Antwort auf: Art Blakey & The Jazz Messengers

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Am 3. März war Blakey mit Clifford Jordan und John Gilmore im Studio – eins der ungewöhnlicheren Blue Note Alben, Blowin‘ in from Chicago, war das Resultat. Vom 7. bis am 9. März war er dann täglich im Studio.

Am 7. März brachte Blakey eine grössere Gruppe ins Manhattan Towers Studio in New York – Van Gelders Wohnzimmer in Hackensack war wohl zu eng für all die Musiker und ihre Instrumente, Van Gelder war aber als Toningenieur zur Stelle.
Neben Blakey spielt Art Taylor ein reguläres Drum-Set, Jo Jones und ‚Specs‘ Wright spielten ebenfalls Schlagzeug sowie Kesselpauken, Sabu ist an Bongos und Timbales (sowie in drei Stücken als Vokalist) zu hören und hat die Latin Rhythmusgruppe ausgewählt: ‚Potato‘ Valdez und José Valiente spielen Congas, Ubaldo Nieto spielt Timbales, Evilio Quintero ist an Maracas, der Cowbell und an Schlaghölzern zu hören. Dazu stossen drei Jazzer: Herbie Mann (Flöte), Ray Bryant (Piano) und Wendell Marshall (Bass).

Ira Gitler schreibt in den Liner Notes:

Up to the time of the session, those who knew about it were all but calling it „Lion’s Lunacy.“ They told Al that he would lose his shirt; that he and Art were out of their minds. However, they had confidence in the entire project. The only thing that worried Al was whether the twelve musicians involved would show up on time so that that session could get off to a good start. His apprehensions were not unfounded for many times when a quintet or sextet date is scheduled there is often difficulty in starting promptly.
The date was on March 7, 1957 and set for 9:00 p.m. At 8:30 Lion went into the hall to check the set-up and to his complete astonishment, everyone was there. The electric excitement of expectancy, the feeling that something was really going to happen, was in the air.
Nothing was rehearsed; there were no scores. As the overseer, Art explained the rundown on each number to the rest, giving them the structure of the piece. From his seat at the drums he directed the tympani, the other jazz drummers and bass, piano and flute with significant gestures. Sabu directed the Latin rhythm section and was a dynamo throughout, singing, chanting, playing sticks on bongos, blowing whistles, etc.
Each tune was done only once. Because they stressed communication between the performers and represented a spontaneous interrelation of feeling, they were not vehicles to be done over and over. There was a nervousness present at first but it left after a half hour. Art advised, „Just listen to each other. Close your eyes and think you’re at home.“

~ Ira Gitler, Liner Notes zu „Art Blakey – Orgy in Rhythm Volume One“ (BLP 1554) und „Orgy in Rhythm Volume Two“ (BLP 1555)

Volume One
Jo Jones‘ Kesselpauken eröffnent das Album. „Buhaina Chant“ heisst das Stück, Sabu übernimmt die Rolle des Vokalisten, irgendwo zwischen Muezzin und Kantor, wie Ira Gitler in seinen Liner Notes schreibt. Blakeys Drums stürmen los, die Latin-Perkussionisten stossen dazu, Mann und Sabu sind zu hören, dann folgt Reihe von exchanges mit Wright, Blakey und Taylor (in dieser Reihenfolge), am Ende setzt Blakey ein Motiv und die drei trommeln es gemeinsam. Das Stück dauert zehn und eine halbe Minute, aber keine Sekunde davon ist langweilig!
„Ya Ya“ erzählt die Geschichte einer Mutter und ihres Kindes – das Kind will draussen spielen, die Mutter lässt es nicht, das wird von Sabu und dem Chor zum Auftakt „gespielt“. Das Stück illustriert dann, wie das Kind sich vorstellt, was es draussen alles tolles machen könnte, wenn es dürfte. Jo Jones trommelt das erste Solo, Blakey folgt, seine Cymbals künden das tolle Solo an (gemäss Gitler sagte Blakey damals, das Solo sei „the best thing he ever made“). Herbie Mann ist kurz an der Flöte zu hören, bevor das Stück wieder mit Sabu und dem Chor endet.
„Toffi“ ist mit über zwölf Minuten die längste Nummer der ganzen Session, Marshall spielt ein typisches Bass-Lick, Blakey ist dieses Mal als Vokalist zu hören, die anderen unterstützen ihn. Blakey singt einen Mix aus diversen afrikanischen Sprachen, darunter Suaheli, erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihr abgebranntes Dorf zurückkehren und dieses wieder aufbauen wollen. Hinter Bryants tollem Piano-Solo ist Taylor mit Besen zu hören, dann folgt Mann, danach Jo Jones (drum-kit) gemeinsam mit Potato (cga). Taylor (d) mit Wright (timp) folgen, dann Sabu mit Sticks auf seinen Bongos. Blakey kündet sein Solo wieder mit den Cymbals an. Zum Ende sind alle Drummer zu hören, mit Wright an den Kesselpauken. Marshall führt dann am Ende ins Thema zurück, mit Blakeys Stimme, Manns Flöte und dem Chor.
Das letzte Stück von Volume 1 ist „Split Skins“, Blakey, Taylor und Jone stehen im Mittelpunkt, Blakey spielt das Intro, dann folgen Soli von Taylor, Jones und Blakey, dann nochmal kurz Taylor und danach Joe mit Taylor am Hi-Hat als Begleitung. Die anderen Drummer trommeln jeweils einen swingenden 4/4-Beat hinter den Solisten.

