Re: john lenwood "jackie" mclean

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gypsy-tail-wind
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vorgartenmclean wuchs in einer der musikalisch fruchtbarsten perioden der amerikanischen musikgeschichte im sugar hill district in harlem auf und wurde schon als teenager für sein spiel respektiert und von den stars der szene gefördert. hatte freunde und schulkameraden wie sonny rollins, art taylor, walter bishop und kenny drew, lernte by doing mit 15 bei bud powell harmonien und improvisieren, bei charlie parker (und durch die weigerung seiner mutter, ihm ein tenorsaxophon zu kaufen) die besonderen schönheiten des altsaxophonspiels kennen, durch das gleiche vorbild auch den gebrauch der harten droge (obwohl ihn parker auf bessere vorbilder wie horace silver hinwies, deren professionalität auch den gesunden lebensstil einschloss), wurde von sonny rollins und miles davis auf ersten plattenaufnahmen vorgestellt (DIG und MILES DAVIS, VOL. 1), leitete 1955 seine erste leader-session für prestige (THE NEW TRADITION, mit mal waldron, doug watkins, roland tucker und – auf zwei stücken – donald byrd), war dann kurz teil eines frühen mingus-workshops (mit waldron und j.r. monterose zusammen), in dem PITHECANTHROPUS ERECTUS entstand, das ein frühes feature für mclean beinhaltete (PROFILE OF JACKIE).

[…]

I. anfänge

charlie singleton: CAMEL WALKIN‘ (1948)
miles davis: DIG (1951)
miles davis: MILES DAVIS, VOL. 1 (1952)

auf der singleton-aufnahme, die ein r&b-date war und die ich nicht kenne, spielt jackie baritone und kein solo. auf DIG von miles war er 19 und spielt hier neben einem desorientierten und quietschenden sonny rollins ziemlich auf, obwohl er sein instrument erst vier jahre lang bedient. in OUT OF THE BLUE wagt er ein paar halsbrecherische rhythmische experimente, insgesamt hat er nicht den hauch eines problems, bei hohem tempo große souveränität auszustrahlen. auch blakey und mingus waren bei der session dabei – danach brauchte er sich nichts mehr beweisen. auf MILES DAVIS VOL. 1 (blue note) ist mcleans beitrag zwar heraushörbar, allerdings (bei teilweise gleichem material wie auf DIG) vergleichbar blass und damit an das gesamtniveau dieser etwas drögen platte angepasst.

