Re: john lenwood "jackie" mclean

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„I went with Art Blakey, the Daddy, when I left Mingus. I worked with Art for nearly three years and traveled all over the States. He is the greatest bandleader I’ve ever worked with, as a leader, you know. He’s strong, tender-hearted, firm and quite intelligent. He sets a pace as far as swinging goes, and very few can keep up with him night after night. He honored me by telling me that I was the only alto player he would hire, and he’s used tenor players since.“

~ Jackie McLean, zitiert von Valerie Wilmer in: Jazz Journal, Juli 1961, S.4. (Quelle, 2011-04-25)

McLean und Hardman nahmen am 12. und 13. Dezember erstmals mit den Jazz Messengers von Art Blakey auf, die Stücke wurden als Hard Bop (Columbia CL 1040) und auf der zweiten Seite von Drum Suite (CL 1002) veröffentlicht. Ich habe über diese Sessions schon im Blakey-Thread geschrieben:

gypsy tail windAm 12. und 13. Dezember 1956 ging Blakey dann mit der neuen Band zum ersten Mal ins Studio. Bill Hardman und Jackie McLean hatten schon gemeinsam aufgenommen, Hardman war aber wie Sam Dockery und Spanky DeBrest damals (wie heute) wenig bekannt. Was der Band fehlte war ein Komponist, ein musical director vom Format, wie Blakey ihn zuvor mit Horace Silver (und Mobley) hatte und dann 1958 in Benny Golson und später u.a. in Bobby Timmons oder Wayne Shorter fand. Die Musik ist dennoch erstklassig und einige der aufgenommenen Stücke sind heute ziemlich bekannt: Gigi Gryces „Nica’s Tempo“, McLeans „Little Melonae“ oder Mal Waldrons „Dee’s Dilemma“. Das erste und letztgenannte erschienen auf dem Album „Drum Suite“, das zur Hälfte aus diesen Dezember-Sessions und zur zweiten Hälfte aus der ersten Perkussions-Session im Februar 1957 zusammengesetzt wurde. Zudem nahm das Quintett ein Gershwin-Medley auf, das (wie die überschüssigen Stücke vom ersten Messengers Columbia-Album und die Session mit Sullivan/Ware auf der Compilation „Originally“ landete).

Jackie McLean gleicht mit seinem fetten Sound problemlos den Mangel an Schwere und Tiefe aus, der mit dem Verlust des Tenors hätte einhergehen können, er und Hardman sind ein gutes Team, Hardman spielt schnell, virtuos, aber mit einem brüchigen lyrischen Ton – ein grosser Unterschied zu Donald Byrd! In seinen Liner Notes zum 2005er Reissue von „Drum Suite“ schreibt Kenny Washington:

The second half of this CD represents two rarely mentioned Messengers ensembles of the 50’s [mit dem zweiten ist die Byrd/Sullivan/Drew/Ware-Version gemeint]. The first with Jackie McLean and Bill Hardman is one one of my favorites. […] This edition of the Messengers (sometimes with the great tenor man Johnny Griffin) recorded nine high quality albums for six different labels within a two-year span. That’s pretty impressive.

[…]

Jackie and Bill had a very special chemistry. You can really hear it on „D’s Dilemma.“ Their sounds go together like a cool gin and tonic.

~ Art Blakey: Drum Suite by Kenny Washington, Liner Notes, Sony/Legacy 2005

Die Rhythmusgruppe funktioniert perfekt, Dockery steuert schöne Soli bei und auch Blakey lässt immer wieder aufhorchen, etwa mit seinen raffinierten Fills während Hardmans Trompetensolo in „Stanley’s Stiff Chickens“.

