Re: john lenwood "jackie" mclean

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Auf dem Album Jackie McLean & Co. (PR 7087) ist McLeans nächstes eigenes Projekt zu hören – und das hat es in sich! In Hardman hat er seinen damals besten Partner neben sich, mit Waldron, Watkins und Taylor seine bevorzugte Rhythmusgruppe hinter sich. Dazu stösst für die erste Hälfte des Albums der 16jährige Ray Draper an der Tuba.
Die Session fand am 8. Februar in Van Gelders Studio statt, zwischen den beiden Blakey-Sessions. Der Sound der Band ist dank Drapers Tuba sehr speziell, ziemlich düster, abgehangen. McLeans Bemühen, junge Leute zu fordern setzt früh ein, er ist ja selbst zu diesem Zeitpunkt erst 25 Jahre alt.
Was zudem auffällt ist, dass hier nur Originals (zwei von Waldron und je eins von McLean, Draper und Watkins) gespielt werden – das verdeutlicht wohl auch, dass es sich hier nicht um ein Jam-Album handelt sondern dass für einmal etwas mehr Arbeit in die Vorbereitung eingeflossen sein dürfte.
Waldrons Opener „Flickers“ war in einer schnelleren Version schon auf dem Prestige All-Stars Album „All Night Long“ (PR 7073) zu hören. Das Thema erinnert ein wenig an „Dear Old Stockholm“ in der Version auf Miles‘ Album „Round About Midnight“. Das Thema wird über Tuba/Bass Pedal-Points gespielt, Hardman und McLean unisono. Jackie spielt dann das erste Solo, gefolgt von Hardman. Die suspension mit den Pedal-Points folgt auch in den Soli. Draper soliert als dritter, schlägt sich gut, bleibt abgesehen von ein paar Läufen meist in der teifen Lage, klanglich ist das ganze manchmal hart an der Grenze, zum Mus zu werden, aber ich hab mich langsam mit Drapers frühen Aufnahmen abgefunden und kann seinem Auftritt auf diesem Album doch einiges abgewinnen.
„Help“ ist ein Blues in Moll von Doug Watkins, er öffnet ihn mit waling bass Linien, Taylor, Waldron und Draper setzen ein, letzterer spielt ein kleines Riff, das er auch unter McLean und Hardman repetiert. Ein Thema hat das Stück wohl nicht, die Linien von McLean werden von Hardmans gedämpfter Trompete umschlängelt. Ohne Draper und anfangs auch ohne Waldron beginnt Hardman über Watkins und Taylor den Solo-Reigen. McLean übernimmt, dann Draper, auch hier recht überzeugend. Waldron hält die Begleitung sehr sparsam, Watkins‘ Bass ist sehr zentral und er kriegt denn auch ein kurzes Solo.
Ray Drapers „Minor Dream“ erinnert in der Einleitung an Waldrons „Dee’s Dilemma“, Taylor klöppelt einen Latin-Beat, Hardmans Trompete bläst bittersüss die Melodie, während McLean eine abfallende Gegenmelodie spielt. Draper spielt dann über einen swingenden 4/4 das erste Solo, sein Ton ist zwar nicht besonders fest und Art Taylor beschleunigt das Tempo ganz enorm… das führt wohl auch bei Draper zur einen oder anderen Unsicherheit – um Taylors Beschleunigung, die in Drapers Solo sofort losgeht, zu hören, lasse man nachdem das Stück ausgeklungen ist nochmal den Anfang laufen, dann hört man das Thema in beiden Tempi – wirklich eklatant hier! Egal, jedenfalls klingt Watkins trotzdem gut, er geht gezwungenermassen mit Taylor mit. Hardmans Solo ist sehr diskursiv, er spielt mit kleinen Motiven, Wiederholungen, kontrastiert diese mit langen Linien, oft in schnellen Sechzehntel-Läufen – und Taylor begleitet ihn sehr toll. McLean folgt, sein Ton etwas süsser als üblich, fast cremig. Waldron folgt mit einem schönen kurzen Solo, dann folgen exchanges von Draper, Hardman und McLean.
Die zweite Seite wurde im Quintett ohne Draper eingespielt, McLeans Blues „Beau Jack“ ist mit über elf Minuten die längste Nummer des Albums. Das Tempo ist zügiger als in Watkins‘ Blues, an thematischem Material gibt’s nur ein Lick, das von McLean/Hardman als call mit response von der Rhythmusgruppe gespielt wird, bis in den letzten vier Takten ein durchgehender 4/4 folgt. McLean spielt das erste Solo, lässt sich Zeit, Waldron begleitet sparsam und effizient, Watkins trägt die Musik mit seinem grossen Ton. Taylor und McLean fallen schon bald in double time, McLean kocht bald – ein sehr tolles Solo! Auch Hardman spielt ein sehr tolles Solo, gespickt mit double time Läufen. Dann folgt Waldron und hier ist er wieder, der frühe trockene Stil, dieses sich winden und drehen um einzelne Töne und Motive – wunderbar! Es folgen Exchanges von McLean und Hardman.
Den Abschluss macht Waldrons „Mirage“, eine melancholische Ballade in der Art von „Abstraction“ vom Album „4, 5 and 6″. Auch hier klingt McLean wieder fast süss, das Bittere bringt Hardman mit seiner gestopften Trompete ins Thema. Im Solo klingt McLean dann allerdings klagend, aber weich, getragen von Waldrons sanften Akkorden und Watkins Bass. Hardman folgt, dann kurz Waldron und dann wird das wunderschöne Thema repetiert.

