Re: Blumfeld / Kante

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sonic-juice
Moderator

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Was mir viel erörterungsbedürftiger erscheint als die Frage nach etwaiger Doppelbödigkeit oder Einfaltspinselei einzelner aktueller Songs ist die folgende (wohl kaum Soll-?)Bruchstelle in Blumfelds Werk:

…dass sie sich nämlich einerseits nahezu hysterisch davon distanzieren, Teil, Phänomen und Repräsentanten einer irgendwie gearteten deutschen Pop-Musikszene „unter dem schwarz-rot-goldenen Deckmäntelchen“ zu sein und „zum Sprachrohr eines neuen deutschen Heimatgefühls zu formieren“ (siehe etwa die „Stellungnahme“ auf der sehr informativen Fan-Seite Skyeyeliner) und damit beiläufig auch Bands von Wir sind Helden über Element of Crime bis Notwist auf die Anklagebank setzen (auf den angeblich „schwärmerischen“ Samplern „Neue Heimat“ oder „Junge Helden“ finden sich sogar die der Deutschtümelei nur wirklich völlig unverdächtigen Tocotronic, Rocko Schamoni und Die Sterne!)

… und dass sie andererseits nach meinem Verständnis eine der (kulturell, nicht politisch; naja eigentlich auch politisch) deutschhaftigsten Werke verantworten, in Bezug auf Texte (und die darin angelegten Bezüge), aber auch Musik, Einfluss und Beeinflussung (auf dem aktuellen Album zB Ougenweide als Einfluss). Ein heimliches Herz der deutschen (irgendwie alternativen) Musikszene wider Willen?

Entsprechend widersprüchlich ist auch das Marketing-Verhalten von Blumfeld verlaufen – früher die absolute moralische Verwerfung von Major-Verträgen (selbst der Rough Trade-Vertrieb ging damals nur mit Bauchschmerzen und Rechtfertigungsnöten) und der Boykott von „rechten“ Journalien vom Spiegel über Tempo bis zur Welt – immer unter der vorgehaltenen Pc- und Moralpistole der SPEX; mittlerweile Major-Label, Playback-Auftritte bei Top of the Pops; und ich nehme an, dass auch der Interview-Boykott nicht mehr so konsequent durchgezogen wird.
Mich stört das zwar letztlich nicht, solche Widersprüche muss man letztlich aushalten können, aber ich finde es schon bemerkenswert. Wenn Jochen live politische Reden schwingt, denke ich mir meistens halt einfach „Oh Gott, Jochen, lass mal gut sein.“

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