Also, da bin ich wieder bei „Dig“… siehe schon Post #3 hier im Thread. Das wir hier nichts als einen „desorierntierten und quietschenden Sonny Rollins“ hören halte ich nach wie vor für Unsinn. In der Tat hat Rollins Probleme mit seinem Blatt und es gibt einen (?) richtig ausgewachsenen „Kieckser“ zu hören und einige Stellen, an denen er’s grad noch knapp abwenden kann.
Ich halte Rollins, McLean und Miles hier alle für ziemlich durchwachsen und insgesamt die Session für recht mittelprächtig. Rollins‘ Solo etwa auf „Out of the Blue“ halte ich aber jenem von McLean im selben Stück für überlegen – schon allein deshalb, weil Rollins seine Sprache spricht, während McLean sich des Idioms von Bird bedient und noch sehr wenig eigenes zeigt. Allerdings ist sein Spiel doch frisch und man kann erahnen, dass von ihm einiges folgen sollte.
McLean überzeugt mich vor allem auf „Denial“ und „Bluing“, wobei in auf beiden Stücken auch Miles konzentriert und mit viel Drive spielt und Rollins in „Bluing“ vielleicht das beste Solo des Tages bläst.
Bei „Denial“ hast Du wohl recht, hier klingt Rollins in der Tat ziemlich schwach – macht für mich aber keinen besonders desorientierten Eindruck, sondern kämpft verzweifelt gegen sein schlechtes (wohl steinhartes) Blatt an. McLean spielt hier in der Tat ein schönes Solo und Miles vergeigt dann in den Fours einiges, sein öffnendes Solo ist aber hier der Höhepunkt, mit Extrapunkten für McLean, weil er hier frischen Wind reinbringt.
„Bluing“ ist wohl eh die beste Nummer des Tages (und des Albums, und vielleicht zwischen „Birth of the Cool“ und der zweite Blue Note Sessiond die beste Studio-Nummer von Miles überhaupt), sehr relaxt, und Rollins gefällt mir hier wie gesagt aussergewöhnlich gut. Auch Bishops Solo zum Auftakt und danach Miles‘ Solo sind sehr schön. Und hier ist eben der Hardbop-Beat, das Hi-Hat auf 2 und 4… eine sehr entspannte Angelegenheit und das war’s anscheinend was die Jungs an dem Tag brauchten, um richtig gut aufzuspielen. Rollins hat zwar immer noch Probleme mit dem Blatt, er weiss aber mittlerweile damit umzugehen, sein Solo hier ist grossartig, wie er mit Pause schafft, Raum lässt, Phrasen repertier, varriert, verdreht, aus Patterns in Linien springt… in der Doubletime-Passage leidet dann sein Ton (was logisch ist unter den Umständen), aber sein Spiel hier ist zum grössten Teil sauber und überzeugt mich absolut. McLean steigt schön ein, klingt aber gar schnell wieder krass nach Parker (schon die dritte Phrase, dann der Auftakt in den zweiten Chorus und der ganze zweite Chorus sowieso). Danach die rhythmische Verschiebung ist toll, aber er weiss daraus auch keinen Ausweg als sofort wieder in Parker-Phrasen zu fallen. Er wirkt auf mich hier ein wenig so, als hätte er viele einzelne Ideen aber noch keinen Plan, was er mit ihnen anstellen könnte.
„Dig“ finde ich dann eh ein wenig originelles Stück, viel näher am Bebop als am aufkommenden Hardbop. Rollins, Miles und McLean spielen ähnlich gelungene Soli.

Im Mai 1952 wurde McLean dreimal mit Miles aufgenommen, am 2. und 3. im Birdland und am 9. im Rahmen der ersten Blue Note Session von Miles. Die Band im Birdland war eine eigenartige: neben Miles und McLean bestand sie aus Don Elliott an Vibes und Mellophon, Gil Coggins am Piano, Connie Henry am Bass und Connie Kay am Schlagzeug.

Ich kenne nur die Session vom 2. Mai, in deren Rahmen zwei Stücke mitgeschnitten wurde. „Confirmation“ beginnt mit einem starken Solo von Miles, sein Ton fest, seine Linien fast durchgängig sicher geführt. Sehr schön, wie Connie Kay so ganz anders als es seinem MJQ-Klischee entspricht, aktiv begleitet, tolle Fills ergänzt, in einen rhythmischen Dialog mit Miles tritt (Kay hatte Wurzeln im R&B, dass er unfähig sei, richtig zuzulangen, war stets ein dumme Behauptung von Ignoranten). McLean übernimmt fliegend von Miles, sein Solo wirkt sicher und klar – anscheinend sass Charlie Parker damals hie und da im Publikum und liess McLean wissen, dass er grosse Stücke auf ihn halte. Elliott, der zu Beginn am Vibraphon zu hören war, spielt dann ein Solo am Mellophon, klingt irgendwie nach Verschnitt aus Posaune und Horn. Jedenfalls macht er seine Sache ganz gut, aber der Sound ist recht seltsam. Miles spielt dann zum Abschluss eine Runde Fours mit Connie Kay.
Auch das zweite Stück, „Out of the Blue“, wird in rasantem Tempo gespielt, im Thema ist Elliott wieder an den Vibes zu hören, während Kay mächtig Dampf macht und Miles in ein tolles Solo treibt. Miles selbst war übrigens in recht guter Verfassung, zurück aus einem „Heimaturlaub“ in St. Louis, den seine Drogensucht notwendig gemacht hatte – allerdings scheint er auch in St. Louis die Finger nicht vom Heroin gelassen zu haben. Seinem tollen Solo hier hört man jedenfalls nichts an. McLean folgt, die Rhythmusgruppe ist schon am Kochen, als er einsteigt, und er hält die Temperatur oben, klingt immer noch sehr stark nach Parker, aber ist eindeutig in toller Form! Elliott steuert dann ein schönes Vibraphon-Solo bei, und dann endet dieses kurze Dokument auch schon wieder – leider, ohne dass wir von Gil Coggins etwas zu hören bekommen haben.

