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Ich war gestern zum ersten Mal am kleinen Festival Jazz geht Baden im kleinen Städtchen Baden nahe bei Zürich.
Schöne Sache, angenehmes Ambiente, junges Publikum (viele Musikstudenten, glaub ich, oder Schüler, die an Musik interessiert sind). Die Line-Ups der früheren Ausgaben kann man hier sehen.
Gestern spielte zuerst das Duo Paal Nilssen-Love (d) und Ken Vandermark (cl, ts, bari), danach das Quartett von Donny McCaslin (ts) mit Uri Caine (fender rhodes), Tim Lefebvre (elb) und Rudy Royston (d). Ich wäre wohl, wie der Bekannte, den ich getroffen habe, besser in der Pause heim… bin ziemlich ratlos, was McCaslin und Co. betrifft. Unmittelbar nach der Heimkehr habe ich hier versucht, meine Reaktion etwas zu formulieren… die Ratlosigkeit obsiegt jedenfalls. Von Caine war ich nie ein Fan, aber McCaslin ist verdammt gut und gerade darum schmerzt das irgendwie ein klein wenig – aber wie ich schrieb: die vier schienen sich über ihre Musik zu freuen, wer bin ich denn, das alles zu hinterfragen?
Anyway, das gute daran: PNL und VDMK waren in Form, sie stiegen ziemlich laut ein (ts), es ging aber nirgends hin in den ersten paar Minuten, dann wechselte VDMK auf die Instrumente, eine grandiose Klarinetten-Passage folgte, denn Barisax, während Nilssen-Love trommelte wie ein irrer, der Schweiss ihm in Strömen runterlief (es war fast 30°C warm gestern!). Die Musik war komplett aufgelöst, ging melodisch, rhythmisch in alle Richtungen, nichts war sicher, aber dennoch war da immer ein unglaublicher Drive drin, ich bin fast versucht zu sagen: Swing. Das Set war aus einem Guss, auch der anfänglich zwar massive aber doch etwas zögerliche Aufbau machte am Ende Sinn und es war klar, dass die beiden sich in einer Zone befanden. Selbst die Zugabe – leise, verhalten fast, VDMK zurück auf der Klarinette, dem Instrument, auf dem ich ihn am liebsten höre – setzte nochmal nahtlos auf der Höhe an, auf der die beiden am Ende des Sets angekommen waren.
Vandermark gefällt mir langsam jedenfalls richtig gut, schon letztes Jahr mit dem Brötzmann-Tentett war er toll (auch da: die Klarinette!). Vor zehn Jahren, als er der Popstar der Avantgarde-Szene war, hatte ich meine liebe Mühe und habe auch nicht versucht, mir seine Musik gewissermassen selber aufzuzwingen. Jetzt bin ich allerdings an einem Punkt, an de ich grosse Lust habe, sein Werk etwas zu durchforsten.
Wie ich das hier schreibe, läuft die obige neuste Scheibe seines Resonance Ensembles, „What Country Is This“ (Not Two, 2012), die letztes Jahr in Chicago aufgenommen wurde. Zur Band gehören: Magnus Broo (t), Steve Swell (tb), Per-Ake Holmlander (tuba), Dave Rempis (as, ts), Mikolaj Trzaska (as, bcl), Ken Vandermark (bari, cl), Waclaw Zimpel (cl, bcl), Devin Hoff (b), Tim Daisy (d) und Michael Zerang (d).
Sehr tolle Musik – sicher eine Scheibe, die hoch in meiner Jahresbestenliste stehen wird!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba