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An einem Tag im August 1956 trafen sich Ella Fitzgerald und Louis Armstrong in den Capitol Studios in Hollywood. Am Vorabend waren sie mit anderen Verve-Stars – Art Tatum solo, Oscar Peterson mit seinem Trio, eine Jazz at the Philharmonic All Star Band mit Roy Eldridge, Harry Edison, Illinois Jacquet, Flip Phillips und Buddy Rich – im Hollywood Bowl aufgetreten und wurden von Norman Granz mitgeschnitten.
Im Studio mit dabei war das Trio von Peterson (mit Herb Ellis und Ray Brown) sowie Drummer Rich. In einem Tag wurden die elf Stücke eingespielt, die von Verve als Ella & Louis veröffentlicht wurden.
Der Kontrast zwischen Ella und Louis könnte grösser nicht sein: Ella singt mit Wärme, voller Zuversicht, präzis, verschluckt nicht eine Silbe. Armstrong singt keinen zusammenhängenden Text sondern raspelt Silben, verschluckt halbe Wörter, grunzt, seufzt… die Silben werden zu Tönen, als würde er Trompete spielen, sie werden – wie die Trompetentöne – einzeln manipuliert, verändert, zerdehnt, gebogen. In „The Nearness of You“ wird bei ihm die Zeile „oh, no, it’s just the nearness of you“ zu „oh, no, yes, it’s just the nearness… you“, und in „April in Paris“ wird der Name der unsterblichen Stadt schon mal zu „Praris“.
Norman Granz, der nur für kurze Zeit als Produzent Armstrongs walten konnte (neben den Alben mit Ella entstanden drei weitere, die Armstrong-Portion von „Jazz at the Hollywood Bowl“ konnte erst jetzt erscheinen, damals war das – obgleich Armstrong 1956 nach langen Jahren bei Decca keinen Exklusiv-Vertrag mit einem Label hatte – nicht möglich), äusserte sich wie folgt über den Gesangsstil des unsterblichen Satchmo:
He did what he did, and that was the beautiful thing that I tried to capture. You could hear the breathing or the sighing or, instead of the word, he’d come out with a sound. But to me, that’s his quality: That was the beauty of the way he sang. You always knew what he was singing, he never left the melody, he always came back. And sometimes, if he missed a word, or if he covered it up by some sound, fine. That’s what made him unique. It’s like a trumpet player smearing a note.
~ Norman Granz on Louis Armstrong
Mit Ella Fitzgerald war Granz viel enger verbunden, seit kurzem war er ihr Manager und sie nahm exklusiv für Verve auf. Ihre Zusammenarbeit sollte mehrere Jahrzehnte dauern, Granz war mit Jahrgang 1918 nur ein Jahr jünger als Fitzgerald, sie kannten dieselbe Musik, mochten dieselben alten Songs und funktionierten sehr spontan. Granz rief sie an und fragte, ob man morgen mal wieder ein Album machen sollte, sie schauten sich zusammen ein paar Songs an, Granz machte ein paar Vorschläge, und los ging’s. Granz schlug manche seiner Lieblingsstücke immer wieder mal vor, es ist also kein Wunder, dass einzelne Songs auf Verve-Alben diverser Musiker auftauchen.
Ein Jahr später gelang es Granz erneut, die beiden zusammen ins Studio zu kriegen. Das Ergebnis war ein Doppel-Album, das den Titel Ella & Louis Again erhielt. Die Band war dieselbe mit Ausnahme des Drummers – dieses Mal war Louis Bellson mit von der Partie. Im Abstand von jeweils einer Woche wurden in drei Sessions genügend Stücke für ein Doppel-Album eingespielt.
Wieder sangen die beiden diverse Standards, und wie schon beim ersten Album waren einige Songs dabei, die ursprünglich von Fred Astaire eingeführt wurden: „They All Laughed“, „I Won’t Dance“, „Let’s Call the Whole Thing Off“, „I’m Putting All My Eggs in One Basket“ und „A Fine Romance“ – alle fünf hatte Astaire ursprünglich im Duo mit seiner wichtigsten Partnerin, Ginger Rogers, gesungen, sie boten sich als Duo-Vehikel also perfekt an. Im ersten Album waren die für Astaire geschriebenen Stücke „Isn’t This a Lovely Day?“, „They Can’t Take That Away from Me“, „A Foggy Day“ und „Cheek to Cheek“.
