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vorgartenvolle zustimmung. ich würde sogar weitergehen und sagen, dass musik, die nicht gehört werden möchte, ein produkt falscher kunstförderung ist. musiker, die musik für menschen spielen, des kommerziellen ausverkaufs zu bezichtigen, ist doch absurd, zumal es bei jazz weitestgehend um spontane, kommunikative, fragile und live-bezogene handlungen geht. wenn sich musikhochschulenabsolventen ihre sachen nur noch gegenseitig vorspielen oder ihren professoren, hört man das in der regel der musik an.
miles hat sicherlich gedacht, er könne in den 70ern wie in den 90ern noch der popmusik etwas hinzufügen, was sonst einfach keiner zu bieten hatte – ob das gelungen ist, kann man ja gerne bestreiten, ich bin da ganz bei ihm.
übrigens habe ich auch nichts gegen leerlauf in der musik – grooves beim entstehen zuzuhören, kann sehr spannend sein. andererseits stehe ich bei ON THE CORNER wie vor einem weltwunder und weiß bis heute nicht, wie es dazu gekommen ist.
Das Rätselhafte dieser Musik ist auf jeden Fall heute noch sehr greifbar. Und es ist ja auch bezeichnend, dass Miles zwar mit Bitches Brew kommerziell erfolgreich war, aber bei weitem nicht so sehr wie seine „Schüler“. Das hat ihn sicherlich getroffen. Dafür hat seine Musik eine weitaus größere Langzeitwirkung.
FefIch denke, Miles Davis war von jeher besonders gut darin, Leute in ihrem Gefühl zu erreichen, die keine Jazz-Insider sind. Je nach Perspektive erscheint er somit als Magier oder Verkäufer. Das fängt bereits mit dieser „Cool Jazz“-Biedermeier-Geschichte an. Ich verstehe, wenn jemand seine Fusion man, denn mir ging es auch so, und wahrscheinlich hätte ich sie früher auch verteidigt. Man kann natürlich auch ruhig dabei bleiben und wenn man in seinem Bild nicht verunsichert werden will, dann ignoriert man meinen Beitrag hier am besten.
Miles hat überhaupt keine Verteidigung nötig, es ist komplett lächerlich, das zu versuchen. Die Kritiker, die mit Argumenten wie Ausverkauf hantieren, verraten damit viel mehr über ihre eigenen Beschränkungen als über Miles. Den hätte so etwas gar nicht interessiert. Im Übrigen: Wer seine Musik nicht verkaufen kann, wird nie von ihr leben können. Sich selbst und seine Musik verkaufen zu können, ist die Grundvoraussetzung!
Ich schätze es, verschiedene Perspektiven kennenzulernen und so hörte ich zum Beispiel interessiert auf, als ich Folgendes las: Die Sängerin Betty Carter, die ich seit langem schätze, sagte 1972 über die Fusion Music, man fände darin nichts, über das man reden könnte, weil so viel Sound ablaufe. Es sei bloß Sound.
Musiker erzählen oft Quatsch über andere Musiker, das sollte man nicht allzu ernstnehmen. Gilt übrigens auch für Miles selbst. Dass gerade jemand wie Betty Carter damit überfordert war, glaube ich gerne, aber das sagt echt gar nichts aus.
Wenn man zum Gesichtspunkt kommt, dass diese Fusion-Geschichte eine doch ziemlich begrenzte Sache ist, dann wird man deshalb nicht zu einem „verbitterten alten Mann“ (nail75), sondern damit können sich eine Menge Qualitäten auftun, die man nun bewusster wahrnehmen kann.
Einer deiner zahlreichen Irrtümer. Aus der Geringschätzung von Fusion erwächst nicht, dass man andere Dinge bewusster wahrnehmen kann. Ich kann genauso Louis Armstrong oder Duke Ellington schätzen wie Jack Johnson oder OK Computer. Überhaupt kein Thema.
Er war das Gegenteil von einem Typ wie Von Freeman, der als großer Meister mit einer bescheidenen Existenz im Untergrund und der Freiheit, eine wirklich anspruchsvolle Sache ohne Rücksicht auf den Markt machen zu können, lebte.
Ja, zum Glück! Niemand kennt Von Freeman! Bescheidenheit ist keine Zier als Musiker! Be a motherfucker, go out there and kick ass or live and die in obscurity! (Ich weiß allerdings nichts von Von Freeman)
Davis wollte die Massen und erreichte sie. Ob das gut für seine Musik war, ist fraglich. Wie man das sieht, ist eine Frage der Ansprüche.
Nein, das ist keine Frage der Ansprüche – das bildest du dir nur ein. Man ist kein besserer oder reinerer Künstler, wenn man den Erfolg scheut. Das Ideal vom armen Poeten ist ein Trugbild – die Realität als Künstler mit „bescheidener Existenz im Untergrund“ hat in den seltensten Fällen mit Freiheit zu tun, dafür viel mit Armut und Aussichtslosigkeit. Es sei denn, man hat Geld aus irgendeiner Quelle.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.