Re: Jazz-Glossen

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vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

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als ich gestern wieder einmal die wunderschöne PHAROAH’ FIRST, das debüt von sanders auf ESP (über das wir im sanders-thread noch gar nicht gesprochen haben), aufgelegt hatte, bin ich schon wieder beim großartigen klavier hängengeblieben. naja, großartig… nichts passt so richtig zusammen auf diesem album und das großartige ist vielleicht, wie entspannt und atmosphärisch sich diese einheit aus völlig disparaten elementen zusammenfügt. sanders spielt beseelt, mit einem ton, den man eher seiner post-impuls-zeit zuordnet, dazu gibt es eine dünntönige, etwas gequälte, aber auf ihre weise ganz stimmige trompete, eben das besagte coole klavier (nicht evans-cool, eher bley-cool, mit vielen ideen, öffnungen, pausen, raffinierten rhythmen und einem sehr schlagzeugorientierten puls), einen bass, der sich ziemlich vom schlagzeug emanzipiert und einem schlagzeug, das entweder den bass nicht hört oder dem das auch egal ist, ob man da zusammenspielt. es gibt zwei schallplattenseitenlange improvisationen, das erste thema ist sehr ornettish, das zweite konventioneller, hardboppig mit einem modalen, offenen feeling. die session fand im september 1964 statt und allgemein wird sie der – für sanders – zu großen bravheit verdächtigt (al campbell schreibt böse in seiner allmusic-kritik, alles sei für einen dexter gordon hergerichtet, der dann aber leider nicht auftaucht). ich bin sehr glücklich über diese sehr besondere musik, in der jedes solo eine andere geschichte erzählt, in die man eintauchen kann, wenn man ihr wohlgesonnen ist und die was sagt über eine prinzipielle lust von (jazz-)musikern auf situationen, die sich ergeben, die nicht perfekt sind, darin aber genau ihre herausforderung zu sehen.

obwohl ich abgespeichert hatte, dass ich die beteiligten musiker außer sanders alle nicht kenne (stan foster, tp, jane getz, p, william bennett, b, und marvin patillo, dm), bin ich doch mal der spur der pianistin nachgegangen und war überrascht, was ich da fand. getz, 1948 an der westküste geboren, war eine vom jazz begeisterte wunderkind-pianistin, die nach ersten auftritte in san francisco und los angeles mit 16 jahren einen greyhound bestieg und nach new york abhaute, um mit den „big dogs“ zu rennen. quasi sofort kam sie unter die fittiche und in das quartet von pony poindexter, fand eine unmöblierte wohnung in spanish harlem, lernte da ihren nachbarn jerome richardson kennen, der versprach, sich nach jobs für sie umzusehen.

das alles steht in den ersten vorab veröffentlichten kapiteln ihre autobiografie, die man hier, hier und hier nachlesen kann. getz war nämlich mitte der 60er recht umtribig auf sessions in new york und an der westküste, zog sich aber schnell vom jazz zurück, wurde unter dem namen „mother hen“ eine ziemlich erfolgreiche country-musikerin, spielte aber auch mit den bee gees und mitgliedern der beatles, bis sie in den 1990ern wieder zum jazz zurückfand.

jerome richardson jedenfalls verschaffte ihr tatsächlich einen job – und zwar bei charles mingus, der jemanden für ein paar auftritte an der westküste brauchte. am nachmittag also besuchte sie big dog mingus, er gab ihr sein buch mit den aktuellen 20 stücken, sagte ihr, sie solle einfach wie ellington spielen (was sie nicht wollte, sie stand total auf evanshancocktyner) und am nächsten tag mitkommen. dannie richmond nahm sich der eingeschüchterten jane etwas an und es kam zum ersten auftritt, bei dem mingus sie fortwährend anbrüllte und schließlich vor den augen ihrer mutter, die zum konzert gekommen war, vom klavierhocker stieß und ihr zeigte, wie sie spielen solle. am nächsten tag demolierte er während ihres solos die garderobe, um schließlich etwas zu finden, mit dem er ihre pedale festbinden konnte. am ende aber nahm er sie mit ins studio und es kam zu den „Right Now: Live At The Jazz Workshop“ – aufnahmen mit getz, john handy, clifford jordan, mingus & richmond.

hier ein schönes foto, dass jane getz mit dannie richmond zeigt:

am ende von kapitel drei wagt sie nach einem ziemlich bösen poträt von herbie mann ein kleines resümee ihrer prekären existenz in new york:

My rent was due next week. And there was a waiting list a mile long of people who wanted to move into my building. I could be out in the streets in two seconds flat. Feeling destitute and penniless was not something I relished. Maybe I should open a savings account. Then I could pick and choose my gigs as long as I had enough money in the bank. Of course that meant that I would have to stop my impulse buying, which I dug. What about that fringe jacket I had my eye on? I quickly discarded that option. What if I had a boyfriend, like my mom had who paid all the bills and was always forking over cash? Damn! Where did I come up with that one? How disgusting. Anyway who’d want a chick that was always studying Stravinsky scores, notating Bird solos, and was too preoccupied to shave under her arms? That one went into the trash.

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