Re: Ella Fitzgerald – The First Lady of Song

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Mack the Knife: Ella in Berlin ist wohl vor allem bekannt wegen der tollen Version von „Mack the Knife“. Ella vergisst auf halbem Weg den Text, beginnt zu improvisieren, imitiert dann mal kurz Louis Armstrong… grossartig in der Tat, aber nicht unbedingt eine Aufnahme, die man dauernd hören müsste. Das Quartett, das sie begleitet ist exzellent (Paul Smith, Jim Hall, Wilfred Middlebrooks und Gus Johnson) und Ella ist bester Laune, auf dem Album finden sich auch einige andere Highlights, etwa „Lorelei“, „Just One of Those Things“ (Ella singt auch den selten gehörten verse) und das abschliessende „How High the Moon“ mit einem langen Scat-Solo von Ella.
Dan Morgenstern schreibt in den Liner Notes (die in diversen CD-Reissues abgedruckt sind – ich hab die 2005er CD aus der Verve „Classics“ Reihe):

As Ella here tells us herself, this 1960 concert at Berlin’s huge Deutschlandhalle, filled to its 12’000 seat capacity, marked the first time she publicly performed the Kurt Weill-Berolt Brecht song that had been adapted into English by Marc Blitzstein and for jazz by Louis Armstrong, who had a hit record with it in 1956. Bobby Darin got lucky in 1959, with a version that to me sounds like a cover of the master’s with a dose of vulgarity added. There’s a fine irony in the fact that Ella’s rendition – in a hall where Hitler, who hated everything Weill and Brecht stood for, and ranted and raved not so long before – was met with roaring approval by the Berlin audience, known to jazz performers as some of the rudest in the world. (I can attest to that rudeness from personal experience: when I emceed the Miles Davis portion of a concert held in a smaller Berlin auditorium in 1967, the booing and stomping that greeted me when Miles failed to give an encore scared the hell out of this one-time refugee from the Nazis. Backstage, a number of West German journalists from other cities hastened to assure me that such behavior was a Berlin specialty and should not be held against their country.)

Die CD On the Air Volume 3, 1944-1947 versammelt Radio-Mitschnitte mit den Bands von Cootie Williams, Claude Hopkins und Tommy Dorsey sowie Ellas Teil des Carnegie Hall Konzerts vom 29. September 1947 (sie sang mit Dizzy Gillespies Big Band sowie mit einem Trio (Ray Tunia-p, poss. Ray Brown-b, unk-d) und Aufnahmen mit Buddy Rich (V-Discs von 1945 und 1947).
Manches ist in übler Qualität, besonders die ersten beiden Stücke mit Williams (Bud Powell sitzt am Piano, aber ausser Ella gibt’s keine Solisten).
Die Qualität der Tracks mit Claude Hopkins ist besser, wir hören im „St. Louis Blues“ auch einen unbekannten Tenorsaxer, Ellas Stimme ist toll, sie singt sehr sicher und bereits hier, 1944, mit nahezu perfekter Intonation.
Die 1945er V-Disc-Session ist dann wohl das Highlight der CD, besonders das Stück „I’ll See You In My Dreams“, in dem klar wird, dass Ella ihre Anfänge (kindliche Stimme, kindische Lyrics, nachdem sie mit „A-Tisket, A-Tasket“ ihren grossen Erfolg feiern konnte und man daran anzuknüpfen suchte) hinter sich gelassen hatte. Das ideale Tempo wird getroffen, sie ist schon hier in der Lage, feinste Nuancen zu singen – Alain Tercinet, der die Liner Notes zur CD geschrieben hat, meint, nur Sinatra sei diesbezüglich je an Ella herangekommen. Vorzüglich ist auch die Band, die Ella hier hinter sich hat: Charlie Shavers (t), Lou McGarity (tb), Peanuts Hucko (cl), Al Sears (ts), Buddy Weed (p), Remo Palmieri (g), Trigger Alpert (b) und Buddy Rich (d) – sie alle sind auch mit Soli zu hören.
Es folgt „The Honeydripper“ vom Januar 1946 mit Cootie Williams (mit dem kürzlich verstorbenen Butch Ballard am Schlagzeug, Bud Powell war inzwischen weitergezogen), dann „Guilty“ vom Februar 1947 mit Tommy Dorseys Band („play pretty for the people“ soll Ella jeweils zu den Bands gesagt haben, und genau das macht Dorsey hier auch).
Es folgt „Blue Skies“ mit Buddy Rich als Duett-Partner (sowie Joe Mooney-acc, Nick Stagg-b, Sidney Catlett-d und jemandem, der noch ein wenig auf einem Piano rumklimpert), bevor der Bogen mit zwei weiteren Stücken mit Cootie sich schliesst (im zweiten, „Oh, Lady Be Good“, ist Pianit Ray Tunia kurz zu hören).
Den Abschluss machen dann die erwähnten Stücke – sechs an der Zahl – aus der Carnegie Hall mit der Bebop-Big-Band von Dizzy Gillespie. Dieser ist in „Lover Man“ und „How High the Moon“ zu hören, in letzterem in einer chase mit Ella. In „Stairway to the Stars“ hören wir kurz Howard Johnson am Altsax, die Highlights stammen allerdings zumeist von Ella, die besonders im ohne Worte gesungenen „Flying Home“ (mit Pianist Tunia und einem Trio, in der Coda setzt die Big Band kurz ein) zu einem unglaublichen Flug abhebt.

