Re: Modaler Jazz

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gypsy-tail-wind
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George Russell!

Sein „Cubana Be / Cubana Bop“ für Dizzy Gillespie – Russell hat es als 24jähriger geschrieben – war wohl eines der ersten Stücke, das auf Skalen beruhte und nicht auf Funktionsharmonik… er hat dann 1953 sein Traktat „The Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization“ veröffentlicht und wurde (und wird) daraufhin als eine Art Intellektueller und komplexer Kopf wahrgenommen (der er nie war, nie sein wollte).
In seinen frühen Jahren hat er hie und da etwas Schlagzeug gespielt, später wurde er zum Bandleader, die ersten Aufnahmen sind 1956 in der kleinen „Jazz Workshop“-Reihe bei RCA erschienen. Russell ist nicht als Instrumentalist beteiligt, die Combo mit Art Farmer, Hal McKusick und Bill Evans aber erstklassig besetzt und die Musik noch heute frisch und spannend.
Später folgten Alben für Decca („Jazz in the Space Age“ von 1960 mit Bill Evans und Paul Bley am Piano ist wohl der grosse Klassiker), dann vier schöne Riverside-Alben, worunter „Ezz-thetics“ mit Eric Dolphy hervorzuheben ist. Letzteres wäre auch grad ein Anspieltipp.

Russells Musik ist anders – da ist nicht diese Offenheit, die „modaler Jazz“ rasch suggeriert, seine Musik beruht auf der Lydischen Skala, einer alten Kirchentonleiter, die er als in sich ruhend beschrieben hat (und das wiederum als Fakt ausgegeben hat… einigermassen polemisch, aber eben: er gilt fälschlicherweise bis heute als harter Brocken). Eine ganz eigene Klangwelt jedenfalls und ein verkannter Gigant des Jazz.

Bis hin zur Beethoven Hall-Aufnahme (zwei Volumes auf MPS, gab’s in den 90ern mal auf einer CD) ist grundsätzlich alles zu empfehlen, was man von ihm finden kann. Seine Soul Note-Alben sind kürzlich gesammelt in einer der Black Saint/Soul Note-Boxen von CAM Jazz erschienen, da muss ich mich erst noch richtig dran machen… es tauchen da dann Leute wie Jan Garbarek und Terje Rypdal auf, Big Bands und kleinere Combos, Tape-Bearbeitungen etc.

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