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Die Fackel
NR. 80 WIEN, MITTE JUNI 1901 III. JAHR
Der Streit, der lange genug zwischen »Hier« und »Zde« gewüthet hat, ist neulich zum Bürgerkriege zwischen »Heil« und »Slava« emporgelodert. Die Officiösen des Herrn v. Koerber wollen in ihm freilich nur den harmlosen Wetteifer der geeinigten Nationen erkennen. Aber die Frage bleibt offen, auf welches Programm sie sich denn mit einemmale »geeinigt« haben sollten. Auf den schönen Bibelspruch: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet«? Der tröstet nur einen Theil. Ja, wenn sich die Freude der Tschechen über die gegebenen Sprachenverordnungen und der Jubel der Deutschen über die genommenen zeitlich vereinen ließen! Aber so haben Heil und Slava immer ihres besondern Anlasses bedurft. Nur der Respect vor der Person eines greisen Monarchen ließ sie neulich einmal zusammentönen. Beide Nationen lauschten in dynastischer Ergebenheit der Rede des Kaisers und zählten fiebernd das Mehr an Worten, das er der andern gab. Abgeordnete und Journalisten, die ewigen Schürer des Zwistes, standen dabei und controlierten, in welcher Sprache die Einladungen zur Soirée des Fürsten Lobkowitz abgefasst waren, in welchen Farben die Fahnen auf einem studentischen Vereinshause prangten und in welcher Kleidung der Bürgermeister von Prag bei Hofe erschien. Als Friedensengel schritt Herr Sectionsrath Sieghart einher …
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Wie immer man das politische Resultat der Kaiserreise werten mag: die Repräsentanten beider Volksstämme haben in jenen Tagen an Tactlosigkeit und Vordringlichkeit ihr Möglichstes geleistet. Um des lieben nationalen Friedens willen hat Herr Koerber dem Monarchen, der für jeden Vereinsmeier und Speichellecker deutscher und tschechischer Zunge ein freundliches Wort haben sollte, denn doch zuviel zugemuthet. Es ist keine kleine Leistung, all den loyal verbrämten Gereiztheiten nationaler Bezirkspolitiker standzuhalten, und die Herrschaften haben mit der Versicherung unverbrüchlicher Treue jedesmal auch noch den ergebenen Wunsch nach einer neuen Brücke oder nach einem neuen Kreisgerichtsgebäude zu verbinden gewusst. Herr Funke versprach als Gegenleistung, dass das deutsche Volk den kaiserlichen Wunsch nach der nationalen Verständigung »unter strenger Festhaltung seiner Stellung und seiner nationalen Rechte« erfüllen werde, und überraschte den Kaiser mit der Meldung, dass heute der Namenstag seiner Frau sei. Diese wieder glaubte dem Monarchen eine besondere Freude mit der Enthüllung zu machen, dass ihr Vater bei Custozza gekämpft habe. »Umso besser«, versetzte der Kaiser, der den Eifer der Leute mit wohlwollender Ironie zu betrachten schien. Auch in der Antwort an einen Prager Advocaten kam sie zum Ausdruck. Als dieser, wie die ‚Neue Freie Presse‘ meldet, »erwähnte, dass die schwierigen Verhältnisse des Advocatenstandes insbesondere in der großen Anzahl von Advocaten ihre Ursache haben, erwiderte der Monarch mit den tröstenden Worten, es werde schon besser werden«. Bedauerlich ist, dass man gewisse abgetakelte Leute nicht vom Kaiser fernzuhalten gewusst hat. Wer die Schilderung der Elbefahrt las, musste rein glauben, der Kaiser sei zum Besuche des Herrn Russ nach Böhmen gereist. Dass man Herrn Petschek vorführte, hatte dagegen seinen guten Grund. Es sollte ja die Einigkeit der beiden Nationen demonstriert werden; und worin wären Deutsche und Tschechen heute schon so einig wie in der Missachtung der Kohlenwucherer?
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Herr Bacher ist auf Ferien gegangen und hat sein ganzes Nationalbewusstsein Herrn Benedikt zurückgelassen. Aber der Börsenwöchner findet sich rasch in das Fach, das er als ein noch ungeübter Deutschböhme übernommen hat. Am 18. Juni schrieb die ‚Neue Freie Presse‘: »In dem Spalier hatten sich auch drei tschechische Vereine aufgestellt, die sich sehr vordrängten, als der Kaiser vorüberschritt. Statthaltereirath Czerny nannte dem Monarchen die Namen der versammelten Vereine. Der Kaiser schritt an den Slava rufenden tschechischen Vereinen vorbei, ohne sie anzusprechen. Der Besuch galt heute den Deutschen allein.« So spricht nationales Kraftbewusstsein, das auf nationale Verständigung keine Rücksicht nimmt. Nur im Leitartikel vom 16. hat sich der Börsenwöchner einmal vergaloppiert. Dort schrieb er, der tschechische Bürgermeister sei von dem Gedanken gequält, dass »dieses hässliche Ungethüm mit den zwei Schweifen den Frieden in Prag bedrohe«. Aber Herr Srb hat sich natürlich nicht vor dem tschechischen Löwen, sondern nur vor dem deutschen Frack gefürchtet, in dem er zur Hoftafel erscheinen sollte.
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An den Kaiserworten, die in Böhmen gesprochen wurden, war wenig zu verdienen. Die Zeitungsleute, die schon darauf gelauert hatten, welcher Firma Erzeugnisse der Kaiser diesmal loben würde, erlebten herbe Enttäuschungen. Endlich sagte der Kaiser: »Die Virginier ist die vernünftigste Cigarre.« Aber wir haben ja das Tabakmonopol …
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=