Re: Lykke Li – Wounded Rhymes

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mikko
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Berliner Zeitung vom 7. April 2011

Heut‘ im Haus: Frau Fledermaus
Lykke Li bot im Astra ihren überschätzten Mystikpop dar
von Jens Balzer

Zu den meist gefeierten jungen Talenten des gegenwärtigen Hitparaden-Pop gehört die 25-jährige schwedische Sängerin Li Lykke Timotej Zachrisso, die sich der Einfachheit halber Lykke Li nennt. Am Dienstagabend stellte sie im ausverkauften Astra Kulturhaus ihr zweites Album „Wounded Rhymes“ vor; unmittelbar nach dem Ende des Auftritts waren die schönsten Szenen in den ARD-Tagesthemen zu sehen. Auf ihrer neuen Platte singt Lykke Li Lieder, die zum Beispiel „Youth Knows No Pain“ heißen: Jugend kennt keinen Schmerz. Das stimmt im Fall von Lykke Li jedoch gar nicht, denn sie hat wohl bereits einige Schmerzen erfahren, jedenfalls erweckt sie beim Singen häufig den Eindruck, als ob sie recht traurig ist. Aber auch zornig: Auf Porträtbildern und im Konzert posiert sie wie eine Mischung aus der jungen PJ Harvey und der mittleren Patti Smith. Von der letzteren hat sie die Liebe zu knielangen Mänteln entlehnt, in deren tiefen Taschen sie beim Singen die Hände vergräbt. Anders als Patti Smith, pflegt sie beim Singen aber auch schon mal einen mystischen Ausdruckstanz hinzulegen. Da sie selbst dabei die Hände in den Manteltaschen vergraben lässt, sah es am Dienstagabend auf der geheimnisvoll nebelverhangenen und gern von grellem Gegenlicht illuminierten Bühne häufig so aus, als tanze hier hinter dem Mikrofon eine riesige Fledermaus. Manchmal versteckte die Fledermaus sich beim Singen auch in gewaltigen schwarzen Stoffwülsten, die von der Bühnendecke herunter hingen.

Das war alles nicht uninteressant anzusehen und wurde vom Publikum wohlwollend aufgenommen; in den ARD-Tagesthemen wurde anschließend erläutert, dass Lykke Li mit ihrer Musik und ihren Texten überaus selbstbestimmte Positionen einnimmt. In dem neuen Lied „Get Some“, das im Konzert am Ende des Hauptteils dargeboten wurde, singt sie zum Beispiel „I’m Your Prostitute“ und schildert, wie sie beim Geschlechtsverkehr mit einem von dieser Situation offensichtlich überforderten Mann die dominante Rolle einnimmt.

Man kann also nichts aussetzen an der Musik von Lykke Li – abgesehen von der Musik. Denn dabei handelt es sich um weitgehend konfektioniert komponierten und konturlosen Pop, der eben nicht – wie manche Kritiker in den letzten Monaten befanden – an aktuelle schwedische Avantgardistinnen wie Fever Ray erinnert, sondern eher an den gerade glücklich vergessenen Schwedentrash von Roxette und Konsorten. Das Interessanteste, was sich über die Musik von Lykke Li sagen lässt, ist, dass sie weitgehend auf Gitarren verzichtet und stattdessen allerlei Perkussionselemente mit Orgel und Bass kombiniert. Doch nichts davon bricht aus dem Korsett radiotauglicher Gefälligkeit aus. Der Schmerz, die Selbstbestimmtheit, die Mystik: das sind nur artig geübte Posen ohne Haltung und Fundament.

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