Re: Jazz-Glossen

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gypsy-tail-wind
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Die nächste Nicht-Debatte… Michael Hornstein, Saxophonist mit einem Track auf einer der renommierten (nicht mein Wort) „Café del Mar“-Compilations diagnostiziert in der gestrigen Süddeutschen (21./22. Januar 2012, Nr. 17, S. 15) eine „Betriebsstörung“ – so der Titel des Artikels – beim deutschen Jazz: er habe keine gesellschaftliche Relevanz mehr und sei an den Ursachen selber schuld.

Ein paar Auszüge und Kommentare:

Es gibt zwei grosse Strümungen im deutschen Jazz: einerseits den unterhaltenden Jazz im Club- und Restaurantbetrieb, andererseits den Jazz, der sich seit den achtziger Jahren als als eine Art moderne Kunstmusik in konzertanten Kontexten zu etablieren versucht. Beide Bereiche werden nicht von den Musikern selbst verwaltet, sondern von Veranstaltern, Redakteuren, Journalisten, Verlegern und – allerdings zu einem immer kleineren Teil – kleinen Labels.

So die Ausgangslage. Aber trifft diese Beobachtung denn zu? Ich bin wohl im Geiste viel zu alt, um zu verstehen, was mit „Club- und Restaurantbetrieb“ gemeint ist (oder zu jung?). Jedenfalls besuche ich gerne irgendwelche Jazzclubs, in denen in konzertantem Rahmen Kunstmusik genossen werden kann. Läden mit Jazz als Muzak kenne ich keine, ein paar Lokale, in denen gelegentlich Barpianisten aufspielen, aber die meide ich nach Möglichkeit.

Aber wie gesagt, ich verstehe hier den Punkt nicht ganz und gehe daher nicht weiter darauf ein. Soviel nur noch, dass Hornstein fortfährt damit, die Überlegenheit des DJ in Club-Settings zu betonen und in der Folge den harten Kampf der Live-Bands um die kleinen Gagen (20-200€ schreibt er) anspricht.

Interessanter ist der nächste Punkt:

Die Verwaltung des Jazz in Deutschland, vor allem im Bereich, in dem er als Kunstmusik oder als eine Form der ernsten Musik funktionieren will, ist in den vergangenen Jahren ständig gewachsen, während die Gagen der Musiker kontinuierlich gefallen sind. Es gibt Jazz-Institute, immer mehr Jazz-Redaktionen und sogar Veranstalter, die Büros mit Angestellten unterhalten.
[…]
Die Einflussnahme auf die Musik durch Redakteure ist heute grösser denn je: Etwas überspitzt gesagt heisst das: Früher liess man die Musiker musizieren, heute müssen sie ihre Projekte erklären, „verkaufen“, besser noch: in Zusammenarbeit mit den „Arbeitgebern“, den Redakteuren und Veranstaltern, erst entwickeln.

Den Punkt finde ich interessant – auch wenn ich nicht weiss, ob es im Detail stimmt, was Hornstein schreibt. Das „verkaufen“ ist bestimmt ein guter Punkt – man höre z.B. Sendungen auf SWR 2, in denen ihre eigenen „New Jazz Sessions“ oder ähnliches präsentiert wird. Da überschlagen sich die Stück-für-Stück-Kommentare und stören oft enorm den Fluss einer Sendung, eines Konzertes, es gibt zuweilen sogar Sendungen, in denen kontinuierliche längere Sets zerschnippelt werden, damit die weisen Herren vor dem Herrn ihre nichtssagenden Kommentare dazwischenreden oder – noch schlimmer, für mich die Todsünde jedes Radiomannes – die Musik runterdrehen und darüberlabern können. Dass gute Musik in den allermeisten Fällen für sich selber stehen kann, auf Erörterungen vermeintlicher (und auch echter) Fachleute nicht angewiesen. Nichts gegen eine gute An- und Abmoderation oder ein kurzes Interview zwischendurch, aber bitte nicht das dauernde Unterbrechen!
Hornstein geht dann einen Dreh weiter und wirft den Jazzredakteuren vor, dass viele ihnen sich selbst erfolglos als Jazzmusiker versucht hätten, gescheitert sind dabei und sich jetzt „in Machtpositionen [kommen], in denen sie die musikalischen Vorstellungen, mit denen sie schon einmal gescheitert sindd, doch noch ausführen lassen können“.
Wieviel davon nun zutrifft, wieviel persönliche Ranküne ist… keine Ahnung (ein gutes Wort aber für Ekkehard Jost und Jürg Solothurnmann, beides erfolgreiche Grenzgänger zwischen der Musiker- und der Krikiker-/Redaktorenkaste).

