Re: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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FriedrichAuch bei mir immer noch CTI-Festspiele. Ich hatte die hier schon mal erwähnt, jetzt habe ich sie auch angehört:

Kenny Burrell – God Bless The Child (1971)

Das Cover wirkt reißerisch – auch wenn wir inzwischen alle wissen, dass das Foto keineswegs in Vietnam sondern auf Hawaii aufgenommen wurde. Die Musik ist jedoch deutlich sublimer mit einem typisch understated, unter der Oberfläche bluesig-brodelnd spielenden Kenny Burrell. Ron Carter ist natürlich mit dabei, Hubert Laws, Billy Cobham, das CTI-Schlachtross Freddie Hubbard, ein Richard Wyands am E-Piano und Ray Barretto an der perc. Don Sebesky hat relativ sparsam Streicher dazugemixt. Eine der jazzigeren Scheiben auf CTI und die drei Bonustracks – davon zwei Soloaufnahmen von Kenny Burrell – gehören mit zu den Höhepunkten. Ein slow burner.

Die mag ich ja bekanntlich auch sehr gerne!

Dieser Richard Wyands übrigens ist eines der Talente, das in der damaligen Schwemme, Ende der Fünfziger, etwas unterging … Jahrgang 1928 und aus San Francisco ging er nach New York, nahm an einigen wundervollen Aufnahmesessions teil, etwa „Jug“ von Gene Ammons (mit dem er mehrmals aufnahm, aber „Jug“ ist für mich Ammons-Top-3 oder 5), er gehörte zur Combo von Gigi Gryce mit Richard Williams (ein feines Quintett, dem es als Ganzes so ähnlich erging wie Wyands, Williams und Gryce als einzelnen), dann sprang er für Horace Parlan bei Mingus ein und war dabei, als „Mingus in Wonderland“ eingespielt wurde, das erste Album mit der neuen Frontline John Handy/Booker Ervin … und bei Prestige nahm er mit Oliver Nelson auf, bzw. mit Nelson und Eric Dolphy, auf „Screamin‘ the Blues“ (da ist auch Richard Williams dabei, der übrigens einer von Mingus‘ Lieblingstrompetern war, aber leider nie angemessen mit Mingus aufgenommen hat, auch wenn er da und dort auftaucht) und „Straight Ahead“ (und ich finde letzteres wohl tatsächlich eine Spur besser als das viel bekanntere „The Blues and the Abstract Truth“). Und mit Nelson war er auch dabei, als dieser für Eddie „Lockjaw“ Davis das Big Band-Album „Trane Whistle“ arrangierte (Dolphy sitzt dort anonym auch in der Band, Roy Haynes war für all diese Nelson/Dolphy-Prestige-Sessions ein weiterer sicherer Wert, der immer gute Arbeit lieferte). Wyans ist auch auf Alben von Willis Jackson, Frank Foster, Roland Kirk oder Etta Jones zu hören, am ausgiebigsten kommt er jedoch auf einem Piano-Trio-Album unter Roy Haynes‘ Leitung zum Zuge, „Just Us“ (:wave: soulpope, Kopp ausgekühlt, wo bleibt der Thread? ;-)).

In den späten 60ern und frühen 70ern spielte Wyands dann regelmässig mit Kenny Burrell – und taucht wohl daher dann auch auf Freddie Hubbards „First Light“ auf.

Aufnahmen als Leader konnte er allerdings erst ab den späten 70ern machen, und fast nur für europäische bzw. japanische Label wie Storyville, Criss Cross, DIW … das erste von 1978, „Then, Here and Now“ (Jazzcraft bzw. dann eben Storyville) ist sehr zu empfehlen, ein Trio-Album mit dem tollen Lisle Atkinson am Bass sowie Drummer David Lee. Es ist auch auf einer Doppel-CD gepaart mit dem Jazzcraft-Album von Hugh Lawson (dem Pianisten, der in den Fünfzigern mit Yusef Lateef gespielt hat) wieder greifbar, das ebenfalls hübsch ist (aber das von Wyands gefällt mir besser).

Selbst bin ich noch immer bei Ephrem Lüchinger – Are You Prepared, dem gestern schon erwähnten Tripel-Album … sehr toll, er hat daran lange Zeit gearbeitet (vier Jahre anscheinend), Spuren von Piano-Klängen übereinandergelegt, dass „prepared“ im Titel steht ist durchaus auch als Hinweis zu verstehen, dass sein Klavier teils präpariert wurde. Es gibt Beats, etwas Elektronik, Effekte, Synths, fiepsende Geräusche, Beats, auf einigen Stücken erhält er Unterstützung von Michael Flury an Posaune und Glockenspiel, aber eigentlich sind das Piano-Landschaften. Das ist wohl eine Art Minimal Jazz, aber an die brennende Intensität von The Necks sollte man nicht denken, die Entwicklungen sind kleinräumiger, dazu kommt der sehr freie, verspielte Umgang mit beigemischten Klängen und den erwähnten Schichtungen. Fasziniert mich gerade ziemlich, gleich geht’s zur dritten CD (das ganze hätte auch auf zwei Platz gehabt denke ich, ist also keineswegs der übermässige Overkill an Musik, rein mengenmässig).

Hier ein Promo-Filmchen, das einen Eindruck vermittelt:

Mehr hier:
https://soundcloud.com/ephrem-luechinger/sets/are-you-prepared

Und hier die Crowdfunding-Aktion (die ich natürlich mal wieder nicht mitgekriegt hatte):
https://wemakeit.com/projects/are-you-prepared

Und zum Schluss hier die Rezension, durch die ich überhaupt auf das Projekt aufmerksam wurde:
http://www.nzz.ch/zuerich/zuercher_kultur/bereit-fuer-abenteuer-1.18499372

Die CD kann man übrigens weiterhin bei Rec Rec in Zürich kaufen (geht auch via Mailorder und ein deutsches Konto hat er auch):
http://www.recrec-shop.ch/catalog/product_info.php/cPath/2/products_id/38949

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