Re: Russische Literatur

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canzione

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Die Auferstehung

Ein Mann hat ein Verbrechen begangen: er hat ein Mädchen verführt und diese erste Frau, die er besaß, nicht geheiratet. Die Frau geht zugrunde, der Mann jedoch bereut, er tut das ganz bewußt, nachdem er die wahre Religion gefunden, sein Leben umgestaltet hat und auferstanden ist. So sieht die logisch begründete Idee aus.
Aber der Frühling, in dem Nechljudow Katjuscha geliebt hat, ist schöner als die Auferstehung, derzufolge Nechljudow, der immer noch schöne, doch bereits füllige und selbstzufriedene Mann, bereut und über seine Reue gerührt ist.
Die Geschichte der Liebe erweist sich als stärker als die Geschichte der Reue.

Der Roman „Auferstehung“ entstand 1889-1890. 1895-1896, 1898-1899, das heißt mit Unterbrechungen innerhalb von drei Jahren.
Ursprünglich lautete sein Titel „Eine Koni-Novelle“, denn im Juni 1897 erzählte A.F. Koni in Tolstois Gegenwart von einem Geschworenen, der während einer Gerichtsverhandlung in der des Diebstahls angeklagten Prostituierten die Frau wiedererkannte, die er einst verführt hatte. Die Frau hieß mit Nachnamen Oni, war eine Dirne billigsten Ranges, von Krankheit verunstaltet. Der junge Mann bat um Sprecherlaubnis; man brachte die Frau aus dem Karzer: sie war ein tief gesunkener Mensch.
Jedoch hatte der Verführer sie einst geliebt, er faßte den Entschluß sie zu ehelichen, und bemühte sich darum. Seine große Tat blieb unvollendet: die Frau starb im Gefängnis.
Eine solche Situation ist tragisch, sie enthüllt das Wesen der Prostitution und erinnert entfernt an Maupassants Novelle „Le port“, Tolstois liebste Erzählung, die er übersetzte und mit dem Titel „Francoise“ versah. Ein Matrose geht nach großer Fahrt an Land, findet im Hafen ein Bordell, nimmt sich eine Frau und erkennt in ihr erst als sie beginnt, ihn auszufragen, ob er auf See einen bestimmten Matrosen getroffen habe, und ihm ihren Namen nennt, seine Schwester. Tolstoi fand Interesse an der Situation: Er bat Koni, ein kleines Buch für den Verlag „Posrednik“ zu schreiben. Koni versprach es und tat es nicht.
Einige Zeit später bat Tolstoi ihn, ihm das Thema zu überlassen.
Er begann die Lebenslage als Konflikt zu gestalten, das Werk kostete mehrere Jahre schriftstellerischer Arbeit und elf Jahre Nachdenken.
Zunächst war Tolstoi tief beeindruckt von der Entschlußkraft, die der junge Mensch aufbrachte, um seine Schuld zu sühnen. Der Held des Romans sollte ein Tolstianer werden.
Bemerkenswert ist, daß Tolstoi in keinem seiner Werke (ausgenommen das unvollendete schwache Theaterstück „Und das Licht leuchtet in der Finsternis“) einen Tolstoianer gezeichnet hat.

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