Die Konsequenz gemäss Hornstein:

Gerade intelligente junge Musiker ahnen, was der Betrieb erwartet und bieten dann genau da: eine vollkommen idiosynkratische Kunstmusik. Und genau hier kommt dann auch noch die Hybris des deutschen Kulturbetriebs dazu, dessen Grundannahme zu sein scheint: Gerade weil diese Musik vom Publikum nicht verstanden und abgelehnt wird, muss sie grosse Kunst sein. In Wirklichkeit ist es eine groove- und humorfreie Musik, die im Grunde niemanden interessiert.

Hornstein fährt mit der Feststellung fort, dass es natürlich „grossartige Beispiele für Jazz als Kunstmusik“ gebe und dann schreibt er: „Grundsätzlich muss für diese Jazzvariante in Sachen Entwicklung, Komposition und Proben auf höchsten Niveau gearbeitet und investiert werden.“ – Und hier regt sich mein Widerspruch, nicht an der Sache, aber am Wörtchen „investiert“, das eigentlich an der Stelle gar nicht notwendig wäre, aber eben doch dasteht. Klar, man kann Kultur als Investment sehen – aber man kann sie auch als grundlegendes Bedürfnis des Menschen betrachten, und da stört mich die ökonisierte Sprache eben ganz gehörig.
Folgerichtig geht’s weiter mit dem Markt, der nach neuen Projekten schreit, was wiederum den Musikern eine natürliche (mein Wort) Weiterntwicklung fast verunmöglicht, denn der Konkurrenzdruck und der organisatorsiche Aufwand sind riesig, davon leben ist aber kaum mehr möglich:

Gut leben können vom Jazz in Detuschland nur Redakteure, Journalisten und Veranstalter. Diese Elite lässt sich von Musikern unterhalten, die ihrerseits wohlsituiert sein müssen, um überhaupt mitspielen zu können.

Nun ja, das liebe Geld…

Weiter geht’s mit dem Hochschulsystem, in dem „meistens nicht Musiker, die erfolgreich waren, sondern vor allem Musiker, die selbst aus dem Hochschulsystem kommen, das aber vom Konzertbetrieb weitgehend abgeschnitten ist“, unterrichten. Das könnten jetzt fast schon meine Worte sein… der Hund beisst sich in den eigenen Schwanz, dabei fällt für eine kleine, oft inzestuöse Elite viel Profit ab, die anderen müssen mitspielen oder fallen raus.

Hornstein beklagt dann auch die fehlende Kommunikation auf diversenen Ebenen: Musiker spielten heute keine dem Publikum vertrauten Songs mehr, es käme daher kaum mehr zu einer Unterhaltung. Zudem interessierten sich Jazzmusiker kaum noch für ihre Kollegen, besuchten kaum Konzerte anderer Musiker und Bands – Fazit:

Eine Szene, die sich nicht einmal für sich selbst interessiert, kann nicht erwarten, dass sich andere für sie interessieren.

Der nächste Punkt – „eine weitere echte Untwucht“ – betrifft die Förderung des Jazz-Betrieb, die derzeit fast nur noch junge Musiker im Blick habe. Mit 40 oder 45 sei man zu alt.

In einem überalternden Land wird Jugendlichkeit zum Mass der Dinge. Der groteske Nebeneffekt: Musiker, die heute um die 50 sind, waren jung, als es out war, jung zu sein – und sie werden alt, zu einem Zeitpunkt, an dem es out ist, alt zu sein.

