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Ich habe das Folgende – Dein Einverständnis vorausgesetzt, redbeans – mal aus dem Trompeten-Thread herauskopiert, da es hier ja auch nicht fehl am Platze ist.
redbeansandrice
Frank Strozier – Long Night
Aufnahme: September 12, 1961, Plaza Sound Studios, NY
Label: JazzlandFrank Strozier (ldr), Frank Strozier (as, f), George Coleman (ts), Pat Patrick (bar, f), Chris Anderson (p), Bill Lee (b), Walter Perkins (d)
ist etwas ausschweifend geworden…
Anfang der sechziger Jahre in den letzten Jahren seines Bestehens unternahm das Riverside Label eine Reihe von Aktivitäten um den Jazz außerhalb New Yorks zu dokumentieren: Chris Albertson reiste nach New Orleans und Chicago, um die Veteranen der dortigen Jazzszenen aufzunehmen; Cannonball Adderley produzierte Alben von Hard Bop Bands aus Rochester und Washington (und auch das Paul Serrano Quintet aus Chicago); Musiker wie Joe Alexander aus Cleveland und Don Sleet aus San Diego nahmen mit New Yorker Bands ihre einzigen Alben für Riversides Sublabel Jazzland auf. In den Rahmen dieser Aktivitäten gehört auch das Album „Long Night“ von Frank Strozier aus dem Jahr 1961, das ich hier vorstellen will. Wie in den liner notes steht handelt es sich hier um ein Wiedersehen von sechs Freunden, die sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre auf der Chicagoer Szene kennengelernt hatten (und mittlerweile teilweise in New York lebten). Strozier war Mitte der fünfziger Jahre zusammen mit dem Pianisten Harold Mabern, dem Tenorsaxophonisten George Coleman und dem Trompeter Booker Little aus der gemeinsamen Heimatstadt Memphis nach Chicago übergesiedelt. Little und Coleman hatten sich kurz darauf der Band von Max Roach angeschlossen (und waren unterwegs), während Mabern und Strozier vorwiegend im von Bob Cranshaw und Walter Perkins (den Modern Jazz Two) geleiteten Quintet MJT+3 spielten, das fester in Chicago verwurzelt war und dort einige Alben aufnahm. Das „erklärt“ die Präsenz von George Coleman und Walter Perkins auf Long Night. Der Pianist Chris Anderson und der Bassist Bill Lee waren Veteranen der Chicagoer Szene. Komplettiert wird die Band durch den Baritonsaxophonisten Pat Patrick, der vor allem als Sideman von Sun Ra bekannt ist. Patrick hatte in den frühen Fünfziger Jahren schon bei Ra gespielt, als dessen Arkestra noch ein Trio war. Ende 1959 verließ er Ra und zog nach New York. Kurz nach den Sessions zu Long Night im Herbst 1961 zogen die Reste des Arkestras nach New York und Patrick schloss sich der Band wieder an.
Jetzt ein paar Gedanken zu Strozier dem Musiker und zu Long Night: Wenn man sagt, dass Stroziers Musik auf die beste Art und Weise so klingt wie er einen auf dem Album Cover anschaut, ist eigentlich schon eine Menge gesagt. Strozier steht als Altsaxophonist irgendwo zwischen Jackie McLean und Cannonball Adderley. Er ist ein enorm lyrischer Musiker, wenn ich ihm zuhöre habe ich oft das Gefühl, es läuft eine Ballade, dabei ist es gar keine… trotzdem höre ich seinem Saxophonton ganz Eindeutig einen Cry, nicht so deutlich wie bei John Coltrane, sicherlich nicht, aber ein Cry ist es doch… Im Grunde ist er wenig überraschend stilistisch auch nicht so viel anders als George Coleman; nur etwas weniger abgeklärt, etwas verletzlicher, hat aber auch so eine leicht samtige Qualität im Ton. Long Night trifft eine seltene Balance zwischen Arrangements die über die üblichen Head Arrangements hinaus gehen und einer Offenheit, Flüssigkeit, die gerade im Hard Bop eher selten ist. Dazu trägt sicherlich bei, dass die Hälfte der acht Stücke im Quartet aufgenommen sind, und dass der Bläsersatz, der nur aus Saxophonen besteht, ein bißchen wie eine Verlängerung von Stroziers Altsaxophon wirkt. Strozier schafft nämlich, was so nicht vielen Jazz-Musikern seiner Generation auf ihren Alben gelungen ist, dass alles wie eine Erweiterung seiner Stimme klingt; und dass es kohärent genug ist, um wirklich „Album-Feeling“ aufkommen zu lassen – obwohl ein großer Teil der Stücke Standards sind (eher unbekannte Standards allerdings). Das hier ist kein modaler Jazz, aber der Einfluss von Kind of Blue ist trotzdem unüberhörbar. Mein Höhepunkt des Albums ist das wunderbar luftige Arrangement des Stücks The Crystal Ball in dem Patrick und Strozier an die Querflöten wechseln. Wer wildes Getrommel sucht, ist bei Long Night an der falschen Adresse, es ist ein prima Album um in die Gegend zu starren, während es draußen dunkel wird, oder wieder hell.
Demnächst werde ich auch mal wieder weiter machen, mit Chris Anderson, Walter Benton, usw.
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III