Re: Jazz: Fragen und Empfehlungen

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nail75

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gypsy tail windDass die Aufnahmen nach 50 (neu wohl ab 70 – gibt’s da schon weitere News?) Jahren nicht mehr geschützt sind, stört mich an sich auch ganz und gar nicht.

Das stört mich sehr. Ich habe allerdings nur eine vage Hoffnung, dass der deutsche Gesetzgeber die EU-Richtlinie schlichtweg nicht umsetzt und darin ggf. vom BVerfG unterstützt wird.

Aber da Problem, das sich ergibt – und das sollte auch nail zu denken geben: Jeder kann aber jeder (guten oder eben auch mangelhaften) Quelle ein Reissue basteln.

Klar. Was ist das Problem?

1) Was heisst es, wenn Pujol sagt, er habe Ree-to-Reel-Tapes gekauft? Wie weit sind die von den Mastern entfernt? Sind das gar schon fertige Master?

Das kann man nur im Einzelfall sagen.

Bei denen sind die Schutzfristen nämlich anders als bei den Aufnahmen an sich, bzw. sie gelten für 50 Jahre ab dem Datum, als die Master erstellt wurden,

Wenn er die Master legal besitzt, ist es logischerweise nicht illegal.

wenn Pujol also 70er Master herausgibt, ist das an sich wieder illegal… bloss wie will man das beweisen

Man muss ihm aber beweisen, dass er die Master illegal erworben hat. Das nennt man Rechtsstaat.

2) Wenn Pujol so nahe an der Quelle ist, warum klingen denn viele Freshsound CDs so gottsjämmerlich schlecht?

Na, weil er eben nicht immer so nahe an der Quelle sitzt.

3) Warum gibt Pujol denn so oft Dinge heraus, die erst grad noch erhältlich waren? Warum stellt er so oft depperte Compilations zusammen, von denen jeder geneigte Sammler die eine Hälfte schon besitzt? Das ist für mich nicht seriös und oft sehr ägerlich.

Das sind doch altbekannte Vorgehensweisen. Die Antwort darauf ist in jedem Fall: Weil er es kann.

4) Warum verwendet Pujol immer wieder mal originale Liner Notes, wenn diese doch (meines Wissens) bis 70 Jahre nach Ableben des Autors geschützt sind?

Vielleicht besitzt er das Einverständnis der Autoren?

Meines Wissens wird (würde) die Verlängerung des Schutzes auf 70 Jahre nicht rückwirkend angewendet, d.h. wird der Schutz z.B. 2014 verlängert, bleiben Aufnahmen bis 1963 nicht geschützt. Allerdings vergehen dann 20 Jahre, bis der Schutz für Aufnahmen von 1964 verfällt.

Das ist korrekt.

Zudem, was die Vinyl-Transfers betrifft: Natürlich tun sie das, immer wieder tun sie das! Es ist ja (wenn man keine solchen Reel-to-Reels besitzt) die einzige legale Weise, Aufnahmen zu veröffentlichen.

Komplett legal wohlgemerkt. Wenn man das nicht kaufen mag, kann man das Original auf Vinyl erwerben.

Letztens und wichtigstens: Das zentrale Problem liegt natürlich wie Pujol richtig sagt, im Unwillen der US-Majors (eigentlich sind sie ja längst global), mit den Aufnahmen überhaupt etwas anzustellen.
Die beste Lösung wäre es natürlich, wenn sie anderen Labels gegen sehr geringe Gebühren (anders geht’s ja nicht) Zugang zu ihren Masters böten, damit diese anständig klingende Reissues produzieren könnten.

Die US- und UK(!)-Majors haben nicht das allergeringste Interesse daran, Jazz Aufnahmen einfach und unbürokratisch zu lizensieren. Warum? Kaum jemand hört Jazz, das ist kommerziell komplett vernachlässigbar. Wenn man es doch tun will, muss man sich mit der Bürokratie rumschlagen und sehr viel Geld bezahlen. Das lohnt sich nur bei absoluten Top-Künstlern. Die Majors gehen ja nicht mal gegen die zahlreichen Vinyl-Counterfeits vor, die in allen Plattenläden stehen und die über die großen Vertriebe, äh, vertrieben werden. Das interessiert die schlichtweg nicht.

Was mich an der Debatte am meisten stört, ist das irgendwelche ahnungslosen Amerikaner den Europäern ihr Rechtsverständnis aufzwingen und das teilweise auch schon geschafft haben. Es gibt keinen sachlichen Grund, den Urheberrechtsschutz auf 70 Jahre zu verlängern, keinen einzigen!

(For the record: ich besitze 1LP und 70CD, darunter über ein Dutzend Doppel-CDs, sowie je ein Tripel- und ein Quadrupel-Set.)

Ich besitze eine handvoll CDs.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.