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Das späteste reguläre Brubeck-Album, das ich bisher kenne, ist ein Kleinod. Es wurde im Duo mit Paul Desmond im September 1975 im Studio in New York eingespielt (ein Stück stammt vom Juni, an Bord der S.S. Rotterdam).
Die Duo-Situation bringt in Brubeck die lyrische Seite zum Vorschein, er spielt zurückhaltend, weich, legt warme Akkorde unter Desmonds mal weinende, mal singende Linien. Den Auftakt macht die andere unsterbliche Disney-Nummer, „Alice in Wonderland“ (war Bill Evans eigentlich der erste Jazzer, der sich des Songs annahm?), es folgen „These Foolish Heart“, „Stardust“ und zum Ende „You Go to My Head“, dazwischen sind zwei Brubeck-Originals zu hören, „Koto Song“ und „Summer Song“, sowie sein Arrangement über „Blue Dove“ und der mit Desmond vermutlich gemeinsam improvisierte „Balcony Rock“.
„You Go to My Head“ stammt von den Aufnahmen, die BBC an Bord der S.S. Rotterdam im Juni machten. Desmond spielte da mit Brubecks Gruppe, und fünf Minuten vor dem ersten Konzert merkten sie, dass sie noch rasch eine Ballade proben sollten… da die Rhythmusgruppe diese nicht kannte, beschlossen sie, die Ballade als Duo zu spielen. Desmond schreibt in den Liner Notes des Albums:
What happened when we got to it turned out to be kind of mind-blowing. With just the two of us playing, an almost eeire feeling of freedom occurred which seldom happens when there are other instruments to be considered. Dave and I have always hadd a bit of ESP happening musically between us, and this turned out to be the ideal situation in which it could flourish. All manner of possibilities opened up. I could play a totally illegal note at any point and Dave would instantly come up with a voicing making it sound like the most perfect note imaginable. Count-lines, quiet, reflective musings, unabashed romantic wailing – everything worked.
Sie spielten also auch am zweiten Konzert im Duo eine Ballade, und im dritten – das sie nur für die Crew spielten – wählten sie dann „You Go to My Head“, und eben diese Aufnahme schliesst das wunderbare Album ab.
Die Musik ist offen, frisch, romantisch, nachdenklich und traurig, aber auch fröhlich und warm.
Die Studio-Session scheint eher einem glücklichen Zufall als einem Plan zu verdanken zu sein. Die beiden waren zwischen Verträgen (Brubeck nicht mehr bei Atlantic, Desmond nicht mehr bei CTI, Desmond hatte Ende der 60er schon zwei Alben für A&M eingespielt) und trafen sich für zwei Tage im Studio in New York. Produziert hat John Snyder, was wohl darauf hindeutet, dass die ganze Sache eine Spur weniger spontan ablief, als Desmond in seinen Liner Notes behauptet, aber egal, es ist die Musik, die zählt, und die ist von allerfeinster Güte und äusserst spontan.
Auf CD erschien das Album 2002 in der LPR-Serie von Verve/Universal und danach wieder in der Originals-Reihe. Letztere Ausgabe kenne ich nicht, ich vermute das Mastering ist dasselbe… das Foldout-Cover im Miniformat der LPR-Ausgabe ist jedenfalls für einmal sehr reizvoll, und der Klang ist ebenfalls hervorragend (soweit meine Ohren das beurteilen können, wenn die Scheibe auf meinem zusammengewürfelten Billig-Equipment läuft).
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