Re: Anthony Braxton

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Anthony Braxton / Taylor Ho Bynum / Gerry Hemingway – Willisau, 1. September 2013, 14:00 Uhr

Ich habe das Folgende fast genau so gerade in eine Mail an redbeans getippt … eigentlich waren nur zwei, drei Sätze beabsichtigt, da das so lange wurde, hole ich es mal – etwas überarbeitet und erweitert – hier rein.

Dauerte etwas, bin ich rein fand in die Musik, war irgendwie AACM halt, viel Geplänkel. Gerry Hemingway hatte hinter seinem Drumset ein Marimba und ein Vibarphon, die er aber fast nur dazu benutzte, ganz feine leise Linien zu spielen, die Säge und diverses Kleinzeugs kamen später auch zum Einsatz (Hemingway ist wohl sieben Mal zwischen Luzern und Willisau hin und hergefahren um den ganzen Krempel dahinzukriegen, in Zürich letztes oder vorletztes Jahr spielte er nur ein kleines Drumkit) … also viel „Aufbau“ und so, dann aber eine lange, sehr intensive Phase, in der Braxton sehr toll war (Altsax vor allem, er griff auch zum Sopranino und weniger oft zum Sopran) … Taylor Ho Bynum ging dann mal in die Hocke und es wurde klar, warum er zwei Flaschen mit Wasser da hatte … die eine leerte er nämlich in Schüben vorn in sein Kornett und hielt dieses dann kauernd zum Mikro hoch, spielte wilde, logischerweise gurgelnde Phrasen, spuckte Wasser über die ganze Bühne … erst traf er mehrmals Braxton, der seine Brille putzen musste aber keine Miene verzog … und dann traf er das Mikrophon – POPP! und aus war’s, machte aber nichts, da ich in der ersten Reihe sass und eh fast alles direkt und unverstärkt hörte … dass das Mikro wirklich hinüber war begriff ich erst, als zehn Minuten später einer kam, um ein neues hinzustellen … kein Konzert, das mich wirklich umhaute (wie die beiden Matana mit Band oder das erste Solo-Konzert, das ich von ihr hörte, oder Brötzmanns Chicago Tentett oder Mike Reed diesen Winter, oder ja, auch Trixie Whitley), aber es war doch sehr gut.

Die „Vorband“ Sqwakk aus Berlin (und Saarbrücken), war okay, sehr verkopft, zuwenig Momente, in denen sie einfach mal spielten … aber gute Musiker v.a. Jan Roder und Michael Griener (an Bass bzw. Schlagzeug), Rudi Mahall war wie immer etwas überpäsent und oft ziemlich langweilig (er spielte fast nur ruppige Sounds, penetrant laute Kürzel und Einwürfe, die er wohl für sehr frech und witzig hielt – manchmal waren sie’s auch, aber längst nicht immer – und wenn er mal ausgiebiger solierte, war er fast immer gleich beim hyperintensiven Überblasen. Wenn er aber mal bemüht war, ein paar Linien zu improvisieren (er tat das eher an der Klarinette als an der Bassklarinette), kam das sehr gut … der Posaunist (der ist eben aus Saarbrücken, ich kannte ich davor als einzigen noch nicht) Christof Thewes jeoch war ziemlich verdammt toll! Aber er stand zwangsläufig etwas im Schatten von Mahall. (Ich hörte vor einigen Jahren eine ähnliche Band, mit Nils Wogram und Uli Jennessen statt Thewes und Griener, da war das weniger ausgeprägt, dafür kam damals der Jennessen, der das Slingerland-Kit von Han Bennink bearbeitete, nicht mit dem Sound klar und war viel zu laut und überwältigend.)

Das Trio spielte ein langes Set, das durch verschiedene Teile ging (Braxton gab herumfuchtelnd ein paar Anweisungen, alle hatten ein Blatt – aber nur eines – auf dem Notenpult) und nach einer wie erwähnt längeren Heranführung ziemlich explosiv wurde. Fordernde Musik – aber ja: Das war gut!

Bei aller Verkopftheit, die man Braxton gewiss vorwerfen kann: Im direkten Vergleich wurde überdeutlich, dass er auch einfach mal loslassen kann und dass seine „geplanten“ Passagen viel mehr sind als Verdammt-vertrackte-post-Dolphy-Musik (so würd ich Quaak mal beschreiben, in einem – ähm – Wort). Bei Braxton gibt es MUSIK! Er kann loslassen und drauflosspielen, und dann zieht er sich wieder zurück. Seine kleinen Einwürfe sind viel präziser als die schnoddrig-komödiantischen Mahalls. Ein wirklich recht lehrreicher Vergleich, die bieden Gruppen nacheinander zu hören.

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