Re: Jazz-Neuerscheinungen

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Napoleon Dynamite


WILLIAM PARKER – For Those Who Are, Still * * * * 1/2

„For Those Who Are, Still“ besitzt, wie so oft bei William Parker, den Anstrich einer Werkschau, aber insbesondere „Ceremonies For Those Who Are Still“, eine Komposition für Orchester, Chor und Jazz-Trio (Charles Gayle endlich wieder on tenor!), ist überragend. Parker hat das Gespür für die Klangfarben der einzelnen Instrumente und die Balance zwischen Notation und aggressiver Improvisation absolut down – und die Liveaufnahme aus dem Jazztopad Festival in Wrocław ist sehr gut mitgeschnitten worden: Man hört im voluminösen Klangkörper selbst noch die Beckenschläge von Mike Reed. Höchste Empfehlung.

das alles durchzuhören (was ich gestern geschafft habe) ist durchaus ein ziemlich tolles erlebnis, aber meine eindrücke sind durchwachsener. wie es parker gelingt, solche auftragswerke mit eigener poesie aufzuladen und sie völlig zu seinem ding zu machen, ist schon super. mich hat vor allem das etwa halbstündige stück „for fannie lou hamer“ wirklich umgeworfen, das parker für das ensemble der new yorker „kitchen“ geschrieben hat (und bei dem er selbst gar nicht mitspielt?). das ist ein großartig dichter jazz score, der von klavier und marimba die ganze zeit flirrend beweglich gehalten wird, während bläser wie ravi best und der obskure, kurz danach verstorbene sam furnace um wiederum improvisierendes cello und violine herumspielen. irgendwann die abgründigen vocals von leena conquest und erst am ende auflösung der spannung.

absolut auf der höhe ihres könnens auch das aufwärmende trio mit gayle und reed, 25 minuten abwechslungsreich, inspiriert, brenzlig, kommunikativ – eine der tollsten aufnahmen von gayle, die ich in jüngerer zeit von ihm gehört habe – aber auch reed gefällt mir in diesem kontext sehr gut.

das orchesterwerk mit chorsolisten und jazztrio finde ich weniger gelungen – höchstens in den passagen, wo parker zu seinen dunklen gospelartigen themen findet, die er ganz schön im größeren kontext arrangiert bekommt. ansonsten kann ich das weder in der aktuellen neuen musik noch im größer orchestrierten jazz einordnen.

vollkommen verzichtbar finde ich die ethno-joachim-ernst-behrend-gedächtnis-aufnahme mit indischer sängerin, senegalesischem griot, multiintrumentalist bill cole und den telepathisch aufeinander eingestellten parker-leuten drake, cooper-moore, brown. um sowas zusammen zu bringen, braucht man schon ein bisschen mehr konzept als freie dialoge über tonhöhen. die welt ist klang? meinetwegen, aber sie ist auch form und inhalt. schade vor allem, weil ja alle eigentlich toll sind (mola sylla hat tolle sachen z.b. mit ernst rijseger gemacht, bill cole ist ja auch spannend, cooper-moore ist sowieso immer gut).

interessant dann die intime session um leena conquest herum, mit klavier, bass und sopransax. finde ich manchmal ganz toll, manchmal etwas überspannt. aber eben nochmal eine vollkommen andere farbe…

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