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JLP 35 Les Spann – Gemini (1960)
„Gemini“ ist eines dieser Alben, die ich liebe. Nicht zuletzt weil die Musik wirklich zauberhaft ist, oder weil es Spann’s einziges Leaderalbum bleiben sollte. Es gibt mehrere Gründe.
Zum Einen Spann selbst. Zwilling dahingehend, da er Flöte und Gitarre gleichermaßen beherrschte, was in der Kombination wohl eine Eigenheit darstellen dürfte. Spann stammt aus Arkansas und hat sich seine musikalischen Sporen mit Phineas Newborn (als Vertretung von dessen Bruder Calvin), Dizzy Gillespie, Duke Ellington, Johnny Hodges und Quincy Jones verdient. Sein Spiel auf der Gitarre erinnert am ehesten an Burrell oder auch Farlow, während er auf der Flöte sehr ähnlich wie Jerome Richardson klingt. Sehr feinfühlig, sehr reduziert und bluesig im Ton – keine Spur Funk, eher trocken. Wikipedia bezeichnet ihn als typischen Sessionmusiker, was angesichts der unzähligen Sideman-Aufnahmen auch stimmt. Trotzdem zeigt er in seinen Soli eine deutliche Qualität. Wikipedia gibt außerdem eine weitere Session für Atlantic unter seinem Namen an, die nie veröffentlicht wurde (damit könnte aber auch Pearson’s „Honeybuns“ gemeint sein).
Zum Anderen stellt dieses Album eine besonderheit dar, da Spann sich seine Frontline-Tätigkeiten mit Julius Watkins am Waldhorn teilt, so dass der Musik bereits eine interessante Besetzung zu Grunde liegt. In der Rhythmusgruppe sitzen dann noch Hochkaräter wie Tommy Flanagan (p), Sam Jones (b) und entweder Al Heath oder Louis Hayes an den Drums. Also zwei Drittel der damaligen Adderley-Begleitung.
Die Dezember-Session besteht aus 8 Stücken, von denen jeweils vier von Spann auf der Flöte und die anderen vier auf der Gitarre genommen werden.
Dann kann’s ja losgehen.
Das erste Stück, „Smile“, wird von der Band mit einigen Trillen vorgestellt, bevor die Melodielinie in ein tänzerisches Thema übergeht, bei dem der mächtige Jones zeigt, dass er erfindungsreich bei der Tonwahl ist, in dem er Noten über und unter der Melodie wählt und nach gerade mal einer Minute als erster (!) wunderbar lyrisch soliert. Nach einem Break übernimmt Watkins, der sich trotz des offenbar schwer zu spielenden Instruments alle Mühe gibt und wunderbare Töne herausbekommt, teilweise aber auch gequetscht in den höheren Registern klingt. Danach soliert Spann leichtfüßig und tänzerisch und während des ganzen Stückes positioniert sich Jones mit seinem walking bass als eigentlicher Leader, da er der Nummer ein wunderbares rhythmisches Gefüge gibt, das Heath mit den Becken wunderbar doppelt.
„Con Alma“, eine Gillespie-Komposition beginnt recht ähnlich, mit einem kurzen getrillerten Intro, bevor Hayes den Groove setzt und ein technisch anspruchsvolles Pattern unter Einbezug mehrer Kits hinbekommt. Spann legt sich in sein Solo so funky wie er nur kann (und das ist für meine Ohren nicht der Grant Green-Funk, den ich oben meinte) und überzeugt damit sehr. Das Tempo ist mittel, aber ich könnte mir gut einen sophisticated Slow-dance in Studentenwohnheimen der 60er vorstellen. Watkins erzeugt bei mir ein leichtes Schmunzeln, da es klasse ist, was er aus dem Instrument herauszuholen vermag, während Sam Jones die Rhythmik des Basses verschiebt und schneller gegriffene Noten in den Takt presst. Kurzes Stück, aber großartig. „Q’s Dues Blues“ ist eine Eigenkomposition von Spann, die mit einem vertrackten Motiv aufwartet, nach dem das Stück in etwas gängigere Hardbop-Fahrwasser driftet. Jones zeigt auch hier wieder, warum er einer meiner Lieblingsbassisten ist, da er unglaublich warm und satt spielt, zur selben Zeit aber unglaubliche Läufe herausholt und so einem normalen walking bass-Schema neues Leben einhauchen kann. Flanagan darf zum Ende des Stücks solieren und macht seine Sache sehr gut, wie er sich überhaupt während der ganzen Aufnahmen im Hintergrund gut positioniert und durch seine elegant-hemdsärmlige Art keine leeren Stellen entstehen lässt.
„It might as well be spring“ ist das perfekte Vehikel für Spann auf der Flöte, die er diesmal mehr „con saliva“ spielt. Watkins deckt ihn während seines Solos perfekt und es ist eine Freude, wie Jones die Töne in den oberen Lagen sucht und dann mit beiden „matched“. Das schöne ist, dass die Beteiligten der Ballade insofern neues Leben einhauchen, da sie diese nach dem etwas verhangenen Intro positiv nehmen und nicht in eine melancholische Stimmung verfallen. „Stockholm Sweetnin'“ ist eine Midtempo-Nummer von Quincy Jones, die sehr schön swingt und durch Hayes‘ Arbeit mit dem Besen sanft vorangetrieben wird. Auch hier soliert Spann sehr geschmackvoll auf der Gitarre und streut Effekte ein, die ich sonst eher Burrell zuschreiben würde, Slides etwa. Ebenso zeigt Watkins wieder, dass er der perfekte Partner ist, da die Musik stets warm klingt, ohne dass spitze Töne dieses Gewebe durchbrechen mögen. Jones hat hier ebenfalls ein kurzes Solo und lässt das Stück schön gestrichen ausklingen. „Blues for Gemini“ dürfte das schnellste Stück der Platte sein, aber auch hier wirkt Spann auf der Flöte nie gehetzt. Flanagan nutzt das Tempo sehr effektvoll und perlt mit der rechten Hand während eines längeren Solos. „Afterthought“ taucht genau in die selbe Stimmung ein, die „It might as well be spring“ am Anfang suggeriert, nur entscheidet sich die Band diesmal für eben jene melancholische und zuweilen auch mystische Stimmung. Das Thema ist wunderschön und erinnert entfernt an die wunderbaren Liebesthemen eines John Barry. Watkins spielt sehr elegant und behutsam und auch hier findet er sich mit Spann zusammen in einer perfekten Einheit wieder. Flanagan ist sehr reduziert und steigt sogar erst nach zweieinhalb Minuten ein, bevor das Tempo des Stücks etwas angezogen wird. Auf meiner LP steht ein Kommentar: „Just right“ – und genau so isses. „There is no greater love“ ist dann der letzte Track, der von Spann wiederum auf der Gitarre gespielt wird. Eine sehr schöne Ballade, die auch wieder die absolute Gleichberechtigung und das Gespür der Musiker untereinander veranschaulicht.
Dadurch könnte man auch sagen, dass Spann nicht unbedingt der Leader der Session ist, allerdings spielt er absolut die längsten Soli und unterstützt, vernetzt und treibt die Musik voran, aber immer mit Sam Jones auf den Fersen.
Aus meiner Sicht mit Sicherheit ein Highlight im Jazzland-Katalog und ein absolutes Muss. Watkins ist der Knaller und die Musik ist einfach so schön ausbalanciert und schillert zwischen allen Stilgrenzen. Empfehlung!
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III