Ähnlich verhält es sich mit Gershwin: schon im ersten Album waren zwei (die erwähnten Astaire-Nummern „They Can’t Take That Away from Me“ und „A Foggy Day“) zu finden, im zweiten waren’s deren drei, zudem je zwei Songs von Irving Berlin und Cole Porter sowie andere Klassiker von Jerome Kern, Harold Arlen, Vernon Duke und anderen.
Keine grossen Überraschungen also, aber alles erstklassiges Material, das von Ella und Louis ebenso erstklassig interpretiert wird. Armstrong singt (und spielt) allein in „“Makin‘ Whoopee“, „Let’s Do It“, „Willow Weep for Me“ und „I Get a Kick out of You“, Ella singt allein in „These Foolish Things“, „Ill Wind“ und „Comes Love“. Trompete spielt Armstrong auf dem zweiten Album weniger (nur gerade in fünf der neunzehn Stücke), der Fokus liegt ganz auf dem Gesang, und das macht auch nichts, denn gerade in den erwähnten Astaire/Rogers-Duetten blühen die beiden zu Höchstform auf, wunderbar ist auch ihr Duett in „I Won’t Dance“. Schon im ersten Album gab’s ein paar Stücke, die über sechs Minuten dauerten, hier sind die Stücke insgesamt eher etwas länger, die Atmosphäre äusserst entspannt, die Begleiter vorzüglich aufeinander abgestimmt und mit kurzen Momenten, in denen sie selber glänzen dürfen. Grad im abschliessenden „Learnin‘ the Blues“, das langsam und stompend swingt, wird die entspannte Atmosphäre noch einmal aufs schönste deutlich.
Die drei Alben gehören in beider Diskographie nicht zum wichtigsten, aber die Aufnahmen mit Oscar Peterson sind schlicht umwerfend, voller wunderbarer Momente. Und „Porgy & Bess“ ist vielleicht nicht grad ein ignoriertes Meisterwerk, aber es enthält ein paar sublime Momente und ist insgesamt besser als sein Ruf – mehr dazu in einem kommenden Post.
Jedenfalls ist das unwiderstehliche Musik, die man nicht mehr missen möchte, wenn man sie mal kennengelernt hat!
Die drei Alben erschienen natürlich auch in einer Box: The Complete Ella Fitzgerald & Louis Armstrong erschien 1997, ein deppert verpacktes 3CD-Set, in dem als Bonus auch die beiden Live-Tracks vom inzwischen vollständig veröffentlichten Jazz at the Hollywood Bowl (1956).
Das Set enthält zwei Booklets, im ersten finden sich alle diskographischen Angaben sowie ein neuer Text von William Ruhlmann, im zweiten finden sich die originalen Liner Notes – jene von „Ella & Louis“ stammen von einem unbekannten Autoren, der knappe Text zu „Again“ von Norman Granz, vor allem enthält das Booklet die sehr ausführlichen Notes zu „Porgy & Bess“, in der nicht nur die Handlung zusammengefasst wird sondern die ganze Entstehungsgeschichte von Gershwins Oper erzählt wird. Diese Notes müssten – dem Konzept der Reihe gemäss – in der jüngsten CD-Ausgabe, jener in der „Originals“-Reihe, auch zu finden sein, kann mir aber kaum vorstellen, wie das ohne Extra-Booklet gehen sollte, aber ich hab mir die Ausgabe nie angeschaut.
Davor gab’s von allen Alben schöne Ausgaben in der „Verve Master Edition“ (in der vermutlich dieselben Remasterings wie in der 3CD-Box verwendet wurden).
(Das Granz-Zitat ist William Ruhlmanns Liner Notes zum 3CD-Set entnommen.)
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