Re: Jazz-Glossen

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katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

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Da mir kein anderes virtuelles Plätzchen einfällt, ist dieser Post hier vielleicht richtig aufgehoben.
Seitdem ich in New York bin – und natürlich auch schon vorher – mache ich mir ein paar Gedanken über das Vinylkaufen in den guten, alten Recordstores.

Wenn es um Jazz geht, dann hat man in deutschen Läden, wenn sie nicht gerade mitten in einer Großstadt sind, oft das Nachsehen. Das Repertoire beschränkt sich dort meist auf den Jazz der 80er und 90er und wenn man dann mal Bop aus den 50ern und Harbop aus den 60ern findet, dann meist in Nachpressungen, Sonderauflagen deutscher TV-Magazine, oder als italienische Compilations. Man muss also wirklich Glück haben, mal wirklich gute und vor allem rare Scheiben zu Gesicht bekommen. Wenn das dann tatsächlich mal der Fall ist, dann sind diese aber oft überteuert und versuchen, den Preisen auf ebay Konkurrenz zu machen. Ich kann mich bspw. an eine deutsche Stereopressung von Ornette Coleman’s „New York is Now“ erinnern, die für etwa 70-80€ über den Ladentisch gehen sollte.
Nun ja, die Quintessenz ist die, dass man sich freuen muss, wenn man mal eine schöne LP findet, die zwar keine Erstpressung ist, aber sonst nur schwer zu finden ist. (Natürlich gibt es auch Ausnahmen und es gibt wirklich gute und faire Shops; ich kann da nur über meinen Nahraum und ein paar andere Erfahrungen berichten)

Nun habe ich mir gedacht, wenn ich in NYC bin, dann sollte sich das zumindest dahingehend ändern, dass man einige schöne Erstpressungen zu bezahlbaren Preisen finden sollte. Natürlich keine wirklich raren Originalpressungen zu Bargain-Preisen, aber immerhin mal eine schöne Auswahl.
Im Großen und Ganzen hatte ich damit Recht. So finden sich immer wieder schöne Scheiben, die man in Deutschland wohl nie mehr in einem Laden zu Gesicht bekommt (Babs Gonzalez auf Jaro, oder Don Friedman auf Riverside bspw.). Trotzdem ist mir ein bißchen etwas aufgefallen, was der Antrieb für diesen Post ist:

Punkt 1: Bisher hätte ich mich totkaufen können, wenn ich am nahezu kompletten Impulse-Backkatalog interessiert wäre. Von Coltrane und Mingus (und dabei von den häufiger gesehenen wie „Ballads“, hin zu selteneren LPs, wie „Mingus plays Piano“) über Elvin Jones und Yusef Lateef, bis hin zu Scheiben, von deren Existenz ich mitunter noch nicht mal etwas wusste und die man entsprechend wenig zu Hause finden dürfte. So z.B. Beverly Jenkins, Freda Payne, Phil Woods & Iordanis Tsomidis, Gabor Szabo, Chico O’Farrill usw.
Kurz gesagt, es gibt eine Unmenge an Impulse-LP, sowohl in Mono, wie auch in Stereo zu meist sehr fairen Preisen.

Punkt 2: Riverside LPs findet man immer wieder mal, egal ob Stereo oder Mono, meist als originale Deep Groove-Pressungen und das zu wirklich fairen Preisen. Ich kann mich nicht erinnern, in Deutschland jemals eine Dave Pike, Don Friedman, Sam Jones, oder Jazz Brothers LP gesehen zu haben. Einschränkend muss man aber sagen, dass das teilweise rare LPs sind, wenn man den Kauf im physischen Plattenladen als Grundlage nimmt. Viele der bisher gesichteten Scheiben tauchen allerdings durchaus zu vernünftigen Preisen im Internet auf. Wirklich rares Vinyl, wie bspw. „Comin‘ on up“ von Sal Nistico habe ich bislang auch nicht gefunden.
Interessanterweise, das als Anhang, findet man auch ein paar Compilations, oder Platten einer Folk- oder auch Swingserie, die Riverside mit herausgebracht hat. Sonst nie davon gehört.

Punkt 3: Jazzland. Ein sehr schönes, kleines Schwesterlabel von Riverside. Noch fast nie zu Hause gesehen. Hier findet man etliches, wenn auch nicht alles. Meist Stereo, hin und wieder auch Mono, manchmal auch die Neuauflagen von Orpheum. Frank Strozier, Woody Herman, Sonny Rollins, Les Spann, Nat Adderley…alles schon gesehen. Traumhaft!

Punkt 4: Prestige. Im Gegensatz zu Riverside sind originale Prestige Pressungen rar gesäht. Wenn man etwas findet, dann tonnenweise Material von Mose Allison. Oder auch Lockjaw Davis und mitunter Coleman Hawkins und durchaus auch mal eine Reihe an etwas teureren Arnett Cobb Vinyls. Darüberhinaus aber hauptsächlich spätere Pressungen, der 73 und 74er Serien. Das finde ich seltsam.

Punkt 5: New Jazz. Man glaubt es kaum, denn ich habe bisher noch keine einzige (sic!) NJ-Originalpressung gesehen. Ein paar wirklich schöne und sonst durchaus rare Scheiben auf Status, aber keine Originalpressungen.

Punkt 6: Blue Note. BN findet man heutzutage auf ebay. Das liegt wohl daran, dass mittlerweile jedes BN-Release an Wertzuwachs erfährt. Dadurch lohnt es sich für die Händler wohl nicht mehr, BN im Laden zu verkaufen. Man sieht hin und wieder Originalpressungen von Jimmy Smith (ist ja klar) und immer wieder Nachpressungen der Liberty-Ära. Insgesamt sind BN-LPs aber am teuersten und am unfairsten ausgezeichnet. Dafür, dass oftmals der Zustand zu wünschen übrig lässt, verlangen fast alle Händler zu viel Geld.

Punkt 7: Viele der anderen Labels (Pacific Jazz, Savoy, Bethlehem, Epic, usw.) mischen sich mitunter in die Boxen, aber nur selten trifft man eine schöne Originalpressung an. Auch hier lässt oftmals der Zustand zu wünschen übrig, was den Rückschluss nahelegen lässt, dass die besseren Ausgaben den Weg zu ebay finden. Schade.

Was ich mit diesem Post aussagen wollte? Eigentlich wenig. Es sollte nur mal ein kleiner Zustandsbericht sein, der vielleicht auch zu einer Diskussion anregt, warum manches Vinyl gut zu haben ist und anderes nicht. Meine Quintessenz ist jedenfalls, dass die „Verkaufssituation“ nur in wenigen Fällen (Mose Allison als Beispiel) etwas mit der Person zu tun hat. In vielen Fällen ist einfach das Label der Ausschlag dafür, ob dessen Platten noch in Regalen zu finden sind, oder alles sehr teuer über die virtuelle Ladentheke geht.

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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III