Re: Prince – 20TEN

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joachim-hentschel

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Jetzt ist es offiziell: „20TEN“ wird am 22. Juli als CD-Beilage der Augustausgabe des ROLLING STONE veröffentlicht.

Und da wir auch schon reinhören durften, hier mal ein erstes Urteil:

WAS ERWARTET UNS AUF „20TEN“?

Das neue Album ist ein Grund zur Freude für alle, die das eher minimalistische „MPLSound“-Kapitel auf der 3-CD-Box „LotusFlow3r“ vom letzten Jahr liebten: Mit Analog-Synthesizern, drahtigen Gitarren-Licks und den Sounds des guten alten LinnDrum-Schlagzeugcomputers kehrt Prince auf „20TEN“ endgültig zum tighten Elektrofunk-Spirit der frühen Jahre zurück, bringt trocken groovende Party- und Kopfnickersongs, lippenleckende Soulballaden, ohne sich dabei selbst zu kopieren oder anzubiedern. Entsprechend geht es in den Songs nicht nur um Heilslehre und Weltrettung, sondern auch wieder um die fleischlichen Aspekte der Liebe. Sein bestes, konsequentestes Album seit der „Love Symbol“-Platte von 1992? Aber sicher.

Die zehn Songs im Kurzüberblick:

„Compassion“
Ein straighter Beat, ein Keyboard-Stakkato, ein durch die Stereokanäle wanderndes Gitarrenfauchen – von der ersten Sekunde an leuchten die lila Scheinwerfer, stehen wir mitten auf der Tanzfläche im Prince-Hauptquartier. Mit der Gospel-Pop-Party-Ode ans menschliche Mitgefühl stellt der Meister uns auch den dreiköpfigen Damenchor vor, der mit ihm durch die Platte führt: Shelby J, Liv Warfield und Elisa Fiorillo.

„Beginning Endlessly“
Dieses eingängige, resolute Synth-Riff riecht nach frischem Haarspray und Lederhandschuhen. Prince leckt dem Hörer förmlich das Ohr, diesmal im Duett mit sich selbst, in einem sleazy Sprechgesang: „Come on, darling, let’s get down to the beginning endlessly!“ Was für eine Art von universeller Erleuchtung er hier predigt, merkt man schnell.

„Future Soul Song“
Ein enger Verwandter des klassischen „The Beautiful Ones“: In diesem Schaumbad-Soul zeigt sich Prince erst als echter Crooner, jubelt entrückt „Sha-la-la“ im Refrain, bis er am Ende doch noch richtig aus der Haut fährt, maunzt und kreischt, während Gitarre und Engelschor himmelwärts streben.

„Sticky Like Glue“
Ein schwer anzüglicher Fünf-Minuten-Hüftschwung, mit wenig mehr am Leib als einem klaren Beat, ein paar schmatzenden Basslinien, einer funky Gitarre. Prince zieht alle Register, balzt in jeder denkbaren Tonlage und im Wechselgesang mit sich selbst, wirft sogar einen Rap ein, in dem er von einem sehr speziellen Kinobesuch erzählt.

„Lavaux“
Da freut sich die Tourismusbranche: Prince versprüht Fernweh, preist zum jubelnden „1999“-Keyboard die Schönheit der Weinberge im Schweizer Lavaux und der Straßen Portugals. Klingt albern, ist aber ein Song über Visionen und Freiheitsdrang: „Life back home depresses me/ Just another form of slavery.” Die Handclaps klatschen wie Ohrfeigen.

„Act Of God“
Das geht los wie ein Stromschlag, tritt zu wie ein samtverkleideter Stiefel: Prince verliert keine Sekunde, erklärt in drei Minuten Wirtschaftskrise und Irakkrieg, lässt sich von seinen drei Musen die Stichwörter zuwerfen, während der Groove tiefrote Funken aus dem Boden haut. Hoch elektrisch und rough, auch noch mit gereckter Freiheitsfaust: „The ones who say No make history!” Absolutes Hammerstück, Höhepunkt des Albums.

„Walk In Sand“
Jetzt wird das Sternenlicht angeknipst: ein schmeichelnder Showstopper, Prince als Samtpfötchen mit Falsett am Klavier, ausnahmsweise sogar echte Drums und Live-Band-Feel. Botschaft und Melodie sind simpel und schön: „Nothing’s better than to walk in sand hand in hand with you.“ So wundervoll kann Kitsch sein.

„Sea Of Everything“
Ohne Pause geht’s weiter, nebenan im Separee: In dieser coolen Schlafzimmerballade geht Prince in den Nahkampf, als ob er nur mit seiner Stimme jede einzelne Körperregion der besagten Dame erreichen wolle. „Will you still feel the same when the spotlight fades?” sinniert er – ganz ohne ein wenig lebensweise Reflexion will er heute keinen Sex mehr.

„Everybody Loves Me“
Zum Ende noch der Mitsing-Rock’n’Roll-Stomp mit Boogie-Woogie-Piano-Breaks und mindestens zwei Jahre Feelgood-Garantie: „Tonight I love everybody, everybody loves me“. Womit Prince natürlich nicht sich selbst meint – eher den selbstbewussten Geist, der auf dem Dancefloor jeden zum Star macht. Kann man schon nach den ersten 30 Sekunden mitsingen.

Der unbetitelte Bonus-Track
In einem früheren Entwurf des Tracklistings war das der Eröffnungssong von „20TEN“ – nun hängt er anonym am Ende, obwohl Prince sich und seine Heimatstadt Minneapolis hier im Hip-Hop-Style und mit erfreulich klaren Worten vorstellt: „From the heart of Minnesota, here come the purple Yoda!“ Ein harter Track, die Prince-Version von modernem R&B. Und vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, was uns demnächst auf der Nachfolge-Platte erwarten wird…

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"Käpt'n, ich glaube, wir bekommen Besuch!"