Hier ist McLean wieder mit seinem cry, seiner drängenden Intensität zu hören, schon sein Solo im ersten Stück von „Hard Bop“ ist intensiv, brennend. Hardman wirkt ebenfalls angesteckt, sein Spiel noch diskursiver, zugleich intenstiver und offen-lyrischer. Das Stück „Cranky Spanky“ stammt von Hardman, ist dem 19jährigen Bassisten der Band gewidmet.
In „Stella By Starlight“ bleibt McLean eng am Thema, während Hardman trotz des mittelschnellen Tempos ein äusserst lyrisches Solo spielt, aus einem scheinbar endlosen Fundus von Ideen gespiesen. „My Heart Stood Still“ ist der nächste Standard, im schnellen Tempo dargeboten mit einem tollen Solo von McLean. Auch Hardman ist in Form, und Pianist Sam Dockery speist ihn mit spannenden Einwürfen. Blakeys Beat ist so solide wie damals wohl kein zweiter moderner Drummer, das kommt offenbar dem Temperament beider Bläser sehr entgegen. Die Stereo-Version, die auf der Mosaic-CD-Ausgabe zu hören ist, ist zudem länger als die zuvor veröffentlichte Mono-Version (die Mosaic-CD enthält von allen Stücken zum ersten Mal die Stereo-Mixes.)
McLeans „Little Melonae“ folgt, Hardman gelingt ein wunderbarer Einstieg ins Solo, Dockery legt stotternde Akkorde. Hardmans Solo ist wieder sehr toll, er bietet den Kontrast zu McLean (der mit einem tollen Solo voller Triller und kleiner Motive folgt), den Byrd nicht brachte. Michael Cuscuna schrieb 2006 in seinem „Addendum“ im Booklet zum Mosaic-Reissue der kompletten Sessions vom 12. und 13. Dezember 1956:

Beyond Blakey’s always magnificent and contoured drumming, this quintet’s strongest asset was the beautiful, tart blend of Jackie McLean’s alto sax and Bill Hardman’s trumpet. They phrased together with a forward thrust and their brash, peppery tones created a distinctive front-line sound.

~ Michael Cuscuna: Addendum, Liner Notes zu „Art Blakey & The Jazz Messengers – Hard Bop“, Mosaic MCD-1005

„Stanley’s Stiff Chickens“ ist das letzte Stück von „Hard Bop“ und das längste der ganzen Sessions, McLean und Hardman haben es gemeinsam komponiert – und man hört hier sehr gut, wie die beiden zusammen harmonieren. McLeans Ton klingt leicht bitter, sein Solo ist sehr toll!

„Little Melonae“ hatte McLean schon für sein Ad-Lib-Album eingespielt, die Version von Miles Davis blieb lange Zeit im Schrank, es war also diese Version auf „Hard Bop“, die das Stück zum ersten Mal bekannt machte. Kenny Burrell und Jimmy Raney nahmen es (mit McLean in der Band) für ihr Prestige-Album „2 Guitars“ auf, ebenso Coltrane für sein tolles Album „Settin‘ the Pace“.

Drei Stücke von den Dezember-Sessions machten Seite zwei von Drum Suite aus (auf der ersten Seite war die titelgebende Suite zu finden, Blakeys erste Drums-Session, die im Februar 1957 eingespielt wurde, mehr dazu hier).
„Nica’s Tempo“ von Gigi Gryce ist das erste derr drei Stücke. Dank Aufnahmen von Gryce selbst, sowie von Oscar Pettiford und Art Farmer war es schon damals auf dem besten Weg war, ein Jazz-Klassiker zu werden. Blakey öffnet mit einem Intro, das Thema ist völlig durchkomponiert, auch was die Parts der Rhythmusgruppe betrifft, danach geht’s im swingenden 4/4 weiter. McLean spielt das erste Solo, gefolgt von Dockery, Hardman
Kompositorisch gesehen ist „Dee’s Dilemma“ auch von diesen Sessions neben „Nica’s Tempo“ und „Little Melonae“ der Höhepunkt – und in der Version von Blakey klingt es einiges zwingender und fokussierter als zuvor auf „Jackie’s Pal“. Gerade Blakeys Begleitung macht viel aus, die Rhythmusgruppe spielt hier auch viel besser zusammen, es stimmt eigentlich alles. Von „Dee’s Dilemma“ hatte Mal Waldron hatte selbst auch noch eine Version eingespielt, das Stück geriet aber in Vergessenheit, bis es in den 70ern von Art Farmer und Chet Baker wieder ausgegraben wurde.
Auch „Just for Marty“ überzeugt hier wesentlich mehr – auch wenn diese Band nicht Blakeys beste war, so ist sie doch massiv unterschätzt und die Musik, die an diesen beiden Tagen aufgenommen wurde, ist Hard Bop vom allerfeinsten!

