Re: Ella Fitzgerald – The First Lady of Song

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Die CD mit dem Titel Pure Ella versammelt zwei der schönsten Alben aus Ellas riesigem Output für Decca, das Label, für das sie schon mit Chick Webb aufgenommen hatte, und bei dem sie bis 1955 bleiben sollte. Dann folgte der Wechsel zu Verve, das erste Songbook, Norman Granz wurde ihr Manager, und Ellas Karriere nahm endlich die Richtung, die sie schon lange hätte nehmen sollen. Mit Granz hatte sie zuvor schon Jazz at the Philharmonic Tours unternommen.

Der Unterschied lag im Repertoire: In den fünfzehn Jahren bei Decca sang Ella vor allem Swing-, Bop- und Novelty-Nummern, galt als musician’s singer, nur wenige ihrer Singles schafften es in die Charts, sie war zu Jazz-orientiert, um beim grösseren Publikum anzukommen.

As she told critic Ralph J. Gleason: „What I want to do is to sing a song on stage as if you had asked me to sing it to you here now. Just the two of us. I want to get that personal feeling. You can still be jazzy and sing sweet songs. I want to give the audience a little bit of everything.“

Most black pop artists of the day found themselves in the same boat. The more sophisticated ones – Lena Horne, Ethel Waters, Pearl Bailey – occasionally got to record the top Broadway and movie songs, but that material usually went to the Bing Crosbys and the Dinah Shores. As for the esoteric show tunes of the past – the numbers treasured by an elite crowd of song lovers – these had been claimed by such rarified white cafe performers as Lee Wiley, George Byron, and Hildegarde, all of whom devoted entire albums to that music in the late ’30s and early ’40s.

A few listeners realized that Fitzgerald could do the same thing if given the chance. As jazz columnist George Frazier wrote: „Although there are at least a dozen singers who are more famous and prosperous than Ella Fitzgerald, none of the others achieves her flexibility. This may come as something of a shock to the partisans of Dinah Shore and Margaret Whiting, but it is nevertheless the truth, for neither of them, not withstanding their enormous and exceedingly renumerative popularity, possesses a fraction of the talent that becomes audible the moment Ella Fitzgerald begins to sing.“

~ James Gavin, Liner Notes zu „Ella Fitzgerald: Pure Ella“, GRP 16362 (CD, 1994)

Das begann sich für Ella mit dem Aufkommen der LP zu ändern. Jetzt, da acht oder mehr Stücke aufs Mal veröffentlicht werden konnten, war man etwas offener für neue Versuche.

Ellas erste 10″-LP war acht alten Songs von George Gershwin gewidmet. Begleitet wurde sie von Ellis Larkins, der seit 1943 das Haustrio im Blue Angel, dem angesehensten Cabaret Manhattans, leitete. Seine Begleitung ist zurückhaltend aber meisterhaft. Der Beat, den er mit der linken Hand hinkriegt, ist so stark wie jener eines Drummers, die rechte swingt geschmackvoll und kontrolliert. Die Duette vereinen zwei Künstler, die das beste im anderen hervorholen. Erstmals sind auch Fitzgeralds interpretative Künste zu hören. Zudem verblüffte die grosse Sensibilität, mit der sie an ihr Material herantrat, damals wohl das Publikum, das eher mit ihren wagemutigen Scat-Improvisationen vertraut war. Fitzgerald und Larkins swingen aber auch in den langsamen Stücken, das Ergebnis ist schlicht umwerfend. Ellas Stimme hat in „But Not for Me“ oder „How Long Has This Been Going On?“ eine sehnsüchtige Note, sie singt grazil und wie es damals in Down Beat hiess: „She’s singing straight to you, you’ll feel, certainly a rare quality nowadays.“

Ira Gershwin soll übrigens (ich nehme an im Zusammenhang mit dem Song Book, er war ja mit Norman Granz befreundet) mal gesagt haben: „I never knew how good our songs were until I heard Ella sing them.“ Die acht Songs überraschen fortwährend mit ihrem Reichtum an Nuancen, ihren feinen Stimmungen und der breiten Palette an Gefühlen – für mich sind sie eine der grössten Entdeckungen des vergangenen Jahres und ich kann sie ohne Probleme dreimal hintereinander hören und am folgenden Tag dasselbe nochmal tun – mit jedem Hören scheint die Musik sich neu zu entfalten und andere Dinge preiszugeben.

In den frühen 50ern ging’s bei Decca weiter wie gehabt: grosse Bands, Streicher, Chöre auf kommerziellen Balladen… erst vier Jahre später, im März 1954, traf Ella erneut mit Larkins zusammen. Das Ergebnis war Songs in a Mellow Mood, eine 12″-LP, auf der ein Dutzend tolle Songs verammelt sind: alte show tunes („People Will Say We’re in Love“ von Rodgers/Hammerstein, Cole Porters „My Heart Belongs to Daddy“), Pop-Balladen aus den 30ern („Please Be Kind“, „Until the Real Thing Comes Along“, Hoagy Carmichaels „Star Dust“), ebenso ein weiteres Gershwin-Stück, „Nice Work if You Can Get It“). Ella ist mitterweile selbstbewusster und geübter im Umgang mit solchem Material, sie lässt sich mehr Zeit, singt „People Will Say…“ als schnellen Romp, ihre rhythmische Virtuosität ist aber auch auf dem verträumten „Please Be Kind“ (shoot me but I love that song!) und dem sehr langsamen „My Heart Belongs to Daddy“ zu hören, in dem sie verführerich hinter dem Beat singt. Die grössten Freiheiten nimmt sie sich aber in „Makin‘ Whoopee“ und „Star Dust“, in denen sie ihre zweiten Chorusse völlig umändert – die aber mit einer Selbstverständlichkeit präsentiert, dass man meinen würde, sie seien genau so komponiert worden. Ellas Version von „What Is There to Say?“ grenzt an Perfektion. Ellis Larkins ist auch hier wieder der perfekte Begleiter, der zugleich einfühlsam aber auch antreibend, relaxed und hart swingend spielt. Das ist komplette Musik, all music.

Nat Hentoff schrieb im Oktober 1954 in Down Beat: „It’s a song recital that is one of the most rewarding experiences in the history of jazz recording.“ und „The secret of Ella’s alchemy is that the more you hear her, the more surprised you are with each surprise. It’s like a Christmas stocking that’s never empty, that’s always full of new wonder.“

(Die Down Beat-Zitate sind James Gavins Liner Notes zur CD „Pure Ella“ entnommen.)

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