Volume Two
Mit „Amuck“ beginnt die zweite Hälfte der Session, Blakey stürmt los, gefolgt von Sabu (sticks on bongos), dann Taylor. Marshall steigt ein mit einem Bass-Lick, dann solieren erneut Blakey und Sabu. Zum Ende hören wir die Drummer im Dialog, mit Blakey als Anführer.
Wright übernimmt an den Timpanis die Titelrolle in „Elephant Walk“, Manns Flöte ist wieder zu hören, ebenso Bryant und Marshall. Sabu ist der Vokalist, ein neues Pattern bringt nach ihm die Latin-Section. Blakey trommelt ein Solo, dann ist Mann an der Flöte zu hören, bevor der Elephant davontrottet. Eine sehr stimmungsvolle Nummer, die einzige ruhige der ganzen Session.
„Come Out and Meet Me Tonight“ ist eine Art Calypso, nach dem Intro von Mann und Jones singt Sabu mit dem Chor. Das Solo ist dann von Blakey, er bezieht sich dabei raffiniert auf die Melodie des Stückes.
Das letzte Stück ist „Abdallah’s Delight“, mit fast zehn Minuten die längste Nummer des nur etwa halbstündigen Volume Two. Das Stück ist ein Blues, Marshall öffnet mit Wright, dann folgen Mann und Bryant mit dem Thema und ihren Soli. Die Latin Drummer übernehmen, gefolgt von Jo Jones am Timpani und Art Taylor mit Besen. Am Ende wird das Getrommel ungeheuer dicht, alle kommentieren im wilden Latin Rhythmus, bevor das Thema wiederholt wird und das Stück endet.

Die Connoisseur CD von 1997 präsentiert im Booklet vier Fotos, die Francis Wolff an der Session aufgenommen hat (das Cover-Foto stmmat von einer anderen Session, Blakey trug nämlich Hemd und Krawatte!). Das schönste der Fotos ist am Ende des CD-Booklet zu finden und zeigt den Veteranen der Gruppe, Jo Jones, am Set, mit dem breitesten Lachen im Gesicht – und genau dieses Gefühl von Freude vermitteln diese tollen Aufnahmen!

Am 8. März enstand dann in Van Gelders Studio das Album Hank Mobley Quintet (BLP 1550), wieder mit den Messengers-Gefährten Silver und Watkins sowie diesmal Art Farmer als fünfter im Bunde („Funk in a Deep Freeze“ ist mit Sicherheit einer der grossartigsten Titel, die jemals einem Hard Bop Tune verliehen wurden!).

Am 8. und 9. März nahm Blakey in der Carl Fisher Concert Hall in NYC das Elektra bzw. Savoy-Album auf, zu dem ich schon im McLean-Thread geschrieben habe:

Drei und vier Tage später, am 8. und 9. März, nahm McLean mit Hardman, Dockery und DeBrest das nächste Album mit Art Blakeys Jazz Messengers auf, das eine etwas verworrene Veröffentlichungsgeschichte hat. Eingespielt wurden die Sessions für Elektra und anscheinend als A Midnight Session with the Jazz Messengers veröffentlicht, jedoch rasch aufgegeben, von Savoy gekauft und dort unter diversen Titeln wiederaufgelegt: Mirage, Midnight Session oder vor einigen Jahren auch als Reflections of Buhaina (mit mir unbekannten Bonustracks von Bill Hardman ohne Blakey, aber wie so oft hat Keepnews da nur ein halbes Album angehängt, scheint mir).