Was Ray Draper betrifft, den grinsenden Jungen mit der Zahnlücke, so haben wir uns im Tuba-Thread mal ein klein wenig über ihn unterhalten und hier hat John the Revelator Drapers Album mit Coltrane vorgestellt und redbeans in der Folge nachgelegt; über das Album und auch das zweite von Draper mit Coltrane habe ich mich natürlich auch im Chronological Coltrane kurz geäussert.

Am 15. Februar waren McLean, Waldron und Taylor wieder im Studio Van Gelders, dieses Mal mit einem Bassisten namens Arthur Phipps. Die Session ergab elf Stücke, acht Standards gefolgt von zwei McLean Tunes und Coleman Hawkins‘ Klassiker „Bean and the Boys“. Die Stücke machten jeweils die Hälfte der Alben McLean’s Scene (NJ 8212, siehe oben für die andere Hälfte), Makin‘ the Changes (NJ 8231) und A Long Drink of the Blues (NJ 8253) aus, zwei weitere finden sich auf Strange Blues (PR 7500). (Jazzdisco gibt fälschlicherweise an, „What’s New“ von dieser Session sei auf NJ 8231, dort ist das Stück zwar zu finden aber von der Session vom 30. August 1957 mit Gil Coggins am Piano und Webster Young an der Trompete)

Arthur Phipps hat in den 40ern mit Babs Gonzales für Blue Note aufgenommen, Jack Maher schreibt über ihn:

Arturo Phipps (as he prefers to be known) has been in and around jazz sine he first came to New York with the Three Bips and a Bop. This same group brought Babs Gonzales to national prominence. During those days he gigged all over 52nd Street, with as he puts it, „Just about everybody.“ Some of those people were Sonny Rollins, Lennie Tristano, Lee Konitz; of a more later date have been Don Elliott and Gigi Gryce. Arturo has a photography business of his own and still gigs all over New York. This is his first appearance on the current New Jazz series.

~ Jack Maher, Liner Notes zu „Jackie McLean – McLean’s Scene“, Prestige / New Jazz 8212

