Re: john lenwood "jackie" mclean

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gypsy-tail-wind
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George Wallington war 1955 schon im zweiten Teil seiner Karriere. Er hatte 1944 auf der 52nd Street mit Dizzy Gillespies erster Bebop-Combo gespielt und war mit Stücken wie „Lemond Drop“ und „Godchild“ auch als Komponist hervorgetreten. Mit 30 leitete er eine junge Band, die dem Hardbop zugetan war. Drummer Art Taylor (26), Bassist Paul Chambers (20), Trompeter Donald Byrd (22) und Altsaxophonist Jackie McLean (23) vervollständigten sein Quintett.
Byrd war eben aus Detroit nach New York gekommen, der Job bei Wallington war sein erster in einer name band. Chambers, der Benjamin der Gruppe, hatte bereits mit Bennie Green und Paul Quinichette getourt, als Resultat seines Gigs mit Wallington wurde er noch im selben Herbst von Miles Davis engagiert. Auch für McLean war der Job bei Wallington der erste längere in einer namaften Gruppe.

Das Album öffnet mit einer modernen Version des alten Rodgers-Hart Standards Johnny One Note. McLean ist schon in der Präsentation des Themas die herausragende Stimme, die Stimme, die sich über das Ensemble hinausschwingt, sich Gehör verschafft. Sein Solo ist bewegt, leider wurde sein Ton unter den Live-Umständen weniger schön eingefangen als im Studio. Dennoch hat sein Solo einen Vorwärtsdrang, der mitreissend ist. Chambers/Taylor leisten dazu ihren Beiträg. Byrd folgt mit einem schönen Solo, sein Spiel damals war lyrisch, nicht sehr weit von Miles Davis entfernt, aber viel gepflegter und technisch sauberer umgesetzt. Er mag der meistgeschmähte Trompter des Hardbop sein (man nennt sein Spiel gern „akademisch“ – er war ja später auch als College-Professor tätig), aber mir gefallen sowohl seine frühen Aufnahmen (besonders toll ist das Columbia-Album mit den Jazz Messengers von Art Blakey) als auch die Sachen aus den 60ern, als sein Spiel eine neue Einfachkeit und Klarheit erlangte.
Wallingtons Solo ist verspielt, verschroben, eigenartig. Sein Stil ist akkordischer und dichter, gewissermassen kompositorischer, als was wir uns vom Hardbop gewohnt sind – er war kein Hardbopper, leitete aber bis Ende 1957 eine der tollsten Band dieser neuen Richtung (McLean wurde schon bald von Phil Woods abgelöst, er ist nur auf diesem ersten Album zu hören, Teddy Kotick war der würdige Ersatz für Paul Chambers, und Nick Stabulas löste Art Taylor ab). Wallington nahm während der beiden Jahre auch ein Album im Trio (mit Kotick/Stabulas) auf sowie eins im Quartett/Quintett mit J.R. Monterose und Jerry Lloyd. Sein drittes Leben als Jazzer hatter er 1984, als er zwei Solo-Einspielungen machte.
Das Stück endet mit einem kurzen gestrichenen Solo von Paul Chambers. Weiter geht’s mit Sweet Blance von Wallington, einem Stück mit einer typischen Bop-Linie. Byrd soliert als erster, aber auch hier ist es McLean, dessen Solo von Emotionen überläuft. Wallington mit einem schlanken Solo mit hart gemeisselten Linien in der Rechten und manchmal blumigen Akkorden der Linken und Chambers (pizzicato) folgen.
Das dritte Stück ist McLeans Minor March, der hier von einer working band gespielt noch schneller und intensiver rüberkommt als mit Miles. McLean spielt das erste Solo, seine langen Linien schlängeln sich durchs Stück, sein Ton klingt satt und rund. Byrd übernimmt, lässt viel Raum zwischen seinen schnellen Linien, die sich meist in der mittleren Lage bewegen. Wallington ist hier eindeutig inspiriert, sein Spiel von einer grossen Klarheit. Chambers Walking-Linien sind prägnant und fallen immer wieder auf, er spielt hier wieder ein gestrichenes Solo, gefolgt von Fours zwischen Taylor und den Bläsern.
Die zweite Hälfte beginnt mit McLeans Stück Snakes, einer neuen Linie über der Struktur von „Get Happy“. Das Thema wird streckenweise nur von den Bläsern und Taylor in stark rhythmisierter Halftime präsentiert, der Wechsel ins rasante 4/4 ist sehr effektiv, McLean ist wieder der erste Solist und weiss zu überzeugen. Byrds Solo gerät überzeugender, flüssiger, Wallington füttert ihn stark mit Akkorden – vielleicht Byrds bestes Solo des Albums. Wallington folgt, dann kriegt Art Taylor ein kurzes Drum-Solo, bevor das Thema repetiert wird.
Donald Byrds Jay Mac’s Crib ist ein relaxtes Mid-Tempo Stück mit fettem Walking Bass von Chambers und relaxtem Swing von Taylor. Das Vorbild, das Byrd hier abkupfert, ist kaum getarnt: „Softly As in a Morning Sunrise“. McLean soliert als erster, sehr entspannt, getragen von Chambers tollen Walking-Linien und Taylors variantenreichen Drums. Byrd folgt, dann Wallington, der in diesem entspannten Tempo anders klingt, viel Pausen spielt, Raum lässt, mit Motiven von „Softly…“ herumspielt. Kein besonders grossartiges Solo, aber eins, das ihn von einer ganz anderen Seite zeigt. Chambers folgt mit einem ausgedehnten Solo (pizzicato), in hervorragender Laune.
Das Programm endet mit einem Klassiker von Oscar Pettiford, Bohemia After Dark – das Stück ist dem Cafe Bohemia gewidmet, Pettiford nutzte es als Set-Closer, als er dort spielte. Pettiford machte sich einen Spass draus, das Stück zu spielen, wenn Gäste zu seiner Gruppe stiessen, denn die Bridge ist rhythmisch sehr trickreich. Manche anderen Musiker haben damals Versionen des Themas aufgenommen und zahllose haben es gespielt. Die Soli von McLean und Byrd (er steigt mit „Love Me or Leave Me“ ein) sind entspannt, Byrd klingt aber mittendrin mal ziemlich verloren. Wallington folgt, dann Chambers mit einem weiteren tollen Pizzicato-Solo. Es folgt im selben Track aber klar durch Applaus abgetrennt der Theme-Song der Band „The Peck“, der nur ein paar Sekunden dauert.