Die erste Session von dreien, die Miles in den Jahren 1952-54 für Blue Note aufnahm, gehört keinesfalls zu den Lichtblicken in seiner langen Karriere. Ian Carr hat das Jahr 1952 als „empty and miserable“ beschrieben… dennoch funktioniert der Blue Note Effekt und Miles klingt allen Widrigkeiten zum trotz besser als auf den meisten Studio-Sessions für Prestige (das gilt dann noch stärker für die 1953er Session, im Jahr 1954 war Miles dann eh schon super drauf, hatte endlich seine Drogensucht los und spielte – während Gillespie mit einer drittklassigen Band durch die Lande tingelte – enorm konzentrierte und gute Musik).

Die Besetzung war eine etwas andere als im Birdland: Miles (t), McLean (as) und Coggins (p) spielten mit J.J. Johnson (tb), Oscar Pettiford (b) und Kenny Clarke (d). Sechs Stücke wurden eingespielt, von dreien sind zudem Alternate Takes erhalten.
Clarke wirkt oft grobschlächtig und laut hier, Pettiford ist fern seiner üblichen Klasse, auch wenn er hie und da starke Momente hat. Miles selbst… na ja, er macht zwar wenig falsch, aber das ganze wirkt ein wenig so, als habe man völlig auf sicher gespielt. „Dear Old Stockholm“, das schöne schwedische Volkslied, das ein paar Jahre später in der Version mit Coltrane berühmt werden sollte, ist wohl das einzige Zeichen dafür, dass Miles dennoch nach vorne blickte. McLean ist hier wohl die frischeste Stimme, von Coggins ist nach wie vor kaum was zu hören.
Pettifords „Chance It“ ist auch als „Max Making Wax“ auf der berüchtigten „Lover Man“-Session von Charlie Parker (auf Dial, 1946, mit Howard McGhee) zu hören. „Donna“ ist eine verschlafene Version von „Dig“ (das auf den Changes von „Sweet Georgia Brown“ beruht) – hier gefällt Pettiford! McLean beginnt sein Solo in beiden Takes mit einem Zitat aus Parkers Solo über „Sweet Georgia Brown“ von der 1945er Jazz at the Philharmonic-Aufnahme.
Auch „Woody’n You“ gerät viel zu langsam – auch dieses Stück fand sich 1956 wieder im Repertoire von Miles neuem Quintett. Und was zum Teufel ist hier mit Clarke los? Pettiford teilt sich einen Chorus mit J.J. Johnson, sein Ton ist ansatzweise herauszuhören, sein Spiel nicht übel, aber wie in der Begleitung auch rhythmisch nicht sehr sicher.
„Yesterdays“ – schon der Titel spricht die Rückwärtsgewandheit der ganzen Session an. Wie auch das letzte Stück, „How Deep Is the Ocean“ wird „Yesterdays“ von Miles mit der Rhythmusgruppe präsentiert. Er klingt an sich gar nicht so schlecht, aber die ganze Session ist eine so verschlafene Angelegenheit… immerhin hören wir auf den beiden Balladen das schöne Spiel von Gil Coggins, der Intros beisteuert und endlich auch als Solist zu hören ist, mit einem sehr besonderen, sanften Touch und eigenartigen Akkorden.
Wenigstens hält sich Clarke hier auch zurück…
Übrigens hat Miles „Yesterays“ 1951 auch mit Lee Konitz schon mal eingespielt (zu hören auf der New Jazz LP „Ezz-Thetic“ oder der Prestige LP und Original Jazz Classics CD „Conception“).

Die Alternate Takes mag ich jetzt gar nicht mehr hören… das ist wirklich sehr ernüchternd, was man hier geboten kriegt, gerade auch nach den doch recht guten zwei Live-Tracks!

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