Re: Jazz-Glossen

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gypsy-tail-wind
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vorgartensagt ja auch keiner. das mal so im internetforum klargestellt.;-)

:-)

vorgartenschwierig. punkt des anstoßes ist chinens behauptung eines „left-of-center jazz vector“, womit implizit ein „center“ gesetzt werde (das ist im wesentlichen joe morris‘ punkt). dann kommt die üblichen radikalisierungen innovation vs. interpretation, schreiben vs. spielen, positive beispiele von journalisten gegen die heutigen augespielt, haynes und iyer finden, dass es sowas wie jazz gar nicht gibt, borgmann verteidigt free als haltung gegenüber free als stil, über die AAJ (jazz journalists association) und ihren preis wird gewettert, der randy weston und fred anderson nie berücksichtigt hätte, irgendjemand wird beschuldigt „to s**k wynton’s dick“ usw. wirklich übel persönlich beleidigend wird shipp gegenüber howard mandel, allgemein wird ratliffs coltrane-buch als unsinn bezeichnet und der yuppie-kritik allgemeine profillosigkeit & innovationsblindheit vorgeworfen, die eben einen insgeheimes „center“ des jazz konstruiere.

Danke! Das ist ja schon mal einiges!
Weston und Anderson sind bzw. waren Giganten in my book, das ist klar!

Ich kann mich da jetzt natürlich nicht fundiert äussern, da ich die Debatte nur durch Dich vermittelt kenne – aber zu sagen, „Jazz“ gäbe es nicht ist natürlich Unsinn. Dass das „left-of-center jazz vector“ Attribut der Auslöser ist, dachte ich mir schon bei Deinem ersten Post. Ist ja eigentlich fast niedlich, wenn man sich über sowas dermassen aufregen muss – es zeigt wohl die Schwierigkeit (durchaus auch von Seiten der Musiker – manche tummeln sich ja auch in völlig hilflos-verworrenen Projekten, wenn ich das mal so ohne Namensnennung hinschreiben darf, ich denke konkret momentan an zwei Bands/Projekte, die ich live über mich ergehen lassen musste), das zu fassen, was läuft im aktuellen Jazz, in der improvisierten Musik, in der Free-Szene, wie immer man es nennen will.

Innovation vs. Interpretation ist natürlich alt… aber das eine (also der erste) geht ohne das andere nicht. Niemand fällt als Jakob Hauser-Wiedergänger vom Himmel, Tabula Rasa ist nicht.

Was das Schreiben vs. Spielen betrifft: bezieht sich das auf Schreiben im Sinne von Komponieren oder auf die armen impotenten Schreiberlinge, die eben nur mit der Feder (bzw. dem iPad) umgehen können, aber sonst nichts? Egal, am Ende ist auch das eine eher müssige Debatte. Sobald es einem Kritiker gelingt, Lust zu machen, anzustecken, ist seine Tätigkeit meiner Meinung nach gerechtfertigt. Das mag den kritischen Geistern nicht reichen, klar – die wollen Analyse, detaillierte Auseinandersetzung und – ogott! – Kriterien gar (siehe unten). Klar, wenn ich wissenschaftlich arbeite, dann will ich das auch, aber der Jazzkritier der NYTimes ist ein Journalist, kein… was wär das überhaupt? Musikethnologie heisst das Fach, in dem hier „aussereuropäische“ Musik erforscht wird… sehr schön, der Dschungel sind die NY „left-of-center“ Jazzlokale – und die Musiker, sind sie schon digital natives? ;-)

vorgartenwenn ich chinens text über brötzmann @ visions (LINK) lese, kann ich vieles nachvollziehen: das ist wohlwollend formuliert, bleibt aber prinzipiell oberflächlich skeptisch und kriterienlos (wirft der musik aber wahlweise ökumenisches durcheinander oder orthodoxie vor), ein diffuses beschreiben von willkürlich erfahrenen timbres & moods.

Über den Text würd ich mich nun wirklich nicht aufregen mögen. Das kritischste daran ist wohl der einleitende Abschnitt – und damit hat er wohl recht. Diese Orthodoxie der Avantgarde kann manchmal ganz schön ermüden (das Konzert des Brötzmann Tentet + 1 hier in Zürich im Frühling war diesbezüglich allerings keinen Augenblick gefährdet).

Nochmal zu den Kriterien: die gibt es ja nicht einfach so, vorgefertigt – weder für den Kritiker noch für den Musiker (und ja: die Musikerin ist selten, das ist in der improvisierten, freien Musik nicht viel anders als im Mainstream – pardon, den scheint es nicht zu geben… will man den denn eigentlich totschweigen? Oder gilt das dann auch nicht als Jazz, bzw. das ist noch Jazz, aber was man selbst tut nicht mehr? Was ist mit McCoy Tyner, Ahmad Jamal, Junior Mance? Und wo werden Leute wie David Murray, Oliver Lake, Henry Threadgill, Roscoe Mitchell verortet? Jazz gibt’s nicht?).
Kriterien muss man sich selber erarbeiten, das ist ein langwieriger Prozess, den man als Hörer (und hie und da als Leser) verfolgen und im besten Fall
nachvollziehen kann.

Aber wie gesagt, das ist alles ziemlich in die Luft heraus geschrieben, ohne die Debatte selbst zu kennen (wie muss man sich das denn auf FB vorstellen, eine Art Blog-Eintrag und dann Kommentare dazu?)

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