Als Bonustrack enthält die CD einen Alternate Take von Minor March, der fast eine MInute länger ist. Angemerkt dazu steht, dieses Stück sei zuerst auf Progressive 7001 erschienen. Das Album enthielt ein volles Set derselben Stücke in Alternate Takes (Cover unten).
Welches Cover das originale von Progressive 1001 war ist mir unklar, das rote oben enthält eine spätere Katalognummer (eine Japanische von Baybridge wohl). Ebenso ist mir unklar, ob das grüne Cover im vorangehenden Post das Original Cover von Prestige war (PR 7820) oder nicht.
Vielleicht weiss unser Hardbop-Vinyl-Experte katharsis dazu mehr?

Das Stück „The Peck“ (das auf dem grünen Prestige-Cover vermerkt ist) wurde auf keinem LP-Label oder Backcover verzeichnet, wie es scheint. Lonehill hat eine komplette Doppel-CD im Angebot, auf der die beiden Versionen aller Stücke ausser „Bohemia After Dark“ (es existiert nur eine Version) sowie zwei weitere alleinstehende Versionen von „The Peck“ (eine davon war auf Progresssive 7001, woher die zweite kommt ist mir unklar) zu hören sind (und als Bonus die tolle Blue Note Session vom Jahr davor mit Dave Burns, Jimmy Cleveland, Frank Foster, Danny Bank, Oscar Pettiford und Kenny Clark sowie Arrangements von Quincy Jones).