Die Magie zwischen Hardman und McLean funktioniert jedenfalls immer noch, überraschenderweise stammen aber drei Titel von Ray Draper und zwei von Mal Waldron, die beide von McLean an Bord gebracht worden sein dürften. In Gryce‘ Opener „Casino“ spielt Dockery das erste Solo, gefolgt von McLean, dessen Ton brennt, sich fast überschlägt, während Blakey seine übliche komfortable Begleitung trommelt. Den Einstieg von Hardmans Solo pustet er fast weg, zum Glück bleibt Hardman dran, denn sein Spiel ist über die Monate sicherer geworden, routinierter, hat aber nichts von seinem lyrischen Charakter verloren. Auch sein Ton ist nach wie vor sehr schön, etwas bittersüss, perfekt für seine lyrischen Soli geeignet.
Drapers „The Biddie Griddies“ ist das zweite Stück, wird über einen kleinen Vamp eröffnet, bevor die Bläser unisono das Thema präsentieren. McLean klingt aufgestellt, und auch Hardman spricht offenbar auf die Changes an, das ganze klingt auch sehr süffig. Dockery folgt mit einem schönen Solo.
Waldrons „Potpourri“ ist rasant, Hardman/McLean präsentieren das Thema in kontrapunktischen Linien, die teils zusammenlaufen (aber interessant harmonisiert sind – Waldron hat die Kunst der Wegwerf- und Einweg-Originals jedenfalls verfeinert!) und ihre Zusammenspiel ist wunderbar. McLean rast sofort ins Solo, stürmt, treibt, zitiert Parker-Licks… Hardman ist kurz und auf den Punkt, Dockery erinnert ein wenig an Waldron, wirkt aber nicht ganz glücklich.
Drapers zweites Stück „Ugh!“ öffnet mit einem Trommelgewitter von Blakey, Hardman spielt nach dem witzig-verspielten Thema das erste Solo, gefolgt von McLean (wieder mit Parker-Phrasen). Blakey folgt dann mit einem Drum-Solo, die Nummer gehört auch in erster Linie ihm, selbst während der Soli der anderen ist er stets sehr präsent und kriegt auch noch eine Coda, die von der ganzen Band unterlegt wird.
„Mirage“ ist das zweite Waldron-Original. Dockery öffnet mit einem kurzen Intro, dann spielt McLean das lyrische Thema. Das Stück entpuppt sich als eine walking ballad, Hardman spielt eine leise Gegenmelodie und hat die Bridge und das erste Solo für sich, Blakey geht sofort in double time über. McLean bleibt näher an der Stimmung des Stückes.
Das letzte Stück auf meiner CD („Midnight Session“, Nippon/Columbia Savoy SV-0145) ist dann als „Reflections of Buhainia“ (sic) angegeben (diese Savoy-Reihe mit den violetten Trays und dem gelben Text ist berüchtigt für tolle Tipp- und andere Fehler in den Infos), als Stück von Draper. In der neusten, oben verlinkten CD-Ausgabe („Reflections of Buhaina“) finden sich allerdings zwei Tracks, die zusammen so lang sind wie der eine bei mir, nämlich „Reflections of Buhaina“ (6:46, von Draper) und „Study in Rhythm“ (4:14, von Blakey). Dazu findet sich im Review bei Allmusic der Kommentar: „One track, the all percussion, semi-Afro-Cuban tour de force ‚Study in Rhythm,‘ appeared only on the Elektra stereo issue, and ‚Reflections of Buhaina‘ only surfaced on the mono Elektra and Savoy LPs; both thankfully appear here.“ Was da genau stimmt ist mir ebensowenig klar, wie mir klar ist, welche LP wann erschienen ist. Jedenfalls wird das Stück auch als Perkussionsnummer beschrieben, da ist zuerst aber eine weitere sehr lyrische Nummer im mittelschnellen Tempo mit schönen Soli von McLean und Hardman – das ist dann wohl die Draper-Komposition. Nach ziemlich genau 6:45 setzt dann die Trommelnummer ein, wohl eben Blakeys „Study in Rhythm“ die das Trommel-Thema fortsetzt, das im grösseren Stil am 7. März bei Blue Note auf dem Programm stand, als Blakey in einer Session die beiden „Orgy in Rhythm“ Alben für Blue Note einspielte, mit Art Taylor, Jo Jones, Specs Wright, Sabu, Potato Valdez und anderen – auch für Blakey war der März 1957 ein sehr geschäftiger Monat! Hier unterstützen die anderen Musiker Blakey wieder an diversen kleinen Instrumenten.

