Re: john lenwood "jackie" mclean

#7975533  | PERMALINK

vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

Beiträge: 12,006

gypsy tail wind
Für meine Ohren bilden diese Sessions – fünf der sechs unter McLeans Leitung zumal – eine Art Kulminationspunkt im Schaffen des Altsaxophonisten. Hier findet er nach den Experimenten mit Grachan Moncur III und Bobby Hutcherson wieder zurück in den Hard Bop im weitesten Sinne, aber die Experimente sind keinesfalls vergessen sondern werden eingebaut in die neue Musik, die damals auf den Alben IT’S TIME, RIGHT NOW und ACTION zu hören war.

mit nochmaligem dank ein paar bemerkungen dazu, zuerst zum ersten teil.

mir geht es natürlich sehr ähnlich, gerade diese drei alben sind für mich – neben dem zweiten miles-quintett und den mclean/moncur/hutcherson-aufnahmen und vielleicht noch einigen shorter-sachen – der höhepunkt des mitt60er jazz, der in- und out-elemtente gleichzeitig im spiel belässt und den man weder in die eine noch in die andere richtung adäquat beschreiben kann: es ist keine ausbruchsbewegung in die freiheit, genausowenig eine mutwilliger verlust von traditionen – es entsteht vielmehr ein unendlich großer reichtum im ausdruck, der gerade im fall von mclean theoretisch längst „durch“ ist und sich schon wieder mit anderen dingen als struktur beschäftigt – mit sound zum beispiel, über den jackie zu dieser zeit oft redet, und deswegen ist der verweis auf billie holiday ziemlich interessant.

was du nicht erwähnst, ist die erzwungene karrierepause durch mcleans 6-monatige haftstrafe. es ist ja immer ein bisschen spekuliert worden, dass seine musik danach eine neue dringlichkeit bekommen habe und sein ton eine neue, bittere, härte (das gerede von der „acid“-phase). mir ist allerdings nicht ganz klar, was da genau passiert ist. oft liest man, dass er wegen längst vergangener delikte inhaftiert worden sei, was zu diesem zeitpunkt seiner musikalischen karriere, im moment der neufindung oder aktualisierung, völlig falsches timing gewesen sei. in steve lehmans master-arbeit, die ja im wesentlichen auf persönlichen gesprächen mit mclean beruht, ist aber davon die rede, dass er tatsächlich vor der haft noch nicht clean war – erst danach, quasi mit dieser post-jail-phase eine grundsätzliche neuorientierung möglich gewesen sei, die in der akademischen und sozialen arbeit ab 1966 (u.a. als ‚drug councelor‘) in hartford ihre institutionalisierung erfuhr.

diese spekulationen sind vielleicht irrelevant, aber ich kann mir vorstellen, dass 6 monate haft mitte der 60er jahre für einen relativ reifen und auf dem höhepunkt seiner künstlerischen karriere stehenden afroamerikaner kein zuckerschlecken war. ein bisschen was darüber steht bei spellman, den ich aber als autor, der ständig irgendwelche maskulinistischen diskurse pflegt, für nicht ganz zurechnungsfähig halte (so behauptet er, dass jackie in der haftzeit zeuge von mordfällen unter insassen war, auch von sadistischen quälereien durch das wachpersonal, aber eben auch – und das ist natürlich für spellman viel schlimmer! – von sexuellen beziehungen und ausbeutungen unter den inhaftierten). das mclean-fazit, das ich irgendwo gelesen habe, nämlich: dem staat keine lebenszeit mehr zu schenken, finde ich da als grundsatzentscheidung ziemlich plausibel.

deine beschreibung von IT’S TIME! finde ich sehr toll. ich liebe gerade dieses album sehr, obwohl ich davon seit jeher nur eine ziemlich blechern klingende japan-cd habe (mit dem schicken quadratischen pappkarton) und nie nachgehört habe, ob sie wirklich so brutal aufgenommen ist (was aber für mich immer sehr zur musik gepasst hat).

tolliver war vorher ziemlich tief im new thing oder? 1964 judson hall, slug’s saloon – da hat ihn mclean direkt aus bohème zu blue note verfrachtet. zu seinem auflaufen sort erzählte tolliver panken mal das hier:

TP: Within jazz historiography, when people think about the line of trumpet vocabulary, you and Woody Shaw are the culmination of a timeline, and then there’s a ten-year gap, and then Wallace Roney and Terence Blanchard and Wynton Marsalis pick up on it and go in some different directions. But you and Woody Shaw, before the “end of history,” where musicians begin to embrace the whole timeline of vocabulary… You and Woody Shaw sort of end the thing. Is that accurate?

