Re: Shorty Rogers

#7749077  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,179

Am Ende von CD2 (#15-18) und Anfang von CD3 (#1-4) hören wir Shorty Rogers‘ erste RCA-Sessions mit einer Besetzung, die jener der Capitol-Session vom November 1951 sehr ähnlich ist: Rogers (t), Milt Bernhart (tb), John Graas (frh), Gene Englund (tuba), Art Pepper (as), Jimmy Giuffre (ts), Hampton Hawes (p), John Mondragon (b) und Shelly Manne (d).

Das 10″-Album, auf dem die acht Stücke erschienen, hiess schlicht Shorty Rogers & His Giants und wurde im Januar 1953 eingespielt. Die Musik ist ähnlich wie jene von 1951, aber noch besser. Wie die Arrangements zwischen impressionistisch und swingend, zwischen flächig und vorwärtsdrängend wechseln (und wie Manne das alles umsetzt und antreibt) ist grossartig. Pepper ist einmal mehr der wichtigste Solist neben Rogers und ich bilde mir ein, schon hier eine leicht bittere Note in seinem Ton zu hören, etwa in seinem Feature „Bunny“. Rogers steht als Solist in „Powder Puff“, „Pirouette“ und „Morpo“ im Zuentrum und diese drei Stücke markieren vielleicht den Höhepunkt seiner Karriere als Instrumentalist. In „Powder Puff“ ist sehr schön zu hören, wie die Musik einfach ist, die Melodie sehr simpel, aber dennoch den Ausgangspunkt für ein tolles Arrangement bildet. Diese Kunst, einfach zu sein und ohne übermässige Komplexität dennoch dichte Musik zu schreiben macht auch klar, dass hier an der Westküste etwas neues entsteht, das sich klar vom Jazz der Ostküste (auch von den Arrangements, die Gil Evans oder Gerry Mulligan damals schrieben) abhebt. Die Musik klingt auch trotz der ähnlichen Besetzung nie wie die Capitol-Aufnahmen des Miles Davis Nonetts (zu hören auf „Birth of the Cool“). Auch Hampton Hawes ist wieder mit klaren, hart konturierten (manchmal – etwa in „The Pesky Serpent“ – fast gehämmerten) Linien wieder als Solist zu hören, besonders in „Diablo’s Dance“. Und der Auftakt zu „Bunny“ klingt schon so, dass er auf Miles‘ „Sketches of Spain“ problemlos reingepasst hätte.

Mit vier Titeln vom 10. September 1954 wurde das Album unter dem selben Titel auch als 12″-LP veröffentlicht.

Die nächsten acht Stücke entstanden im März und April 1953, wieder in zwei Sessions, und wurden unter dem Titel Cool & Crazy als 10″-LP veröffentlicht. Die Band war dieses Mal wesentlich grösser und erneut vor allem aus Kenton-Sidemen besetzt: Conrad Gozzo, Maynard Ferguson, Pete Candoli, John Howell (t), Milt Bernhart, John Halliburton, Harry Betts (tb), Graas (frh), Englund (tuba), Pepper (as), Bud Shank (as,bari), Giuffre (ts,bari), Bob Cooper (bari), Marty Paich (p), Curtis Counce (b) und Manne (d) spielten mit Rogers. Es war Rogers‘ erste Big Band Session unter eigenem Namen. Wir hören wieder den Swing, die Kraft und den Drive, den schon Rogers Arrangements für Woody Herman und Stan Kenton hatten, aber seine Musik ist über die Jahre gereift und besser geworden (er hatte auch länger mit einem Dr. Wesley LaViolette studiert in der Zwischenzeit – gemäss Wiki haben u.a. auch Jimmy Giuffre und John Graas bei ihm gelernt).
„Coop de Graas“ gehört wie der Name sagt Bob Cooper (ob er wirklich Barisax spielt hier? Das sagen die Diskographien zwar, aber das klingt schon scwer nach Tenor… andererseits klang sein Bari wohl auch wie ein Tenor) und John Graas, eine Art chase der beiden, mit einigen Trompeten-Stakkati dazwischen. Im folgenden Stück, „Infinity Promenade“, sind die Trompeten dann prominent zu hören, von den Posaunen, der Tuba und dem Barisax begleitet. Es folgen kurze Soli von Pepper (wunderbar und frisch) und Rogers (sehr präzise), bevor Fergusons Stratosphärentrompete mit der Trompetensection wieder übernimmt und nach einer wenig ereignisreichen Passage von Marty Paich das Stück beendet.
Es folgt „Short Stop“, ein einfacher, swingender Blues in zügigem Tempo, in dem Pepper als erster Solist zu hören ist, gefolgt von Rogers, Giuffre (er honkt ziemlich wild!) und Paich (einiges besser, perlender, leicht wie immer). In „Boar-Jibu“ erinnert die Sax-Section etwas an Giuffres „Four Brothers“, aber während Giuffre drei Tenor und ein Bariton verwendet hatte, braucht Rogers zwei Tenor (Cooper und Pepper) und zwei Bariton (Giuffre und Shank) – und aus den Anfangsbuchstaben der vier Vornamen erschliesst sich auch der Titel des Stückes. Die Solisten sind: Pepper, Shank, Cooper und Giuffre.
„Contours“ ist ein Balladen-Feature für Milt Bernhart – der Einstieg ist sehr atmosphärisch, mit Triangel und gedämpften Trompeten. Bernharts Ton ist unverwechselbar, Rogers setzt ihm einen Kontrapunkt des Horns entgegen. Abgesehen von einer kurzen Passage von Pepper gehört das Stück ganz ihm.
„Tale of an American Lobster“ wird dann von Bernhart und Graas gemeinsam präsentiert, Manne ist prominent zu hören und das Arrangement ist einmal mehr brilliant.
In „Chiquito Loco“ liefern sich Rogers und Pepper über einen montuno Beat ein Duell, das in ein komplexes Arrangement gekleidet ist. Dazwischen gibt es kraftvolle Big Band Passagen über einen swingenden 4/4 – am schönsten ist das Stück aber, wenn Pepper über den Latin-Beat von Manne soliert.
Das letzte Stück der Sessions heisst „The Sweetheart of Sigmund Freud“ und ist eine aufgestellte Swing-Nummer, die auf den Changes von „Fine and Dandy“ beruht. Die Solisten sind Rogers, Pepper (am Tenor), Bernhart, Shank und Paich. Damit endet ein weiteres grossartiges Album.

Die beiden 10″-Alben waren offensichtlich erfolgreich – der West Coast Jazz war angekommen.

Es wurde mit vier 1956 eingespielten Titeln später als 12″-Album unter dem Titel The Big Shorty Rogers Express neu aufgelegt.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba