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»Von heute an ist Gustav Klimt ein berühmter Mann«, verkündete der Kunstfasler eines Wiener Blattes Sonntag den 25. März seinen Lesern. Da Herr Klimt in Makarts Fußstapfen trat, erregte er Aufmerksamkeit, da er Khnopff’sche Köpfe malte, Verwunderung; und als er uns zuerst als Pointillist kam und auch als solcher mit Ehren bestand, sahen wir in dem geschickten Stil-Eklektiker so recht den Repräsentanten einer Verfallszeit wahrer Kunst, die statt Individualitäten nur mehr interessante Individuen hervorbringt. Jüngere Künstler, deren kräftiger Persönlichkeit die Ausdrucksmittel häufig versagen, mochten in Klimt den Meister des Handwerks schätzen und, je unfertiger sie waren, desto leichter überschätzen. Der Kunstliebhaber, der nicht die Mache erlernen, sondern Schöpfungen genießen will, blieb kalt. Aber seit einer Woche ist Gustav Klimt berühmt; das Publicum beschäftigt und befreundet sich, wie Herr Hevesi richtig vorausgesagt hat, mit seinem letzten Werk; Farbenblinde preisen seine Malkunst und alle, die mit dem Wort Philosophie keinen Begriff verbinden, den Tiefsinn seiner allegorischen Darstellung.
Aber die Leute können es nicht glauben – die Kritiker am allerwenigsten –, dass ein Klimt originell sein könne. Wer so wenig eigenes Innenleben hat, kann auch kein eigenes Schicksal haben. So muss denn offenbar bei Klimt der Fall Stuck-Lieber sich wiederholen. Es muss so sein. Die Professoren, die gegen die Anbringung der Klimt’schen Philosophie in der Universitätsaula protestieren, sind natürlich anmaßende Laien und müssen von Kritikern zurechtgewiesen werden, die nach Ueberwindung aller Hindernisse, die sich in zwei Gymnasial- oder drei Realschulclassen aufthürmen, in das Wesen von Malkunst und Philosophie eingedrungen sind. Der österreichische Freisinn aber hat jetzt Gelegenheit zu zeigen, dass er gegen lex Heinze-Experimente mit nicht minderm Mannesmuth sich wehren könne, als der in den Seelen aller Philister von Berlin und München lebt.
Ich brauche hier von Klimts Malkunst, wie sie sich in seiner jüngsten Arbeit offenbart, nicht zu sprechen. Ich will auch davon nicht reden, dass der Mäcen, dessen Haus ein Bild zu schmücken bestimmt ist, also in diesem Falle die Universität, wohl das Recht haben muss, ein Werk abzulehnen. Auch auf das Geschwätz von den »ethischen Gründen«, die unsere Universitätsprofessoren geleitet hätten, brauche ich nicht einzugehen; der Heinze-Rummel hat die Einbildungskraft unserer Freiheitskulis arg beeinflußt. Dass beispielsweise Herr Jodl kein clericaler Rückwärtsler ist, weiß man außerhalb der liberalen Wiener Zeitungsredactionen in ganz Oesterreich und wohl auch darüber hinaus, und nur freche Tagschreiber leugnen, dass sich unter den Protestlern Männer von anerkanntem Geschmack und Kunstgefühl befinden. Aber wie steht’s denn mit Klimts allegorischer Darstellung der Philosophie, die unseren Professoren so völlig missfällt? Nun, die »kosmische Phantasie«, die darin nach Herrn Hevesi schaltet, ist ja eigentlich nicht die Phantasie des Herrn Klimt, sondern, wie alles in Oesterreich, ein schlechtes Compromiss.
Der ursprüngliche Entwurf Klimts zeigte, wie man mir mittheilt, einen nackten Jüngling, der in tiefem Nachdenken dastand; die langen Haare fielen ihm über das Gesicht und verbargen so die heiße Röthe, die dem unreifen Knaben beim Anblick zweier Figuren, die oben auf dem Bilde in liebender Umschlingung ruhten, in die Wangen geschossen sein mochte. Und weiter erzählt man mir, der jetzige Rector der Universität habe, als der Entwurf der Commission vorgelegt wurde, erklärt, das sei »nicht die Philosophie, sondern ein Junge, der vorzeitig darüber nachdenkt, woher die Kinder kommen«. Herr Klimt sah ein, dass seine Allegorie misslungen sei, besprach sich mit Leuten, denen er in seiner Naivetät Verständnis für Philosophie zutraute, und schuf das Bild, das jetzt im Secessionstempelchen zu sehen ist. Als ich am ersten Tage – anfangs ohne Katalog – vor dieses Bild trat, spottete ich der Leute, die da mit offenem Munde standen und nicht begriffen, was es bedeute.
Mir war’s im ersten Augenblick klar. Der immer actuelle Klimt hatte eine Allegorie auf die österreichische Sprachenfrage gemalt. Geschlechter werden und vergehen, hoffnungsvoll kommen die Jungen, und trostlos fahren die Greise zur Gruft: aber unergründet, ungelöst ruht in dem grünen Nebel unklarer Volksstimmungen, Wünsche, Herrschbegierden das Räthsel der Sprachenfrage. Aber siehe da – ein Hoffnungsschimmer. Leuchtend taucht unten das Haupt der Koerber’schen Versöhnung auf, ein seltsam Antlitz – wie ein Notenkopf ohne Stil – mit einem fragenden Blick, als sollte nach berühmtem Muster die Antwort, die wir von seinen Lippen lesen wollen, selbst eine Frage sein ….