Dann geht’s langsam auf die Zielgerade:

Der Jazz in Deutschland hat sich seit den frühen neunziger Jahren in seiner Ästhetik und Sprache nicht weiterentwickelt. Die Ansätze, Jazz mit aktueller Clubmusik zu verbinden, werden vom Publikum meist abgelehnt. Die Bemühungen, aus Jazz eine Art improvisierte E-Musik zu machen, folgen nach wie vor entweder der Ästhetik der sechziger Jahre oder versuchen immer noch, explizit mit eben dieser Ästhetik zu brechen, so wie es bereits in den siebziger und achtziger Jahren im Umfeld des Pianisten Keith Jarrett und des Produzenten Manfred Eicher und seines Labels ECM versucht worden ist.

Diesen Versuchen bleibt nur ein ständig schrumpfendes Publikum, da der Jazz ja selbst ewig gestrigen Konzepten folgt. Die meisten Neuerscheinungen sind Rückgriffe auf die Geschichte des Jazz und Aufgüsse des ewig Gleichen, von jüngeren und hübscheren Musikern immer langweiliger nachgespielt. Sie sprechen, aber sie sagen nichts. Es fehlt an klaren Aussagen und Profilen. Das Publikum spürt diese innere Stagnation natürlcih. So wie sich der deutsche Jazz derzeit präsentiert, kann er gar keine gesellschaftliche Relevanz haben.

Starke Worte… in denen bestimmt ein Körnchen Wahrheit liegt.

Dennoch – und das ist wohl der Grund, warum ich mir überhaupt die Mühe mache, diesen Artikel so ausgiebig wiederzugeben und zu kommentieren – bleibt bei mir nach der Lektüre eine ziemlich grosse Ratlosigkeit zurück. Was will Hornstein uns genau sagen? Er selber – ich kenne nichts von ihm, habe zuvor noch nicht mal seinen Namen gehört – scheint sich schon länger ein Grenzgänger zwischen Jazz und Clubmusik zu sein (Hörprobe: Carma von Café del Mar XIV).

Mein Impuls ist jedenfalls das Bedürfnis nach automatischen Waffen, Titten und Bier! Hornstein redet über den Mainstream – ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man heute als Jazzmusiker nicht dazu bereit sein muss, ausserhalb des Bürgerlichen zu leben, wenn man seinen Ideen treu sein will. Da findet sich auch eine grosse Menge interessanter Projekte und Bands – aus Deutschland zum Beispiel von der längst abgewanderten Ingrid Laubröck (deren Konzert der gute Herr vom SWR2 allerdings auch enorm übermässig kommentiert hatte, als sie im Dezember ich Zürich auftrat – ich hatte es erwähnt). Dabei geht es nicht um Major Labels, den trendigen Club-Betrieb der junge Grossstädter anzieht, schon gar nicht um die hehren Hallen der Klassik… es geht auch nicht darum, alte Vorbilder notengetreu nachzuspielen (das machen Wynton und seine Jungs ja bereichts bis zum Umfallen), es geht auch nicht um irgendeinen Verweigerungsgestus, den man Manfred Eicher andichten kann (aber keinesfalls muss).

Ich will nicht behaupten, die deutsche Jazz-Szene sei quicklebendig und voller aktiver, relevanter MusikerInnen – aber einiges spannendes tut sich auf jeden Fall. Das geschieht aber in einem Bereich, den ich bei Hornsteil überhaupt nicht heraushöre, für den er sich anscheinend nicht im geringsten interessiert.
Ich glaube das ist es, was mich an diesem Artikel stört – und was ihn letztlich für mich auch irrelevant macht: Er bleibt komplett innerhalb des Mainstream (die „idiosynkratische Kunstmusik“ höre ich da dann etwa bei Leuten wie Kurt Rosenwinkel, die mich manchmal auch zu Tode langweilen… sowas wird’s in Deutschland ja auch zuhauf geben, nehme ich an).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba