Re: john lenwood "jackie" mclean

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gypsy-tail-wind
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Das neue Jahr sollte wohl das an Aufnahmen reichhaltigste in McLeans ganzer Karriere werden. Er war mittlerweile zur reifen Stimme im Hardbop-Zirkus gewachsen.

Die erste Session des Jahres landete auf dem nächsten Jam-Album von Gene Ammons. Eine neue Stimme ist zu hören: Kenny Burrells Gitarre, die auf zwei dieser Alben zu hören ist. Daneben ist die Band fast unverändert: Ammons, McLean, Farmer, Waldron, Watkins und Taylor.
„Funky“ ist ein Riff-Blues von Burrell, den Watkins mit ein paar Takten walking bass öffnet, damit auch gleich den Ton vorgibt. Die Bläser spielen das Thema zweimal, Waldron füllt recht hübsch, verzahnt sich mit Burrell. Ammons bläst das erste Solo über Watkins‘ imposanten Bass, Taylor und Waldron halten sich anfangs sehr zurück. Burrell schleicht sich ein, während Waldron dichter zu compen beginnt und Taylor langsam Druck macht. Ammons‘ Solo ist ein Lehrbuchbeispiel, wie man auf entspannte Weise ein schönes Statement konstruiert. Burrell folgt, sein Ton weich und singend – in diesen Jahren vor Grant Greens Ankunft in der Jazz Szene ist er wohl mein Lieblingsgitarrist, und hier wird mir wieder mal vor Augen geführt, weshalb. McLean ist der nächste Solist, die Temperatur steigt ein wenig an, aber auch er ist sehr relaxt. Farmers Solo ist wieder wunderbar frisch und lyrisch, vielleicht das schönste in diesem Stück. Unter Waldron ist Kenny Burrell wieder deutlich zu hören – diese Rhythmusgruppe aus Waldron, Burrell, Watkins und Taylor ist für mich eine der besten aus diesen Jahren (obwohl ich gar kein grosser Fan von Taylor bin, an sich… auf „The Cats“ gibt’s sonst noch die Variante mit Louis Hayes am Schlagzeug).
„Pint Size“, das längste Stück der Session, stammt von Jimmy Mundy und hat ein leicht zickiges jump Thema (ein einfaches Riff mit improvisierter Bridge), das einer Big Band in der Tat gut angestanden wäre. Wieder geht Ammons als erster in die Runde, wieder glänzt Watkins mit seinem Sound und seinen Linien. Farmer folgt, erneut wunderbar, mit schönem Kommentar von Taylor und einigen tollen 16tel Passagen. McLean steigt mit einer tollen Phrase in sein Solo ein, spielt mit wunderbarem Ton ein lockeres Solo, hie und da lässt er den Ton schon fast sich überschlagen, wie er das später oft tun sollte, diese leicht aufgerauhte Spielweise, die sein Instrument hart an die Grenze treibt. Auch Burrell glänzt mit rasanten Läufen.
„Stella By Starlight“ wird wieder langsam von Ammons präsentiert und abgeschlossen, dazwischen hören wir Soli in double time.
Das letzte Stück, „King Size“, wird von Ammons mit einem kurzen Intro eröffnet, es stammt wieder von Jimmy Mundy, wieder legt Taylor Big Band-artige Rhythmen unter das Riff-Thema (dieses Mal auch mit einer Riff-Bridge). Ammons startet den Solo-Reigen, Farmer rifft hinter ihm, Taylor treibt, man hört Ammons wieder, zwischen den Phrasen stöhnen und seufzen. Er honkt und ist eindeutig in Pres‘ Ländereien. Farmer folgt, dann McLean und Ammons, Burrell und Waldron, der wohl sein schönstes Solo der Session spielt. Es folgen Fours von McLean/Burrell und Farmer/Ammons (ohne Taylor dazwischen, der dreht aber mächtig auf).
Auch dieses Album ist wieder eine sehr runde Sache – irgendwie scheint Ammons‘ scheinbar unendliches Selbstvertrauen, diese unglaubliche Lockerheit und Gelassenheit, auf seine Mitmusiker sehr stark abzufärben, denn so entspannt wie hier hört man sie kaum sonst, am wenigsten McLean!

Die nächsten Sessions mit Art Blakey fanden am 14. Januar und am 11. Februar in New York statt, wurden aber auf Pacific Jazz veröffentlicht. Wie schon bei den Columbia-Sessions vom Dezember entstand etwas über eine Stunde Musik. All Stücke sind auf der Blue Note CD Ritual von 1988 zu finden, in etwas eigenartiger Anordnung, aber was soll’s…
„Little T“ von Donald Byrd steht am Anfang, Blakeys dichtes Getrommel ist sofort zu spüren und ein grosser Kontrast zu Taylor. McLean und Hardman spielen schöne Soli, nach Dockery folgt Blakey mit einem tollen, langen Solo.
„Exhibit A“, das zweite Stück, das nicht auf dem „Ritual“-Album war, hat Blakey mit Gigi Gryce geschrieben, der im Mai 1954 an eine EmArcy-Session Blakeys (mit Joe Gordon und Walter Bishop) beteiligt war und auch als Komponist auftrat. Das Stück hier hat er wie „Wake Up“ unter dem Pseudonym Lee Sears veröffentlicht. Das Stück öffnet mit einem Intro, das einen Kontrast zwischen den recht langsamen Linien der Bläser und Blakeys nervösen schnellen Rhythmen bietet, dann folgt das eingängige Thema. Hardman soliert als erster, dann folgt McLean, intensiv und brennend aber doch rhythmisch relaxter als oft. Dockerys Klaviersolo ist sehr gut, er und Spanky DeBrest (den Namen müsste man erfinden wenn es ihn nicht gäbe!) tauchten nach ihrem Gig mit Blakey rasch in der Versenkung ab, obwohl sie noch einige Jahre um ihre Heimat Philadelphia aktiv waren. Nach seinem Drum-Solo leitet Blakey wieder in das rasante Interlude über, von da zurück ins Thema…. eine atypische Nummer für Blakey, der man Gryces leitende Hand sehr anhört.
Das Album „Ritual“ (mehr zu den Veröffentlichunen unten, bin mir da aber auch nicht in allen Details sicher) beginnt dann mit Duke Jordans 1954 erstmal eingespieltem „Scotch Blues“: über Blakeys Marsch-Snare legt Hardman einen Fanfare, McLean spielt quasi Dudelsack, während Dockery etwas herumklimpert. Dann geht’s direkt in einen fetten 4/4 mit starkem Bass von DeBrest und McLean als erstem Solisten. Er und Hardman spielen tolle Blues-Soli, Hardman glänzt mit einigen double time Linien, einem vokalen Sound mit vielen Dehnungen und Biegungen und überhaupt sehr lyrischem Spiel. DeBrest lässt seinen Bass schnarren als Dockery zum Piano-Solo ansetzt.
„Once Upon a Groove“ stammt von Owen Marshall, einem Trompeter und Pianisten aus Philadelphia, dessen Musik schon auf Lee Morgans ersten beiden Blue Note Alben zu hören war. Auch Max Roach hat 1958 eins seiner Stücke aufgenommen. Das ist klassischer Hardbop, mit kleinen hooks und sehr eingängigen Phrasen, auch die Rhythmusgruppe muss im Thema ein wenig mitdenken, für die Soli geht’s dann aber in einen swingenden 4/4 und Hardman hebt sofort ab, getragen von Blakeys toller Begleigung. Auf Dockery folgt McLean und Blakeys Begleitung ist schlicht umwerfend. In diesem Tempo war er unerreicht, sein Fluss an rhythmischen Einfällen bricht jedenfalls im ganzen Stück nicht ab und spornt auch McLean zu einem schönen Solo an und spielt dann selber ein tolles Solo.
Dockerys „Sam’s Tune“ ist eine Uptempo-Nummer mit Latin Rhythmen während dem Thema und tollen Soli von McLean, Hardman, und zum Ende intensiven Fours mit Blakey. Waldrons „Touche“ (vom Komponisten wenig später in einer typischen Prestige-Session eingespielt) ist relaxter, enthält eine Bridge im 6/8-Takt. Dockery spielt schon ein Intro und soliert nach dem Thema auch als erster. Die lyrische Stimmung kommt ihm und auch Hardman sehr entgegen. McLean folgt als letzter und ist auch im Thema nochmal solistisch zu hören, improvisiert über den 6/8-Tag, der am Ende angehängt wird.
Das rasante „Wake Up“ ist Gryces zweiter Beitrag zur den Sessions, McLean soliert als erster, sein Ton anfangs so schwer, dass man fast an ein Tenorsax denkt. Hardman, Dockery und Blakey folgen.
Der Höhepunkt der Sessions ist das Titelstück des Albums, das fast zehn Minuten lange „Ritual“ von Blakey, das er mit einer zweiminütigen gesprochenen Einleitung:

In 1947, after the Eckstine band broke up, we — took a trip to Africa. I was supposed to stay there three months and I stayed two years because I wanted to live among the people and find out just how they lived and — about the drums especially. We were in the interior of Nigeria and I met some people called the Ishan people who are very, very interesting people. They live sort of primitive. The drum is the most important instrument there: anything that happens that day that is good, they play about it that night. This particular thing caught my ear of the different rhythms. The first movement is about a hunter who had went out — there was three of them. They were after one girl. She was a very pretty girl. They wanted her. And this particular one, he went out — the guys would tease him a lot because he was the shortest one in the — tribe. And he went out and he was the best hunter, so he ended up with the girl. And this time they started playing the drums and expressing to her that he had caught the most game and to prepare for the feast that night. And the second movement is a movement where there’s a little girl, she wanted to go out and play, and her mother didn’t want her to go out and play and it was an argument going on between the two and so the drummers would play. And the little brother comes up and he persuades the mother to let her go out. So that’s a big deed that day for the little boy who persuaded his mother, so they played about it. And the last part of it, I have a little bit of — American movements in there, the last bit of it is about the first time they had seen an automobile that day. And that’s the reason I put in some American movements on the drums. And — they played about it that day.

~ Art Blakey, transcription of „Art Blakey’s Comments On ‚Ritual'“ from the 1957 Pacific Jazz album Ritual. (Quelle, 2011-04-25)

Abgesehen von ein wenig Sax und Trompete am Ende spielen alle fünf Messengers hier Perkussionsinstrumente: McLean die hohe cowbell, DeBrest die tiefer, Dockery ist an Maracas und Hardman an Claves zu hören.

Der grösste Teil dieser Session erschien auf dem Album „Ritual“ (PJ-402), die beiden Stücke „Lil‘ T“ und „Exhibit A“ erschienen zusammen mit Elmo Hopes einziger Pacific Jazz Session (1957-10-31 mit Stu Williamson, Harold Land, Leroy Vinnegar und Frank Butler) auf PJ-33 („The Jazz Messengers Featuring Art Blakey/The Elmo Hope Quintet Featuring Harold Land“). Es gab zudem diverse Singles, EPs… auf PJ-15 (25cm LP nehme ich an) waren die Stücke von PJ-402 ohne „Ritual“ und Blakeys zweiminütigen Kommentar dazu. Der Inhalt von PJ-15 sowie die beiden Stücke von PJ-33 wurden von Blue Note später auf LT-1065 neu aufgelegt.

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