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Laut meinen Informationen handelt es sich bei Roarin‘ um ein genuines Jazzland-Album. Ich hab die Stereo-LP von Fantasy – ohne Angabe eines Veröffentlichungsjahres.
Don Rendell gehörte zu den ersten Modern Jazzern in England und hatte schon seit den frühen Fünfzigern mit diversen bekannten Leuten musiziert:
One of the first men to play modern jazz in Europe, since the early 1950s his has been the name which appeared most often in reports on the English jazz scene appearing in American magazines. A charter member of the John Dankworth Seven – the group which showed the commercial possibilities of modern jazz in Britain – he has always played as much jazz as possible, and only resorted to studio work when gigs with his own or somebody else’s jazz group became impossibly scarce. He has always been highly respected by visiting American musicians – to such good effect that he was chosen for the first tour of Britain made by Billie Holiday, for the vacant tenor chair in the Kenton band during its 1956 tour of Britain and Europe, and as one of the British musicians in the Woody Herman Anglo-American Herd.
~ Chris Whent, Liner Notes zu: Don Rendell New Jaz Quintet – Roarin‘, Jazzland JLP 951S / Fantasy Reissue LP
Rendell zog sich dann anfangs 1960 zurück, um sich nach ein paar Monaten mit einem neuen Quartett (mit dem Pianisten John Burch) zurückzumelden. Sein Stil hatte sich geändert, war härter geworden, klang mehr nach John Coltrane als nach Lester Young. Im Mai 1961 stellte er dann wieder eine neue Band zusammen, diesmal mit Graham Bond am Altsax.
Aufgenommen wurde das Album in London am 17. Juni und am 29. August 1961 mit Don Rendell (ts), Graham Bond (as), John Burch (p), Tony Archer (b) und Phil Kinorra (d), produziert hat Ed Michel.
Der Opener, „Bring Back the Burch“, stammt von Graham Bond und dieser spielt mit seinem klagenden Alt das erste Solo, sehr vokal, irgendwo zwischen Jackie McLean, Leo Wright und Eric Dolphy, mit einer eigentümlichen Intonation und Tongestaltung, die etwas sehr vokales hat. Das Thema beginnt mit einer Stotterphrase und geht dann in einen „Amen“-Groove im 6/8. Rendell speilt dann an abgehärtetes kurzes Solo, vor Burch ein paar Takte kriegt. Dann folgt eine a-capella Passage der Saxophone – sehr schön! Erinnert durchaus ein wenig an Mingus‘ Musik in der Intensität, in der Rendell und vor allem Bond hier spielen!
Von Pianist Burch stammt „Manumission“, das zweite Stück. Im swingenden 4/4 mit Pedal-Point-Passagen zwischendurch spielen Bond, Rendell und Burch schöne Soli, angetrieben vom intensiven Beat von Kinorra und Archers walkendem Bass. Archer kriegt dann ein eigenes Solo, das er durchaus zu nutzen versteht – zwar nicht mit dem fettesten Ton, aber mit sicherem Time und guten Ideen in der Pedal-Point-Passage. Zum Abschluss folgen Rendell und Bond im Dialog (Fours, aber ohne Drums), der sich verdichtet und in einer längeren kollektiv improvisierten Passage kulminiert, während der die Rhythmusgruppe komplett aussetzt – das macht Spass!
Die erste Seite endet mit „Blue Monk“, dem ersten von drei Fremdkompositionen und mit knapp unter acht Minuten das längste Stück des Albums. Rendell spielt das erste Solo, klingt streckenweise fast wie ein Alt, wird auch vokaler, emotionaler, rauher als zuvor, streut Triller und Vibrato-Passagen ein – sehr schön! Mit grosser Gelassenheit konstruiert er sein Solo, während die Rhythmusgruppe ihn äusserst solide begleitet und Drummer Kinorra sein Spiel kontinuierlich verdichtet. Bond folgt mit einem eindriglichen, etwas ruhigeren aber keineswegs weniger überzeugenden Solo. Archers sicheres Bassspiel fällt immer stärker auf und nach Burchs ruhigem Solo kriegt er auch wieder Raum für ein Solo.
Das Stück ist zweifellos eins der Highlights – ich hab’s beim zweiten Durchgang dreimal am Stück gespielt!