Johnny Griffin, der wenig später zur Band stiess (teils neben, teils anstelle von McLean), äusserte sich später wie folgt über diese Gruppe:

„My experience in Art’s band was excellent because that’s exactly the style of music I like to play. Very explosive, strong, fire all the time. We used to have games, like warfare, between the front line and back line – the horns and the rhythm section. There was a spirit of competition, but in a playful and positive spirit.“

~ Johnny Griffin, zitiert von Len Lyons in: Down Beat, 9. August , 1979, S.15 (Quelle, 2011-04-25)

In den Sessions im Dezember wurde zudem ein kurzes Gershwin-Medley eingespielt, das im Frühling 1957 erneut für Blakeys Cadet-Album „Tough“ (LP 4049, später Teil des Doppel-Albums „Percussion Discussion“ (Chess CH2 92511), dessen andere LP ein Max Roach-Album enthielt) eingespielt wurde. Cuscunas Kommentar im Booklet der Mosaic-CD:

In addition to the originally issued material, we have completed the session with a Gershwin medley that the same band later recorded on the Cadet album Tough. I never asked Blakey if this four-tune routine was a reverent tip of the had to a great American composer or a private joke that seemed to please audiences. The fact that it starts with the most overwrought of Gershwin pieces, is played with vibrato and never really develops in terms of solos makes me suspect the latter.

~ Michael Cuscuna: Addendum, Liner Notes zu „Art Blakey & The Jazz Messengers – Hard Bop“, Mosaic MCD-1005

Das Stück landete ursprünglich auf Originally, einer Reste-LP, auf der ausserdem vier Stücke von den Sessions zu „The Jazz Messengers“ (CL 897) sowie die beiden Stücke, die mit Ira Sullivan und Wilbur Ware eingespielt wurden, zu hören waren (mehr Infos).

