Re: Deep Talk – Der Bass im Jazz

#7966169  | PERMALINK

katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

Beiträge: 1,737

nail75Ich habe mit Carters „normalem“ Bassspiel überhaupt kein Problem – im Gegenteil, aber auf „Where?“ nervt sein gestrichenes Cello unglaublich, so dass ich mich mit dem Album bis heute nicht anfreunden kann. Vielleicht wird es ja noch etwas, vielleicht auch nicht, im Augenblick neige ich jedoch zur Ansicht, dass was auch immer er da versuchen wollte, gescheitert ist.

So ging es mir auch. Die Musik ist sehr zerfahren, zuweilen irgendwie konzeptlos und gerade das Cellospiel mutet unerträglich an und man neigt dazu, Carter das Können abzunehmen.
Aber irgendwie ist die Session dann auch wieder unglaublich lebhaft und bewusst so schräg, so dass man den Spaß daran entdecken muss. „Yes indeed“ ist bspw. ein harmloses, balladenhaftes Stück, das Carter konterkariert und überzeichnet und damit immer latent aus den Fugen zu heben droht. Oder „Rally“. Ein Stück das einerseits total in die Hosen geht, andererseits aber von dieser comichaften Attitüde profitiert.
Man muss sich wirklich darauf einlassen können und den möglicherweise dahinterstehenden Ansatz erkennen/umdeuten. Dann ist das ein intensives, musikalisch-schräges, aber Spaß machendes Album.

gypsy tail windJa, das ist wirklich ein schönes Album! Noch besser gefällt mir allerdings dann Mal Waldrons kurz darauf mit erweiterter Band eingespieltes „The Quest“, auf dem die Gruppe von „Where“ auch wieder zu hören ist.
Ich hab „Where“ im Rahmen der Dolphy Prestige-Box kennengelernt, nach der Coltrane-Atlantic Box und den ersten Columbia-Boxen von Miles wohl die erste Box, die ich mir damals gekauft habe. Von „Where“ hatte ich davor nicht mal gehört…!

„The Quest“ ist dagegen wieder dichter gewebt und baut eine mystischere Spannung auf. Ich glaube, dass es Waldron da eher darum ging, eine Art Klangteppich zu weben. Natürlich bringt auch Carter wieder diese angespannten Elemente mit rein, aber man merkt, dass er diesmal Sideman ist. Die Musik ist auch wegen Dolphy sehr dicht, aber irgendwie auch konventioneller. „Warm Canto“ ist einer meiner Favourites aller Zeiten!

gypsy tail windIch finde Brown irgendwie schwierig, einer der solidesten Bassisten überhaupt, mit unglaublich grossem, sattem Ton und absolut perfektem Time und Intonation – aber inwiefern er irgendwas emazipiert hat weiss ich ehrlich gesagt nicht so richtig. Habe mich bisher auch nie vertieft mit ihm befasst, auch wenn er auf unzähligen Aufnahmen in meiner Sammlung vertreten ist.
„This Is Ray Brown“ kenne ich leider bisher nicht, aber „Bass Hit!“ ist ein wunderbares Album, für mich von der Handvoll Leader-Alben, die ich bisher kenne, das mit Abstand schönste und abwechslungsreichste. Die Band ist voll mit tollen Leuten.

Man hört da etwa Harry „Sweets“ Edison, Jimmy Giuffre, Herbie Harper und Jimmy Rowles, an den Drums sitzen Mel Lewis und Alvin Stoller, beides ausgefuchste Big Band Drummer. Die Musik wurde von Marty Paich arrangiert, wird von einer reduzierten Big Band gespielt, bleibt stets leicht, ist aber allein schon durch Browns tolles Bass-Spiel absolut geerdet und eine deutliche Spur mehr funky als was man sonst so vom West Coast Jazz gewohnt ist.
1999 erschien das Album auf CD in der tollen Verve Elite Edition (kurz danach wurde die leider eingestellt, die etwa drei Dutzend CDs finde ich samt und sonders hörenswert).

Brown schätze ich wirklich sehr wegen der Sattheit seines Klangs, dem absolut sauberen und sicheren Spiel und wegen seiner geschmackvollen Begleitung. Trotzdem mag ich ihn nicht immer hören, bspw. mit dem Oscar Peterson Trio. Das ist mir zuweilen einfach zu gepflegt.
Trotzdem – oder gerade empfehle ich unbedingt „This is Ray Brown“. „Bass hit!“ kenne ich nicht, aber für das was ich meinte, sind schon wieder zuviele Leute drauf.
Auf „This is“ sitzen Peterson, Osie Johnson und Herb Ellis in der Band und Jerome Richardson ist ausschließlich auf der Flöte zu hören.
Dadurch entsteht eine ganz eigene Stimmung, die Brown viel mehr Raum gibt, sich zu entfalten. Das Album besteht zu weiten Teilen aus Basspassagen, welche Brown mühelos füllen kann. Er spielt, wie gesagt, sehr weich, aber auch sehr flexibel und luftig. Wirklich eine gute LP, um Brown als Solisten kennenzulernen.
Oscar Peterson ist im übrigen auch auf der Orgel zu hören.

gypsy tail windThe Free Slave! Das ist eine tolle, dreckige Live-Session! George Coleman und Woody Shaw sind super, die Rhythusgruppe (Hugh Lawson, McBee und Leader Brooks) groovt ganzn enorm! Kein richtig grosses Album, aber eins, das richtig viel Spass macht!

Zwar vom Ansatz und der Musik ganz anders (kam auch 7 Jahre früher) ist Brooks‘ „Beat“ mit Blue Mitchell und Junior Cook. Ich weiß gar nicht, ob das seinerzeit veröffentlicht wurde. Die Musik ist aber toller Hardbop, der sich natürlich an Horace Silver anlehnt, aber irgendwie dichter ist.

gypsy tail wind Ebenso ist er auf George Handys Klassiker „Live at the Monterey Jazz Festival 1965“ und seinem „New View“ zu hören.

Du meintest John Handy, oder?

--

"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III