These Are the Blues ist eine Art Konzept-Album, da Ella nie als Blues-Interpretin hervorgestochen ist, ja kaum je Blues-Titel gesungen hat. Mit Roy Eldridge, Ray Brown (er war übrigens von 1947 bis 1952 mit Fitzgerald verheiratet – kennengelernt hatten sie sich, als Ella 1947 für eine Tour zur Big Band von Dizzy Gillespie stiess, mit der Brown damals spielte), Herb Ellis und Gus Johnson sind ein paar längst vertraute Sidemen dabei, die Überraschung ist Organist Wild Bill Davis, der den sonst üblichen Pianisten ersetzt (damals war’s glaub ich schon Tommy Flanagan, die regelmässigen Begleiter Ellas waren in den Jahren davor vor allem Paul Smith und Jimmy Jones).
Das Repertoire besteht aus Stücken von Leroy Carr, W.C. Handy und anderen, aber auch aus Stücken der grossen frühen Blues Belters Bessie Smith, Ma Rainey und Alberta Hunter. Ella schlägt sich ganz gut in Stücken wie „See See Rider“, „Trouble in Mind“, „In the Evening (When the Sun Goes Down)“, „Cherry Red“, dem „St. Louis Blues“ oder Louis Armstrongs „Hear Me Talkin‘ to Ya“. Dennoch wird klar, dass Ella keine Blues-Sängerin ist – sie war die „first lady of song“, das machte ihr keine andere streitig, aber beim Blues begab sie sich auf fremdes Territorium.

Neben vielen Studio-Aufnahmen, der grossartigen Reihe von Song Books, die den wichtigsten amerikanischen Song-Komponisten gewidmet waren (Cole Porter, Irving Berlin, George Gershwin, Rodgers/Hart, Jerome Kern, Harold Arlen, Johnny Mercer, aber auch Duke Ellington), sowie einigen Alben mit Louis Armstrong, dokumentierte Norman Granz Ella auch einige Male live. Im Herbst 1957 schnitt er diverse Künstler im Rahmen einiger Jazz at the Philharmonic-Konzerte mit, die Alben hiessen jeweils At the Opera House und auch von Ella erschien eines. Begleitet wurde sie vom Trio von Oscar Peterson (mit Herb Ellis und Ray Brown) sowie Drummer Jo Jones. Wie bei anderen Alben aus dieser Reihe lagen der Mono- und der Stereo-LP unterschiedliche Aufnahmen zugrunde, auf der CD sind sie anscheinend alle versammelt (die Angaben bei Jazzdisco.org sind jedenfalls falsch, MGVS 6026 ist KEIN Reissue von MGV 8264 – gemäss kurzer Discogs-Recherche hat die Mono-LP neben sieben Tracks mit Peterson die beiden Jams über „Stompin‘ at the Savoy“ und „Oh, Lady Be Good“ enthalten, in denen die JATP-All Stars dazustossen, während auf der Stereo-LP einen weiteren Trio-Tracks, nämlich „Them There Eyes“ und bloss einen Jam über „Stompin‘ at the Savoy“ zu finden war – bin mir hier aber keineswegs sicher… und die CD – wie auch Wiki – verschweigt die Mitwirkung der All Stars im Stereo-„Stompin'“).
Jedenfalls sind die Aufnahmen vergnüglich, Ella ist aufgestellt in Nummern wie „Them Their Eyes“ oder „Goody Goody“, die Band bietet starken Support und swingt, ohne sie je in Bedrängnis zu bringen. In „Bewitched, Bothered, and Bewildered“, „These Foolish Things“ und „Ill Wind“ ist Ella in lyrischer Stimmung, singt trotz des Live-Rahmens sehr nuanciert. Unter den recht wenigen damals veröffentlichten Live-Alben von Ella ist das hier bestimmt eins der schönsten.

Zu den Live-Aufnahmen aus den Verve-Jahren:

„Ella at the Opera House“ (1957) erschien in unterschiedlichen Mono/Stereo-Versionen.
„Ella in Rome: The Birthday Concert“ (1958) wurde erst 1988 entdeckt und veröffentlicht.
„Live at Mister Kelly’s“ (1958) erschien erst 2007 auf einer Doppel-CD.
„Ella in Berlin: Mack the Knife“ (1960) erschien damals, wurde für die CD um 4 Tracks erweitert.
„Ella in Hollywood“ (1961) wurde vor zwei Jahren um das Hip-O-4CD-Set „Twelve Nights in Hollywood“ ergänzt.
„Ella Returns to Berlin“ (1961) wurde erst 1991 veröffentlicht.
„Ella at Juan-Les-Pins“ (1964) wurde 2002 zu einer Doppel-CD erweitert.
„Ella in Japan“ (1964) ist erst dieses Jahr von Hip-O-Select aufgelegt worden.
„Ella in Hamburg“ (1965) erschien damals, gilt aber als eher schwach.

Ich kenne bisher „In Rome“, „At Mister Kelly’s“, „Returns to Berlin“, „At Juan-Les-Pins“ und „In Hamburg“ alle noch nicht, mindestens „At Mister Kelly’s“ steht aber auf der Einkaufsliste, ich habe es vor ein paar Jahren mal angespielt und es hat mir sehr gefallen. Zu den Hollywood und Japan Sets schreibe ich bei Gelegenheit auch noch was.

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