Die letzte Session des Jahres fand am Tag darauf, dem 14. Dezember 1956 in Rudy Van Gelders Studio in Hackensack, NJ, statt. Neben McLean und Hardman waren Red Garland (p), Paul Chambers (b) und Art Taylor (d) zu hören, sie nahmen drei Stücke auf, die Hälfte des Albums McLean’s Scene (New Jazz 8212).
Das erste Stück, der Opener des Albums, ist der Standard „Gone With the Wind“. McLean und Hardman präsentieren gemeinsam das Thema, der Trompeter soliert zuerst, einige witzige Ideen säumen seinen Pfad, sein Solo entwickelt einen schönen Sog. Garland folgt mit einem tollen Solo – und so sehr ich Mal Waldron mag: Garland macht das hervorragend, auch Taylor fügt sich sofort wieder perfekt ein, sein Spiel ist Welten von Blakeys Können entfernt, aber er treibt die Band rumpelnd voran – genau das brauchte McLean, und genau das konnte seltsamerweise Philly Joe auf „Jackie’s Pal“ nicht richtig bringen. Chambers macht seine Sache zwar gut (hier mit einem gestrichenen Solo), aber ich freue mich dennoch schon wieder auf die kommenden Sessions mit Doug Watkins im Januar und Februar 1957.
Es folgt „Our Love Is Here to Stay“ von der Session vom 15. Februar, auf die ich später eingehen werde. Dann endet die erste Seite mit dem alten Standard „Mean to Me“. McLean soliert zuerst, gefolgt von Garland (der mit dieser Art Material perfekt zurecht kommt), Hardman (mit Dämpfer), einer kurzen Runde von Fours mit Taylor, dann Chambers, der ein tolles Pizzicato-Solo spielt, mit einigen Griffen, die fast an eine Gitarre gemahnen, und aus mit dem Thema, von McLean und Hardman im Wechsel präsentiert.
Das dritte Stück vom 14. Dezember ist Jackies Original „McLean’s Scene“, mit etwas über zehn Minuten das längste des Albums, wenig überraschend ein Blues, das Tempo mittelschnell. Garland öffnet solo, dann mit Chambers und Taylor – er war ein exzellenter Blues-Pianist und beherrschte es auch, Stücke angemessen zu eröffnen, sei es mit der ausgestorbenen Art kurzer Piano-Intros wie auch (wie hier) mit mehreren Chorussen. Nach über zweieinhalb Minuten setzten McLean und Hardman ein – ein Thema sucht man hier vergebens, die beiden spielen über mehrere Chorusse fours, bevor Hardman dann zu seinem eigentlichen Solo ansetzt – und das ist einmal mehr sehr toll! McLean folgt seinerseits mit einem schönen Solo, hat allerdings etwas Mühe mit seinem Blatt, schrammt einige Male haarscharf an Kiecksern vorbei, was ihn allerdings kaum zu stören scheint. Taylor treibt ihn aufs schönste, wie wir mittlerweile schon gewohnt sind. Es folgen ein kurzes Schlagzeug-Solo und dann ein längeres, tolles gezupftes Bass-Solo, in dem Chambers seinen Bass richtiggehend sprechen lässt, bevor
Das Album endet dann mit „Old Folks“ und „Outburst“, zwei weiteren Stücken vom 15. Februar.

Was mir nicht klar ist: warum erscheinen ab „McLean’s Scene“ einige von Jackies Alben plötzlich bei New Jazz? „Makin‘ the Changes“ (NJ 8231) und „A Long Drink of the Blues“ (NJ 8253) erschienen dort, während „Jackie McLean & Co.“ (PR 7087), „Strange Blues“ (PR 7050), „Alto Madness“ (mit Co-Leader John Jenkins, PR 7114) und auch Ray Drapers „Tuba Sounds“ (PR 7096) auf dem Hauptlabel erscheinen.
Ich glaube wir hatten uns über New Jazz schon im Prestige-Thread ein wenig unterhalten, kann mich aber nicht mehr genauer erinnern, ob’s ein Konzept hinter dem Label gab oder ob das von Anfang an wenig einleuchtend war.

Zum Abschluss noch ein längerer Auszug aus Jack Mahers Liner Notes für „McLean’s Scene“:

There’s much of the „hung lover“ in Jackie’s playing these days. This is a quality of feeling that has to do with loss, with hurt and with raw tenderness. In this respect, his playing has a relationship with the singing of Billie Holiday. Of course their individual approach to music is entirely different, but in their quality of feeling, in their emotional projection, both seem to be carrying a „torch“ for life.

The quality of suffering that is projected in the music of both these artists is a quality that exists beneath the tough, worldly veneer that they musically affect. In Billie’s singing, this veneer is projected as a strange kind of stoicism; in Jackie’s playing, it’s an angry defiance. What’s underneath the sound and style, in both cases, is something distinctly human, distinctly perplexed and perplexing. Their music is the crystalization of „hard“ living, of pleasure without joy, of disappointment and, in some respects, frustration. Underneath the hard and „jaded“ exterior of their music is a deep sensitivity for what’s right with the world through an expression of what’s wrong with the world.

When Jackie plays, he expresses himself in hard clipped phrases that, superficially, act tough and rude, but that in themselves are an expression of grief. He is asking, he is wondering, he is anxious.

~ Jack Maher, Liner Notes zu „Jackie McLean – McLean’s Scene“, Prestige / New Jazz 8212

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