Ich irrte. Herr Klimt hat die Philosophie allegorisieren wollen. Aber leider hat er von ihr noch dunklere Vorstellungen als von der Jurisprudenz, die er ja auch malen soll. Wie er sich gegenwärtig die Jurisprudenz denkt, weiß ich nicht. Der Entwurf, den er seinerzeit der Commission vorlegte, zeigte eine Themis, deren umgekehrtes Schwert mit der Spitze auf einem todten Drachen stand. Von der Seite sah ein Mann neugierig in das Bild herein, durch eine Thüre, wenn ich mich recht erinnere. Man hatte damals Mühe, Herrn Klimt begreiflich zu machen, dass die Themis die Rechtsausübung bedeute und in den Gerichtssaal gehöre, dass es sich jedoch an der Universität um die Rechtserforschung handle. Wer aber der Mann sei, der da hereinschaut, das hätte niemand in der Commission ergründen können, wenn nicht Herr Klimt allen Ernstes betheuert hätte, das sei – die österreichische Verfassung.
Der Maler möge bei der Darstellung der Jurisprudenz und Medicin rechtzeitig seine Gedanken von Männern überprüfen lassen, die ihn besser als jene berathen können, an die er sich diesmal gewendet hat. Und seine Philosophie könnte ja, wenn er nur den Titel ändern will, noch anderweitige Verwendung finden. An die Decke der Aula gehört sie schon deshalb nicht, weil Herr Klimt sich nicht dem Matsch’schen Entwurf des Mittelbildes anbequemt hat. Als man aber auf Matsch‘ Vorschlag, anstatt dem zuerst in Aussicht genommenen Goltz, Herrn Klimt die Ausführung dreier Bilder übertrug, ward ihm dazu der ausdrückliche Auftrag gegeben. Und dann; wie sein Auge eine Wiese mit Hühnern nach dem Regen sieht, das hat er sehr geschickt wiederzugeben gewusst, und viele wird’s interessieren. Aber wen interessiert’s, wie Herr Klimt sich die Philosophie vorstellt? Ein unphilosophischer Künstler mag wohl die Philosophie malen; allegorisieren muss er sie so, wie sie sich in den philosophischen Köpfen seiner Zeit malt.
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Als Bringer der Kunst schätze ich unsere Secessionisten hoch, wenn es nicht ihre eigene Kunst ist, die sie bringen. Wenn freilich an Stelle der geschäftlichen Nebenabsichten die offen bekannte geschäftliche Absicht träte, wenn ein verständiger Kunsthändler Jahr für Jahr das Beste, was die große Kunst des Auslands geschaffen, in Ausstellungen uns vorführte, wäre das den Secessionsausstellungen entschieden vorzuziehen. Aber auch hier bewundern wir die John W. Alexander, Ludwig v. Hoffmann, Greiffenhagen, Khnopff, Cottet, Van der Stappen und Andere. Dagegen kann ich nicht einmal in das Lob einstimmen, das unseren heimischen Künstlern so überreich für das Ausstellungsarrangement gezollt wird. Die studierte Einfachheit der Saaldecoration, die diesmal Adolf Böhm und Auchentaller ausgeführt haben, ist ein nicht ganz gelungener Protest gegen das Arrangement der letzten Ausstellung des Aquarellistenclubs. Was soll man aber vollends von der Thätigkeit der Hängecommission in der VII. Secessionsausstellung sagen? Wie man die Arbeiten Van der Stappens zwischen die Bilder Cottets und Slevogts Triptychon gestellt hat, das ist ein Muster dafür, wie Ausstellungen nicht arrangiert sein sollen. Die Beispiele lassen sich vervielfachen. Aber die heimischen Künstler mögen sich selbst ihrer Haut wehren. Der Behauptung des Herrn Hevesi: »So gehängt zu werden ist ein künstlerischer Genuss«, werden sie ja schwerlich zustimmen. Eher dürften sie schmerzlich an das Sprichwort: Mitgefangen, mitgehangen! denken. So kommen auch gute Leistungen nicht zu rechter Wirkung. Von österreichischer Kunst gibt ja die Secession überhaupt kein richtiges Bild. Was sich da breit macht, sind – mit wenigen Ausnahmen – nicht die jungen Kunsttriebe, die auch bei uns sich regen, sondern die Johannistriebe einiger älterer Herren, die eine coquette Jugendlichkeit zur Schau tragen. Aber wenn auch ein Herr Moll modern thut, ein Moderner wird er darum doch nicht. Ist’s nicht so recht bezeichnend für den alten Anekdoten- und Anekdötchengeist, dass der kühne Neuerer ein Intérieur aus der Hofbibliothek »Der Bücherwurm« nennt? Wenn man eine neue Technik erlernt, wird man darum noch kein andrer; man verzichtet nur auf den Ausdruck einer Individualität, um die es nicht schade ist.
(Die Fackel: Nr. 36, Ende März 1900, S. 16-20)
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=