„I Hear a Rhapsody“ wird im Rubato nur von McLean und Waldron eröffnet, fällt dann in ein zügiges Tempo, McLean spielt ein Solo, das nicht mehr so weit von den Stücken auf „Swing, Swang, Swingin'“ entfernt ist, Waldron folgt, dann nochmal McLean im Tempo, bevor das Thema wieder im Rubato wiederholt wird.
Mit Inbrunst spielt McLean Gershwins wunderbares „Embraceable You“ – endlich bleibt er auch mal im langsamen Tempo für einen Standard! Taylor swingt satt mit den Besen, Phipps Bass ist solide und überzeugend, Waldron begleitet sehr aufmerksam. McLeans Solo ist toll, sein Ton wunderschön rund, er geht locker in Sechzehntel-Läufe über ohne die Stimmung der Ballade zu durchbrechen. Waldrons Solo ist sparsam, reduziert.
„I Never Knew“ wird sehr schnell gespielt, Taylors dichte Begleitung treibt McLean, es macht Spass, ihn im Quartett zu hören, er ist mittlerweile reif genug, um – gerade mit Waldron, seinem mittlerweile besten Begleiter – auch allein genügen zu können. Sein Spielt strahlt Solidität und Reife aus, er wirkt stets gelassen, auch wenn er treibt und wie der Teufel swingt.
„These Foolish Things (Remind Me of You)“ wird im satten langsamen Swing gespielt, Taylor wieder mit Besen, Phipps Bass sehr stark aber rhythmisch etwas unsicher, aber McLean kann sich auf Waldron absolut verlassen, ihr Zusammenspielt klappt schlafwandlerisch sicher.
„Our Love Is Here to Stay“ ist wieder beschwingt und lässt einmal mehr an die spätere Blue Note Standards-Session denken. Phipps und Taylor swingen druckvoll, McLean klingt aufgeräumt, sein Ton fast ohne jegliche Bitterkeit, seine Linien klar und prägnant. Waldron spielt ein kurzes Solo, dann folgt nochmal McLean.
Mit „I Cover the Waterfront“ sind wir wieder im langsamen Tempo, Phipps walkt wieder solide aber rhythmisch ein wenig unsicher, Taylor swingt einen feinen Groove mit den Besen, unter McLean, der am langsamen Tempo festhält längere Zeit in double time, was einen schönen Kontrast gibt. Für Waldron stellt er die Begleitung um, lässt mehr Raum, geht aber schnell wieder in double time über. Waldron wirft hier ein paar blumige Bemerkungen ein, die fast nach Red Garland klingen. McLean spielt nach dem Thema eine schöne kurze Solo-Kadenz.
In „What’s New“ ist es dann McLean, der in double time drängt, derweil Taylor anfangs nur andeutungsweise mitgeht. Phipps klingt zwar wunderschön tief, aber hier scheint nicht alles so ganz zu stimmen, ryhthmisch. Waldron folgt mit einem Solo, dann nochmal McLean.
Mit „Old Folks“ folgt der achte und letzte Standard der Session, im walkenden Balladen-Tempo präsentiert McLean das Thema sehr bluesig, geht dann im Solo rasch in schnelle Läufe über, Taylor zieht fein swingend mit Besen mit, die Atmosphäre des Stückes bleibt aber intakt. In die Kadenz am Ende mischt McLean einige Bop-Phrasen.
„Bean and the Boys“ ist eine Nummer, die aus den Zeiten der 52nd Street stammt, Hawkins war harmonisch durchaus in der Lage, mit den Boppern mitzuhalten, hatte auch 1945 eine Band mit Howard McGhee und traf wiederholt mit Boppern zusammen oder holte sich welche in seine Bands. Auf der ersten Aufnahme des Stückes 1946 spielten mit Hawkins Fats Navarro, J.J. Johnson und Max Roach. Die Changes sind von „Lover Come Back to Me“ geliehen, das Tempo ist so schnell, wie die Bopper diesen Standard meist spielten. McLean brennt, frisst die Changes förmlich in sich hinein, und da sind wieder diese leisen Schreie zwischen seinen Phrasen. Das Stück ist mit achteinhalb Minuten das längste der Session und eindeutig der Höhepunkt. Taylors Getrommel ist McLeans Spiel an Intensität fast ebenbürtig, nach vier Minuten beginnt Waldron ein dichtes Pianosolo, das stotternd vorwärtseilt, in dem sich die Noten stellenweise zu überschlagen, die Linien Purzelbäume zu schlagen scheinen. Es folgen Fours von McLean und Taylor. Brennend und schreiend bringt McLean das Stück dann zu Ende.
Es folgt der „Strange Blues“, eröffnet von Phipps mit erdigen walking bass Linien. McLean startet mit ein paar Blues-Versatzstücken, die wohl im Moment improvisiert wurden, aber altbekannt klingen. Äussert effektiv setzt Waldron ein. McLean lässt sich Zeit, spielt relaxt, Waldron folgt und bei McLeans Wiedereinstieg gibt’s einen schönen kleine Dialog der beiden, bevor das Stück mit McLean ausklingt (nicht ohne dass Phipps seinen Bass noch ein paar mal schön rumpeln liess).
Die letzte Nummer der Session war „Outburst“, der Closer von „McLean’s Scene“ und wohl wieder ein Stück ohne Thema. Das Tempo ist halsbrecherisch, McLean von Anbeginn in Fahrt, Phipps wohl froh um die kleinen Breaks am Ende der Chorusse. Wir hören McLean wieder schreien. Waldron spielt ein kurzes Solo, dann folgen zum Abschluss Fours von McLean und Taylor und dann noch ein improvisierter Chorus McLeans zum Ende.
„McLean’s Scene“ ist jedenfalls in der Mischung aus Standards, dem langen titelgebenden Blues und diesem Ausbruch ein recht gelungenes Album.