Die zweite Seite beginnt mit Duke Pearsons „Jeannine“, ein flüssig-treibendes Stück, und wie „A.M.“ im Gramophone schrieb (s.u.) erinnert Kinorra tatsächlich etwas an den langjährigen Drummer von Cannonball Adderley, dessen Version von „Jeannine“ hier wohl Pate gestanden hat. Rendell spielt das erste Solo, Bond wieder „heart on the sleeve“ – ein eindrückliches Talent, das der damals 23-jährige an den Tag legt! Nach dem Piano-Solo folgt nochmal Rendell, zuerst mit Begleitung, dann immer mehr im Zwiegespräch mit Bond, dieses Mal aber mit der vollen Rhythmusgruppe. Es ist diese Dialoghaftigkeit, die die Musik so direkt macht, so emotional, und genau das macht diese Platte für mich letztlich so speziell. Beim ersten Hören vor ein paar Jahren bin ich ein wenig erschrocken – weil ich sowas von Europäern nicht erwartet hätte… vielleicht war Günter Kronberg im Mangelsdorff Quintett ein ähnlich kommunikativer und emotionaler Solist, aber sonst ist das ja nicht nur in Europa selten!
Es folgt Rendells „You Loomed Out of Loch Ness“, ein Stück, das stark nach Standard-Changes klingt und Rendell zu einem sehr flüssigen Solo inspiriert, in dem auch seine jüngsten Coltrane-Einflüsse zum Tragen kommen, ohne dass sie ihn daran hindern, seinen Ideen freien Lauf zu lassen. Für einmal klingt Bond hier angesichts von Rendells Brillanz eher flach und auch Burch mag nicht so recht mitzureissen.
Das letzte amerikanische Stück folgt und ist – zumal 1961 und auf Platte – eine kleine Überraschung: „So What“ von Miles Davis. Die Band versucht nicht, das Original zu übertrumpfen sondern nimmt es als Vehikel für seine härtere, vom Hardbop, Mingus und Coltrane geprägte Spielweise zu präsentieren. Rendell spielt das erste Solo und vermag wieder zu überzeugen. Bond begleitet ihn anfänglich in garnierenden, kontrapunktischen Linien, bläst dann das nächste Solo und eine gewisse Nähe zu Cannonball Adderley lässt sich kaum bestreiten. Burch scheint die offene Form des Stückes zu liegen und er spielt sein wohl schönstes Solo des ganzen Albums.
Zum Abschluss hören wir das zweite Burch-Original, „The Haunt“. Es beginnt im Trio mit einem leichten Stop-and-Go-Feel. Dann steigen die Saxophone mit dem einfachen Blues-Thema ein und Kinorra – damals übrigens zwanzig Jahre jung – kocht schon wieder. Burch überzeugt hier erneut mit seinem Solo.
Hier gibt’s den Review von Gramophone (Dec. 1961, p. 115f):
Don Rendell New Jazz Quintet „Roarin“
Bring Back The Burch: Manumission: Blue Monk) Jeannine: You Loomed Out Of Loch Ness: So What: The Haunt. Jazzland Q JLP5I (12 in., BOs. Zd. plus lOs. lod. P.T.).
For some years now Don Rendell has been one of Europe’s leading exponents of a style of tenor playing stemming from Lester Young. At any time up to about a year ago he could have been dropped into a Woody Herman sax section alongside Zoot Sims, Al Cohn, etc., and would have been fully absorbed into the Herd at a moment’s notice. Not so today. He has become attracted to the music of men such as John Coltrane and Stanley Turrentine and his new quintet reflects this drastic change in outlook. For one thing his own playing is different (although it retains some of those personal embellishments which have always hall-marked his work); for another, the quintet is quite different to any other now playing in this country. Here is a unit which seems to play the type of music fostered by Charlie Mingus with a natural ease of expression; it is one of the most exciting groups to be formed in Britain for many years.
Another extremely important aspect of the Rendell Quintet is the presence of Graham Bond. Graham is a strong individualist who knows what he wants to do and resolutely (and quite correctly) refuses to be drawn away from his chosen route. To hear him in the flesh is an experience which one is not likely to forget in a hurry and my first encounter with Graham came at the recording session which produced Burch and Manumission for this present LP. Although he professes a liking for nearly every other alto player in jazz (and admits to being influenced by Erie Doiphy and Art Pepper) he plays as if he has never heard anyone else on his instrument, and I mean that as a sincere compliment. He and Don frequently indulge in a form of improvised counterpoint in which the rhythm section is tacit; sometimes the spontaneous rapport achieved gives the impression that the passages have been rehearsed and written Out, so closely to the tenor and alto lines interlock. The rhythm section, comprising Johnny B-irch, Tony Archer and Phil Kinorra on piano, bass and drums respectively, is youthful and exciting with Kinorra leading the way like Louis Hayes. On some of the tracks Phil’s exuberance gets the better of him and the tempos are unsteady, but the feeling of excitement remains. lnterdisc deserve praise for recording the Rendell group and for arranging the simultaneous release of the LP in Britain and America. The British jazz public owes men such as Rendell and Bond some token of its respect and readers are advised to make arrangements to hear the LP without delay. ~ A.M.
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