mich …
(Die Fackel: Nr. 162, 19.05.1904, S. 22-23)
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=