TOLLIVER: Yes, it is accurate. Woody and I… Alfred would not give us a record date. Woody had recorded with Horace Silver and other artists. I had recorded with Horace and of course Jackie McLean. But because he was retiring, he wasn’t going to “make any more trumpet stars.” The way you got in, if you got to Blue Note and you got a deal with Alfred to do one-two-three records a year, you would then be Downbeat’s New Star on the trumpet and then off you go. Woody and I got caught right at the end, and Alfred wouldn’t give us that in, even though we had already been tapped by other greats to record on Blue Note and worked… By that time, we had already worked with some of the heavy-duties. This could have been, and was devastating probably to both of us… A little bit more to him than me, I think, because I made a decision that I was going to do something about that, which was to make my own recordings. It took Woody another four-five years before he was able to deal with Muse and then Columbia with Dexter. Historically, with the two of us being the last of that group of trumpet players… There was a period… Of course, Miles and Freddie were the guys the industry was dealing with in terms of the crossover stuff in the ‘70s…

über IT’S TIME kann man noch viel sagen, ich habe zum beispiel hancock selten so energetisch gehört, was haynes und mcbee da rhythmisch machen, ist unfassbar; es gibt einfach keinen moment auf dem album, der nicht unter strom steht. der london jazz collector z.b. über hancock:

What is particularly exciting here is the conversation between Hancock and the front line. He spurs on McLean and Tolliver, poking and prodding them from all directions with melodic fragments, half started tunes, changes in direction, which they pick up and twist. It’s piano accompaniment, but not as we have known it.

TOM CAT. das ist in der tat ein sehr schönes album, und dass etwas drittes entsteht, wenn morgan und mclean heads spielen, finde ich auch sehr offensichtlich. aber es ist auch deutlich, dass mclean hier nur zu gast ist und nicht das einbringen kann, was ihn in der phase auszeichnet, was meiner ansicht nach nicht durch die begleitung kommt, sondern durch die chord-fixierte struktur der kompositionen. das titelstück greift den pink panther auf (auch von 1964), oder ? ;-) da schielen lion und morgan schon – wie gewohnt – ein bisschen zum pop/markt hinüber. ganz toll finde ich aber „rigormortis“, den closer – der ist harmonisch viel ambivalenter, und sofort setzt sich mclean wieder einen mikroton unter (über?) morgans head-vortrag. aber typischerweise wird diese ambivalenz in den soli wieder aufgegeben (und das ist ja schon was, das mclean seit LET FREEDOM RING nicht mehr macht).

ACTION. da steht am anfang deiner besprechung kurz der falsche bassist (cranshaw). toll jedenfalls, wie mclean hier das konzept der offenen harmonien mit hutcherson in seine momentan heiße phase überführt (das klappte mit hancocks kürzel-begleitung auch schon ganz gut, aber die perkussiven und dann wieder schwebenden sounds der vibes machen alles irgendwie moderner, transparenter). higgins wirkt in diesen konzepten immer ein bisschen wie „angeknipst“, nicht so schillernd wie haynes, der sich im rhythmus immer vor- und zurückarbeitet, quasi um den bass herum. aber dass es mit higgins treibender wird, wie du schreibst, höre ich auch so (und es legt mehr fokus auf den solierenden, wie in der ornette-band halt).
und das hypnotische „hootnan“ ist wirklich einer der hippsten tracks aus der jazzdiskografie überhaupt.

hier hat sich mal jemand die arbeit gemacht und das covermotiv als positiv zurückgebildet:

--