Re: Jazz: Fragen und Empfehlungen

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gypsy-tail-wind
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nail75Ich will dir deine Leidenschaft für die beiden nicht absprechen (und auch nicht deren Einfluss auf eine bestimmte Generation von Musikern), aber das sind mega-obskure Musiker, die selbst bei den meisten Jazz-Hörern absolute Nebenrollen spielen.

Nunja … so einfach liegt die Sache wohl nicht. Man lehrt an den Jazzschulen wie es scheint die Evans/Kelly-Akkorde, was das Begleiten („comping“) betrifft. Und dass darin Lyriker wie Jordan und Haig fortleben – also ausgerechnet da, wo man heute eine Überzahl mackerhaft coole Machos mit tollen Anzügen und Style-Berater antrifft, im Post-Young-Lions-Modern-Mainstream (ich denke da an die ganzen Sachen zwischen Joshua Redman, Brad Mehldau, Mark Turner, Kurt Rosenwinkel, die ganze Criss Cross-Szene, die Smalls-Szene, die toughen hippen – und phantastischen! – Leute wie Moran, Nasheet Waits etc. etc. … eigentlich sollte man gar keine Namen nennen, all die genannten sind mir durchaus in einigen Dingen ganz lieb (zu meiner Jazz-Sozialisation gehörten jedenfalls Mehldau und Redman dazu, für EST war ich ein paar wenige aber entscheidende Jahre zu früh dran, als die plötzlich an allen Festivals spielten, dauerd im Radio liefen und in aller Munde waren, interessierten sie mich bereits nicht mehr, ich will nich ausschliessen, dass das anders hätte sein können, wenn ich zwei, drei Jahre später in den Jazz eingestiegen wäre … jedenfalls finde ich den Fall wie gesagt nicht eindeutig, ich bin überzeugt, dass im „Mainstream-Piano-Kontinuum“ Haig und Jordan wichtiger sind als Tyner. Natürlich gibt es Ausnahmen, natürlich hatten Iyer und Moran andere Lehrmeister (Andrew Hill, Jaki Byard?) … aber ich würde mich hüten mit Pauschalisierungen. Und natürlich finde ich die Entwicklungen an den Rändern oft interessanter als die in der Mitte, sprich, wenn ich Wynton Kelly oder Bill Evans hören will, greife ich zu deren Aufnahmen. Ich bin aber gerne bereit, Svensson einen eigenen Stil zuzugestehen, damit habe ich überhaupt kein Problem – er traf offensichtlich einen (kollektiven) Nerv und hat sein Ding wie es scheint gut gemacht (er hätte ja auch nach zwei, drei Alben wieder verschwinden können, was jedoch nicht geschah).

nail75Daran erinnert man sich im Forum der lebenden Leichen gut, weil die meisten dort etwa genauso alt sind, aber wo sonst?

Äusserst unschön. Und mit dem Argument erlischt an sich jede Diskussion im Keim … ich renne dennoch noch einen Moment länger dagegen an …

nail75Das stimmt natürlich und das weiß ich auch, aber kritisiere an deiner pauschalen Ablehnung von EST, dass es sich wirklich um ein Trio handelte (tragischerweise), das eben eine eigene musikalische Sprache vertrat. Und dagegen mit Haig und Jordan zu argumentieren, finde ich eigenartig.

Warum denn? Weil Du deren eigene musikalische Sprache nicht schätzen – oder wahrnehmen – kannst? Al Haig war immerhin der Lieblingspianist von Charlie Parker und Stan Getz. Aber das interessiert mich wohl nur, weil ich längst auch ein Untoter bin.

nail75Würdest du sagen, dass kommerzieller Erfolg selbst in geringem Ausmaß eine Art Verdachtsmoment darstellt?

Ich glaube nicht, dass es da eine Kausaltität gibt. Gewiss macht mich manchmal schneller Erfolg von gewissen Musikern etwas skeptisch – aber dass ich davon meine Wahrnehmung übermässig trüben lasse, denke ich nicht. Überhaupt ist das ja ziemlich schwieriges Territorium, zumal für einen, in dessen Welt Duke Jordan und Al Haig Heroen sind, jedoch etwa Madonna oder Robbie Williams gar nicht stattfinden (untot, raunt es aus dem Hintergrund).

Das Thema ist allerdings hochkomplex – ist kommerzieller Erfolg ein Gradmesser für „Bedeutung“? Wie verhalten sich kommerzieller und künstlerischer Erfolg zueinander? Was ist überhaupt künstlerischer Erfolg? Setzt die bessere Musik sich am Ende durch? Welches ist denn die bessere Musik?

vorgartenich weiß nicht genau, wo da das freundliche desinteresse aufhört und die ignoranz anfängt, ist ja auch egal bzw. kommt aufs selbe raus. es ist trotzdem erstaunlich, dass ACT schon dazu in der lage ist, EST zu verkaufen, wenn die zeit dafür reif ist und dann iyer, wenn die zeit dafür reif ist (was heißt, dass sich dinge zum positiven entwickelt haben). EST fand ich immer angenehmer als die entsprechenden versuche von ECM, so popistischen jazz auf alten instrumenten zu verkaufen (holin).

Das hat gewiss mit der Person von Siggi Loch zu tun. Die ganze Story kenne ich nicht, aber der Mann hatte wie es scheint öfter mal den richtigen Riecher und ist offensichtlich in der Lage, ein Jazzlabel in diesen Zeiten kommerziell erfolgreich zu führen, was gewiss keine allzu leichte Sache ist. Der Mann hat jedenfalls seit über fünfzig Jahren einen guten Riecher.

(Holin = Ronin?)

vorgartendas, was mich schon immer davon abgehalten hat, ACT-platten zu kaufen, sind allerdings die cover.

Wobei die Iyer-Cover anderswo auch recht übel rauskommen können:

;-)

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