In den Frühling 1957 fällt ebenso das eine Cadet-Album von Blakey (auch aus dem McLean-Thread hier rübergeholt):

McLean nahm noch zwei weitere Alben mit Blakeys Messengers auf, bevor er den „Daddy“ verliess. Das erste der beiden dürfte das am wenigsten bekannte sein, Tough! (Cadet LP 4049), später als Twofer mit einer Roach-Session als „Percussion Discussion“ wieder aufgelegt. Aufgenommen wurde es irgendwann im Frühling 1957 mit derselben Band, die seit dem Herbst des Vorjahres bestand hatte: Bill Hardman (t), Jackie McLean (as), Sam Dockery (p), Spanky DeBrest (b) und Art Blakey (d). Auf dem Programm stand wenig neues, das Repertoire dieser Ausgabe der Messengers scheint nicht besonders gross gewesen zu sein, zudem ginge sie im Frühjahr 1957 wohl etwas zu oft ins Studio, um jedes Mal ein völlig neues Programm dabei haben zu können.
Duke Jordans „Scotch Blues“ steht am Anfang, McLean spielt ein wunderbares Solo, sein Ton satt und zartbitter, flexibel, dehnbar – er spielt äusserst entspannt. Sehr schön die stopt time Passage. Hardman folgt, beginnt ganz einfach, baut rasch ein tolles Solo auf, glänzt mit Sechzehntel-Läufen, bis er dann für seine stop time Passage wieder einfachere Linie spielt… und kaum kickt die Band wieder ein gibt er wieder Gas. Blakeys Groove ist unglaublich, davon profitiert auch Sam Dockery, der nächste Solist.
Das zweite Stück, „Flight to Jordan“, stammt erneut von Duke Jordan, der es später zum Titelstück seines schönen Blue Note Albums machen sollte. DeBrest walkt ein paar Takte, dann spielen McLean und Hardman die Melodie sehr leise über den satten Groove der Rhythmusgruppe und Dockerys frisches comping. Wieder hebt McLean als erster ab, sein Solo ist kurz und klar. Es folgen Dockery, dann – enorm lyrisch – Hardman und schliesslich Blakey mit einem relaxten Solo.
Blakey hat das dritte Stück, „Transfiguration“, komponiert. Hardman und McLean spielen im Intro gegenläufige Linien, dann fallen sie in das repetitive Thema (mit einfacher Bridge) und Hardman spielt dann das erste Solo. McLean folgt mit einem sehr tollen Solo, dann Dockery und erneut Blakey.
Es folgt die nächste Version von Gigi Gryce‘ „Exhibit A“, McLean hat das Stück langsam richtig im Griff, klingt unglaublich sicher und locker, sein Ton ist in dieser ganzen Session sehr schön, die Zeiten der gelegentlichen Unsicherheit scheint vorbei zu sein. Es folgen Hardman, Dockery und Blakey – die Band groovt enorm, ist perfekt eingespielt… das ganze ist am Ende vielleicht fast eine Spur zu relaxed, aber doch sehr schön.
Zum Abschluss folgt die veröffentlichte Fassung des Gershwin Medleys: Rhapsody In Blue (McLean) / Summertime (Hardman) / Someone to Watch Over Me (Dockery) / The Man I Love (DeBrest) und damit endet das sehr kurze Album (Argo/Cadet halt) dann auch schon. Das Medley ist nicht besser geworden in den vergangenen Monaten… ich tendiere auch dazu, Cuscunas Meinung zu teilen, dass es sich hier eher um einen kleinen Spass handelt (s.o. Dez. 1956). Anders sieht die Sache dann mit dem Lerner & Loewe Album (mit Griffin an McLeans Stelle) aus, aber auch das überzeugt nicht vollends.

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