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Mag denn keiner sich äußern?
Bei mir lauerte eine gewisse Angst und so lag das Album nach Lieferung erst mal eine geschlagene Woche herum. So hätte ich eigentlich doch auf die Deluxe-Version warten können. Aber zu viele der alten Helden haben in den letzten Jahren für mich persönlich erheblich an Relevanz verloren, seien es nun Pearl Jam, von denen ich mich schon vor etwa 10 Jahren letztlich ohne jegliche Sentimentalität verabschiedete, oder in jüngerer Zeit REM, EoC und gar Wilco. Nicht dass deren letzte Alben schlecht gewesen wären, ich mochte nur einfach nicht mehr so recht folgen. Vielleicht birgt das 15. Album einer Band auch einfach keine Überraschungen mehr, keine die mich vom Hocker reißen jedenfalls. Mangels aktueller Alternativen, nein Lady Gaga ist keine, verbrachte ich die letzten Jahre zunehmend mit Vergangenheitsaufarbeitung, aber irgendwann war die RS-Beilage mit den 500 wichtigsten Alben als Ausgangsinspiration abgearbeitet und damit drohte mein musikalisches Interesse an der Populärkultur zu versiegen. Ich habe inzwischen gar ein eigenes Fach für Klassik.
Bei den Jayhawks standen die Vorzeichen ein wenig anders als etwa bei REM. Olson und Louris wiedervereinigt, das Songwriterduo, dem es nach der Trennung erging, wie so vielen ihrer Zunft. Lennon und McCartney etwa haben solo selten Werke geschaffen, die es mit dem der Beatles aufnehmen konnten, jedenfalls nicht in Sachen Kontinuität. So machte Olson fortan schrulligen Folk, den ich mir nur eine Platte lang antat und Louris meinte einfach nicht mich.
Nun also stand die Besetzung von „Tomorrow the green gras“ wieder im Studio. 1995 wars, als ich mit dieser Platte und damit erstmals mit Americana, Alternative Country, wie auch immer man das Kind nennen möchte, in Berührung kam. Country konnte tatsächlich mehr sein, als das Klischee einem versprach, besser androhte. Später folgte bei mir auch noch das Vorgängeralbum „Hollywood Town hall“, aber da war Olson schon weg und die Jayhawks wurden eine dieser Bands, die unverdienterweise, aber irgendwie doch auch zum Glück in der alten Welt kaum einer kannte und deren zwei genannte Alben mir stets ein Lächeln ins Gesicht und etliche Erinnerungen ins Gedächtnis holten. Sollte ich riskieren, das mit dem jetzigen Comeback zu beschädigen? Soll? Muss! Nun neigt man im anfänglichen Überschwang zwar oft zur Überbewertung, die sich dann im Laufe der Zeit relativiert, aber „Mockingbird Time“ macht tatsächlich da weiter, wo „Tomorrow …“ vor 16 Jahren aufhörte. Dem Album konnte man im Vergleich zu „Hollywood …“ höchstens ankreiden, nicht komplett dessen Geschlossenheit aufzuweisen, produktionstechnisch etwas mehr auf Krawall gebürstet zu sein und einem nach einer monumentalen ersten Hälfte noch ein, zwei „Stampfer“ unterzujubeln, die man ohne die Reputation der Band für sich allein stehend nicht hingenommen hätte. Kostete bei mir den einen halben Stern zur vollen Fünf des Vorgängers.
Vielmehr kann man auch „Mockingbird Time“ nicht ankreiden. Das stillose Cover aus dem Zubehörhandel vielleicht noch, das im krassen Gegensatz zu den an „Hollywood…“ gemahnenden Fotos im Innern steht. Mehr zu meckern gibt’s nicht. Ich tat letztlich das, was ich schon lange nicht mehr getan hatte. Mit dem Auto allein und ohne Ziel durch die Landschaft fahren und die Musik auf mich einwirken lassen. Gleich beim Opener „Hide Your Colors“ geht einem umgehend das Herz auf, wie seinerzeit bei „Blue“, „Waiting for the sun“ oder „Bad Time“. Ähnlich „Tiny Arrows“ oder „She Walks In So Many Ways“. Andere Songs brauchen zwei, drei Runden, ein wirklich schlechter ist nicht dabei. Angeblich wollten die Jayhawks hiermit ihr bestes Album abliefern. Gelungen ist ihnen das nicht, aber man wird es dennoch künftig in einem Atemzug mit „Hollywood…“ und „Tomorrow…“ nennen dürfen, ohne damit: „Sieh bloß, was aus ihnen geworden ist“ zu meinen.
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Ich brachte meine Vergangenheit im Handgepäck mit. Ihre lagerte irgendwo im Container-Terminal. Als sie ging, benötigte ich einen Seemannssack.