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»Im Stadtpark«, verkündigte die ‚Neue Freie Presse‘ an dem Abende des 25. d.M. ihren Lesern, »ist heute Vormittag das Denkmal des im October 1896 verstorbenen Tondichters Anton Bruckner enthüllt worden«. Als ich diese Notiz las, fand ich es begreiflich, dass ein Blatt, dessen Musikreferent zwanzig Jahre lang das Wirken des größten österreichischen Tondichters unserer Zeit den Lesern verschwiegen hat, es nöthig erachtet, im Localbericht mitzutheilen, wer Anton Bruckner war. Eine kunstkritische Notiz des Herrn Servaes im Morgenblatt vom nächsten Tage hat mich indes eines Besseren belehrt. Es handelte sich nicht um die Aufklärung schlechtinformierter Leser. Die Localnotiz, die von Bruckner wie von einem Unbekannten gesprochen hatte, war vielmehr der Ausdruck des Hasses, der gegen die Größe Bruckners in der ‚Neuen Freien Presse‘ herrscht, wo Hanslicks ästhetischer Geschmack offenbar als Hausgesetz gilt. Denn auch Herr Servaes fand sich bewogen, den Abgeschmacktheiten, die er über das Denkmal vorzubringen wusste, eine ruppige Bemerkung über Bruckner beizufügen. Man habe, meint er, wohl darum so viel Eile gehabt, jenes Denkmal zu errichten, weil eine spätere Generation vielleicht – vergessen könnte. Herr Servaes mag unbesorgt sein. Man wird des Schöpfers der erhabensten Symphonien, die seit Beethoven erklungen sind, des Weckers tiefster religiöser Inbrunst noch lange gedenken, wenn Tilgners seichte und kleinliche Charakterisierungskunst, die dem Kunstkritiker der ‚Neuen Freien Presse‘ so sehr imponiert, längst niemandem mehr Respect einflößen wird. Eines aber mag Herr Servaes bei diesem Anlasse bedenken: Wenn zwei dasselbe thun, ist es nicht dasselbe. Wenn Hanslick Bruckner gehasst hat, die tiefe Wirkung seiner Musik nicht zu fassen vermochte, so kann man begreifen und bedauern, dass das Verständnis eines feingeistigen Kritikers, der doch in ein reiches Kunstgebiet, das unserer classischen und romantischen Musik, tief wie wenige eingedrungen ist, auch seine Schranken hat. Aber müssen Andere mit Hanslicks Schranken ihre Beschränktheiten rechtfertigen?
(Die Fackel: Nr. 21, S. 28-29)
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=