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Ein Forenbeitrag (aus: Capriccio – Forum für klassische Musik)
„Ein bisschen Frieden
(Een beetje vrede/En smule fred)
Dieses hinreißende Kleinod schrieb Ralph Siegel, Absolvent der Kompositionsklasse Lord Voldemorts. Für die Lyrik zeichnet das Ausnahmetalent Bernd Meinunger verantwortlich. Sängerin und Gitarrenwunder Nicole Hohloch machte dieses erschütternde Lied 1982 schlagartig berühmt.
Wie eine Blume am Winterbeginn,
so wie ein Feuer im eisigen Wind,
wie eine Puppe, die keiner mehr mag,
fühl ich mich an manchem Tag.
Wir hören also zunächst den Klagegesang einer jungen Frau. Es ist ersichtlich: Um ihre Verfassung ist es nicht allzu gut bestellt. „Kopf hoch“, möchte man ihr zurufen. „Du kennst sogar Blumen, die es bis zum 21. Dezember schaffen!“ Wer kann das schon von sich behaupten? Wenigstens eine Hoffnung aber bleibt: Nicole ist nur an manchem Tag verzweifelt, zwischendrin gibt es also noch ein paar lichte Momente, in denen sie der Dämmerung entrissen wird. Was aber fehlt ihr denn genau? Aufschluss darüber bringt die zweite Strophe:
Dann seh ich die Wolken, die über uns sind,
und höre die Schreie der Vögel im Wind.
Ich singe aus Angst vor dem Dunkeln mein Lied,
und hoffe, dass nichts geschieht.
Zunächst steigern sich die grausamen Bilder ins schier Unerträgliche. Die Vögel singen nicht, sie schreien. Gut, dass die Wolken über einem sind, sollte erst einmal keinen Anlass zur Beunruhigung bieten. Gefährlicher wäre es, sie befänden sich an anderen Stellen, z.B. unten. Aber wenn man erst einmal so gepeinigt ist, dann ist wohl auch diese Furcht nachvollziehbar. In großer Tapferkeit, auf sich selbst zurück geworfen, schultert das tapfere Mädchen ihre Ängste. Nur die Hoffnung bleibt ihr, sie flüchtet sich nicht einmal mehr ins Gebet. Die Hoffnung auf Heilsversprechungen hat sie längst aufgegegen. Und jetzt schließlich erfahren wir endlich, was der Grund allen Ungemachs ist: „… und hoffe, dass nichts geschieht“. Das „nichts“ gibt Aufschluss, wenn man die Entstehungszeit des Liedes berücksichtigt. Vergessen wir nicht, dass der irre Breschnew tagtäglich am roten Knopf rumfummelte, dass der Iwan sein Raketen-Arsenal irgendwo auf Ziele zwischen Wuppertal und Wiesloch programmiert hatte. Und da kam dann dieses Maderl und bewies, dass man auch mit gestärktem Rüschenhemd und adretter Frisur friedensbewegt sein konnte. Das war das das richtige Lied zur richtigen Zeit, gerichtet an die ungewaschenen, langhaarigen Blockierer vor den Toren Mutlangens, die unverfroren Petting statt Pershing forderten!
Ein bisschen Frieden. Das reicht völlig. Besser als nix. Lieber beide Arme ab, als auch noch die Beine, sprach der Tutsi…“
http://www.capriccio-kulturforum.de/rock-pop-soul-mehr/1952-lena-ist-die-beste/?9a4ab308#post67281
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=