Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Solokünstler › Nina Simone › Re: Nina Simone
nikodemusDass Nina Simone kein durchgehend gutes Album aufnahm, möchte ich aber nicht unterschreiben, das Debüt ist ein makelloser, funkelnder Diamand und auch auch „I Put A Spell On You“ oder „Silk & Soul“ sind trotz all der sehr unterschiedlichen Tracks für mich essentiell.
tops‘ Einordnung legt ja nahe, dass die Platten zum Teil vielleicht etwas hastig rausgehauen wurden und die strenge künstlerische Selbstkritik nicht immer funktionierte – und das kann ich schon nachvollziehen, wenn ich die neun RCA-Platten anhöre. Ich will die Musik damit bitte nicht herabgewürdigt haben, ich finde sie stellenweise grandios und durchgehend hörenswert. Ich frage mich bloß, ob da nicht manchmal etwas noch Geschlosseneres, „Endgültigeres“ möglich gewesen wäre.
Ich versuche es an einem Beispiel zu erklären: Auf „‘Nuff said“ finde ich die Einbeziehung einer Studioaufnahme einfach nicht zwingend, so toll „Do what you gotta do“ an und für sich auch ist. Ein Konzert drei Tage nach der Ermordung Martin Luther Kings, ein Mitschnitt, der so eine unüberhörbare emotionale Wucht hat – irgendwie denke ich, da wäre mehr möglich gewesen, etwas ganz Unverwässertes, Epochales. „Sunday in Savannah“ ist eine derart phänomenale Aufnahme, emotional so dicht, so phantastisch stimmig, Nina Simones Live-Ansage berührt mich auch nach dem x-ten Hören, ich kann da mittlerweile jedes Wort mitsprechen … und gerade, wenn ich diese einzelne Nummer höre, denke ich: Irgendwie hört sich die Platte insgesamt nach einer verpassten Chance an. Das hätte das Dokument schlechthin von Wut, Trauer, Ratlosigkeit, Unbeugsamkeit, Zukunftsmut und Trotz werden können, ein emotionales Statement, das King und der Bürgerrechtsbewegung ein Denkmal gesetzt und zugleich darüber hinausgewiesen hätte. Die CD in der RCA-Box dokumentiert ja weitere Aufnahmen dieses Abends, die es nicht auf Nuff said schafften, sehr eindringliche Versionen von Mississippi Goodam und Don’t let me be misunderstood – und da frage ich mich dann halt: Warum hat man die nicht genutzt, warum hat man die unglaubliche Hier-und-jetzt-Wucht dieser Nacht drei Tage nach Kings Ermordung nicht in ein wirklich geschlossenes Werk überführt, sondern Studioaufnahmen, künstlich dazugemischten Applaus etc dazwischengestreut, warum ist aus all dem dann unterm Strich doch „nur“ eine tolle Platte geworden statt einer zu Tränen erschütternden?
Das Debüt aber kenne ich noch nicht, und da Du das genau wie Gypsy hoch lobst, freue ich mich schon sehr darauf, Bekanntschaft damit zu machen. Ich finde Simone gerade auch in ihren Brüchen faszinierend und stelle an mir selber fest, dass die RCA-Box nicht im entferntesten zu Hörermüdung führt, sondern das Bedürfnis weckt, noch viel mehr von ihr kennenzulernen.
--