Im Oktober 1955 nahm McLean dann sein erstes Album als Leader auf. Es erschien zuerst auf dem Ad-Lib Label unter dem Titel „The New Tradition“, später auf Jubilee als „The Jackie McLean Quintet“ und später auch bei Trip, Josie, Roulette, Fresh Sound etc. Die heute am einfachsten zu findende Version dürfe der Lonehill CD-Twofer „The Complete Jubilee Sessions“ sein, auf dem die beiden Alben „The New Tradition“ (Oktober 1955) und „Jackie McLean Plays Fat Jazz“ (Dezember 1957) zu hören, sind, die seine Prestige-Alben einrahmen.

Das erste Stück des Albums ist der Standard It’s You Or No One (den Johnny Griffin, Dexter Gordon und andere auch gerne mochten). McLean und Byrd passen gut zusammen, Byrd klingt etwas reifer, selbstbewusster, sein Ton kommt in Van Gelders Studio besser zur Geltung als im Bohemia. Mal Waldron (p), Doug Watkins (b) und Ronald Tucker (d) vervollständigen die Band, Waldron spielt ein recht spezielles Piano-Solo, das schon beinahe typisch für seinen späteren Stil klingt. Es folgen Exchanges von McLean und Byrd (ohne störende Drums dazwischen – eine schöne Idee, die viel zu selten zu hören ist!).
McLean eröffnet den Blues mit dem Titel Blue Doll alleine, ein geschriebenes Thema scheint das Stück nicht zu haben, es ist eher eine Idee als ein Stück, aber der Groove passt. Watkins ist perfekt, neben Chambers DER grosse Hardbop-Bassist, leider viel zu früh verstorben. Waldrons sparsames comping schafft eine besondere Atmosphäre. Er war in diesem Quintett der old man (*1926), hatte schon 1949 einen College-Abschluss in Komposition gemacht. Sein Solo ist ebenfalls sehr sparsam, punktuiert von Akzenten von Ronald Tucker, einem Autodidakten aus Philadelphia, der sich recht wacker schlägt.
Mit Little Melonae folgt dann das bis anhin beste Original McLeans – er sollte es auch mit Blakeys Jazz Messengers aufnehmen, ebenso folgten Versionen von Miles und Coltrane. Ihn selbst spornt das Theme hier jedenfalls zu einem schönen Solo an – und es dürfe hier der Punkt erreicht sein, an dem man ihn keinesfalls mehr mit Parker verwechseln würde, sein Ton ist voller, seine Linien daher (in aller Klarheit) mehr geschmiert als gepinselt wie bei Parker.
Es folgen der Standard The Way You Look Tonight mit schönen Soli von McLean und Byrd, dann ein Mal Waldron Original names Mood Malody (ich komm nicht drauf, woran das angelehnt ist, aber es erinnert mich stark an ein anderes Stück) mit einem schönen McLean-Solo mit tollen double time Passagen und einem relaxten Solo von Byrd.
Zum Abschluss wagt sich McLean an die Ballade Lover Man – die Version von Parker für Dial wird ewig eingebrannt bleiben, in all ihrer tragischen Grösse und magischen Traurigkeit. Die Interpretation McLeans gerät ziemlich konventionell, Byrd setzt aus, Waldron spielt ein kurzes aber schönes Solo.

Insgesamt ist das ein ganz hübsches Debut-Album für einen 24jährigen Saxophonisten, der bereits ein paar tolle musikalische Dinge hinter sich hat aber auch schon tief in den Drogen versumpft ist. Ein unaufgeregtes, zumeist sehr stimmungsvolles Album, in dem das Zusammenspiel von Byrd und McLean sowie der Rhythmusgruppe um Mal Waldron sehr schön funktioniert.
Das einzige, was hier wirklich fehlt, sind ein paar Momente der Irritation, Momente, in denen man aufhorchen würde, in denen etwas wirklich Umwerfendes geschieht. So gesehen ist die Band von Wallington, in der McLean den Rahmen vorgegenben bekam, doch einiges spannender und erlaubt McLean auch, als Solist wesentlich mehr Aufsehen zu erregen.

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