Re: Jazz Reissues

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vorgarten

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gypsy tail wind
Wenn Du zum Alice C-Twofer mal mehr schreiben magst würd ich mich freuen!

läuft bei mir gerade rauf und runter – es gibt aber auch tage, da könnte ich sowas gar nicht hören.

alice coltrane hat ja nach dem tod von john sieben alben für impulse aufnehmen können, vier in trio-besetzungen mit gastauftritten von saxophonisten, die drei letzten mit zusätzlichem streichorchester. der twofer hier bildet beide „phasen“ ab: HUNTINGTON ASHRAM MONASTERY ist sozusagen stripped to the basics, trio ohne schnickschnack, 3 stücke mit harfe, drei mit klavier. WORLD GALAXY (schon der titel führt – gelinde gesagt – in andere dimensionen) hat 16 streicher, einen soloviolinisten, den saxophonisten frank lowe auf seiner ersten aufnahme, eine frau an der kesselpauke, weitere perkussions- und saiteninstrumente und john coltranes guru, der etwas über frieden und liebe einspricht.

das trio auf HUNTINGTON ist ausgesprochen originell: coltrane spielt mit ron carter und rashied ali zusammen (bei ihrem solo-debüt A MONASTIC TRIO zuvor saß ben riley am schlagzeug). alice coltrane spendiert dem bassisten in den liner notes extralob – es ist auch ziemlich phänomenal, wie er den sound der harfe mit dem bass kommentiert und aufgreift, ohne jegliche langeweile vamps spielt und sich dabei von rashied ali überhaupt nicht beeindrucken lässt. der wiederum spielt eigentlich ständig – bei aller reduktion – in zwei verschiedene richtungen, beschleunigend auf den becken, verschleppend auf der snare. so richtig habe ich nie verstanden, wie er das macht und wie er dabei (anders als der andere multidirektionale drummer sunny murray) dabei noch für drive & coolness sorgt.
das harfenspiel von alice ist ja schon sehr speziell (ihr klavier- und wurlitzer-spiel allerdings auch). zu den hinstorischen ignoranten und kritikern (leroi jones usw.) sind ja mittlerweile mehr und mehr bewunderer hinzugekommen. es mehren sich die referenzen an ihr spiel sowohl im jazz (clare coopers band „hammeriver“ ist eine direkte weiterentwicklung), im hiphop (nicht nur durch ihren großneffen flying lotus), sondern auch in der popmusik (radiohead) und vor allem bei den drone-heavy-metal-bands: von SUNN o))) gibt es ein stück namens „alice“, auf dem – wenn ich mich richtig erinnere – auch julian proester mitspielt. das alles hat die jungs vom destination-out-blog mal zu der frage veranlasst, ob man im lincoln center nicht viel besser alice-coltrane- als count-basie-programme vorstellen sollte, um ein jüngeres publikum für jazz zu interessieren.

wie auch immer – was alice da spielt, ist alles andere als reduziert, man könnte es durchaus „üppig“ nennen – wären da nicht diese gegenläufige bassfiguren, die immer wieder spitzen setzen, die grundton-harmonie stören, manchmal fast umkippen lassen. und das macht sie auf all ihren drei instrumenten. die vamps auf HUNTINGTON sind großartig, aber auch ein abstrakter blues ist wieder dabei (mein liebling in der richtung ist ja TURIYA AND RAMAKRISHNA vom folgealbum PTAH THE EL DAOUD), er schließt hier das album ab (und heißt JAYA JAYA RAMA).

der streicherexzess auf WORLD GALAXY ist ebenso ein genaues hinhören wert. mir gefallen zwar die wirklich beißenden arrangements von ornette coleman auf UNIVERSAL CONSCIOUSNESS besser, aber auch hier breitet sich ein in sich komplexer teppich über der rhythm section aus, der in der entwicklung zwar wenig spannend, in sich aber ganz viel spannung hat. die fünf stücke hier gehen suite-artig ineinander über, mit der wirklich unglaublichen, fast außerirdisch schönen rubatoballade GALAXY IN TURIYA als mittelpunkt. frank lowe setzt zwischendurch immer wieder kurze spitzen, die aber nicht wirklich aus dem konzept fallen. ganz großartig funktioniert die idee, die suite mit zwei john-coltrane-signature-tunes einzurahmen, MY FAVORITE THINGS und A LOVE SUPREME. zu letzterem spielt ben riley (gerade hat man den segen des gurus empfangen) einen quasi-hiphop-beat und alice ein sophisticated funk-solo auf ihrer orgel, das irgendwie respektlos und zwingend zugleich ist.

ein sehr eigenwilliger beitrag zur jazzgeschichte, auch wenn die soundqualität auf beiden aufnahmen etwas grenzwertig ist. vor allem die übersteuerungen in den trioaufnahmen leuchten mir nicht ein und ich weiß nicht, ob das nur bei der wiederveröffentlichung auftaucht. coltrane hat ja vieles zuhause aufgenommen, was nicht wirklich optimal klingt – aber irgendwie klingt hier alles korrekt heraushörbar (also im detail stimmts), aber im ganzen eben übersteuert. wirklich trüben kann das den genuss allerdings nicht.

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