Die Alben wurde (abgesehen von McLean’s Scene) an späteren Sessions vervollständigt, am 12. Juli folgte die zweite Session für Strange Blues, am 30. August die Session, mit der Makin‘ the Changes und A Long Drink of the Blues komplettiert wurden. In der Zwischenzeit nahm McLean aber noch neun weitere Sessions auf, u.a. mit Blakey, Ammons und Kenny Burrell/Jimmy Raney, sowie eine gemeinsam mit John Jenkins geleitete Session.

Art Taylor nahm an unzähligen Sessions teil in jenen Jahren, er war wohl der am häufigsten gebuchte Drummer für Hardbop-Session bei Prestige und Blue Note. So war es ncihts als gerecht, dass er hie und da ein Album als Leader machen konnte. Auf einem davon, Taylor’s Wailers, war auch Jackie McLean beteiligt. Die Frontline bestand aus ihm, seinem alten Kumpanen Donald Byrd und dem angehenden Monk-Tenoristen Charlie Rouse (der auch auf Taylors vielleicht bestem Album, „Taylor’s Tenors“, zu hören ist). Die Rhythmusgruppe bestand aus Taylor, Ray Bryant und Wendell Marshall.
Bryant gibt schon dem ersten Stück, Gigi Gryces‘ „Batland“ (wieder unter dem Pseudonym „Lee Sears“ eingetragen) einen Gospel-Einschlag. Rouse spielt das erste Solo, mit vielen Kanten und schönem Ton, McLean klingt danach fast ein bisschen dünn, wird aber vom fetten Groove der Rhythusgruppe getragen. Marshalls‘ Bass klingt auf der 20bit K2-CD riesengross und wunderbar. Byrd wechselt rasch in double time, Bryant folgt mit dem letzten Solo, dann unterhatlen sich Marshall und Taylor bevor das Stück mit der Wiederholung des Themas endet.
Das nächste Stück, „C.T.A.“ (eine Komposition von Jimmy Heath) stammt von einer anderen Session mit John Coltrane, Red Garland und Paul Chambers und war auch schon auf einem anderen Album zu hören. Laut Ira Gitlers Liner Notes hat Taylor das Stück selbst ausgesucht, um das Album zu vervollständigen.
„Exhibit A“ ist das bekannte Gryce/Sears-Stück, das McLean schon mit Blakey eingespielt hat. Die Solisten sind Byrd, McLean, Rouse, Bryant und Taylor, dann folgen kurz Fours von Byrd/Taylor. McLean klingt zwar toll, aber Rouse ist in grosser Form und stiehlt mit seinen trockenen Soli den anderen die Show.
Mit Ray Bryants charmantem „Cubano Chant“ beginnt die zweite Seite des Albums, der Komponist spielt das Thema am Piano, die Bläser geben Antwort und Taylor klöppelt Latin-Rhythmen. Rouse öffnet wieder mit einem grossartigen Solo, lässt sehr viel Raum für Bryant und Taylor, kostet die süffigen Changes voll aus. Er scheint die anderen Solisten anzustecken, jedenfalls glänzen hier alle mit tollen Soli.
Das Album endet mit zwei Monk-Stücken (neben Rouse war Taylor Ende der 50er mit Sam Jones in Monks Quartett), da ist zuerst „Off Minor“, Rouse soliert zuerst, gefolgt von Byrd, McLean (eckig und kantig, Monk angemessen!), Bryant und Taylor. Das Arrangement ist übrigens sehr „monk-isch“, er hat die Voicings anscheinend selbst beigetragen – wir hören hier die erste Version in einer grösseren als einer Piano-Trio-Besetzung.
Zum Ende hören wir „Well You Needn’t“, Taylor macht den Auftakt, die Bridge gehört Bryant, dann beendet Byrd das Thema und spielt das erste Solo. Rouse, McLean und Bryant folgen, dann hören wir für einen Durchgang Byrd und Taylor im Dialog, vor Taylor einen Chorus alleine trommelt. Der letzte Chorus gehört nochmal Byrd, der erst in den letzten acht Takten (wie am Anfang) das Thema spielt. Dass Monk von Charlie Rouse beeindruckt war ist jedenfalls anzunehmen, er spiellt auch hier das tollste Solo, scheint völlig in die Welt Monks einzutauchen. Bryant gelingt übrigens das seltene Kunststück, seine Soli stark nach Monk klingen zu lassen, ohne dabei seinen eigenen Stil zu verleugnen – sehr toll in beiden Stücken!

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