Re: Avantgarde: Trompete

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redbeansandrice

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Tomasz Stanko – Leosia/Dark Eyes

so ich hab jetzt mal Leosia von Stanko (1996, Bobo Stenso, Anders Jormin, Tony Oxley – kein früher Stanko also, erst mein dritter Hörduchgang insgesamt) gegen die Dark Eyes gehört… ich nehme an, man kann die meisten von clasjazz gegen Dark Eyes geäußerten Bedenken auch gegen Leosia vorbringen – mir hat das Album aber erheblich besser gefallen. Bobo Stensons Klavier fand ich anderswo auch schon sehr schön, hier zieht er die Sache gelegentlich ins belanglose, er ist sparsam aber auch sehr simpel; und man ist sanft geneigt, den „ECM-Sound“ auf dem Album im wesentlichen in seine Schuhe zu schieben… er pausiert aber genug um mich zu folgender Schlussfolgerung kommen zu lassen: Als Trio Stanko/Jormin/Oxley hätte das Album beliebig großartig werden können! Und auch so ist es noch wirklich schön, und dabei viel abwechslungsreicher als ich erwartet hätte… grad Tony Oxley, den ich noch vergleichsweise schlecht kenne, erweist sich als wunderbar rumpeliger Begleiter… bei Dark Eyes kann ich mich clasjazz nur anschließen – das ist fast schon Fahrstuhlmusik mit Fusion-haften Qualitäten, wenn ich grad nicht aufpasse, dann wipp ich gelegentlich mit dem Fuss mit, aber insgesamt schon eher ein doofes Album, die Offenheit, die auf Leosia zu hören ist, ist hier ziemlich verschwunden, Stanko hält sich auch viel mehr zurück – auf Leosia ist er vielleicht nicht grad Avantgarde, aber er zieht doch sehr viele verschiedene Register – die Band ist unflexibler und einförmiger…

Enrico Rava – Il Giro Del Giorno in 80 Mondi Il Giro Del Giorno in 80 Mondi

Enrico Rava – Trumpet
Bruce Johnson – Guitar
Marcello Melis – Bass
Chip White – Drums

Ravas Debutalbum für Black Saint von 1972. Freier Bossanova Funk? so einfach kann man es sich mit der Einordnung wohl nicht machen, jedenfalls vom ersten Eindruck ein großartiges Album; das Grinsen, dass sich nach etwa 10 Sekunden einstellte ist bis zum Ende nicht mehr wirklich weggegangen… sicherlich ist auch hier irgendwie eine Fusion-Basis in der Musik, aber einer sehr eigenwillige; da ist nichts vom üblichen glattgebügelten Fusionsound; zum Teil macht das sicherlich die sparsame Besetzung mit nur Gitarre, Bass und Schlagzeug in der Rhythmusgruppe… die Band hat fast eine Art Garagenqualität… aber es hilft auch sehr, das die Basis im freieren Jazz liegt, und dass neben den „üblichen“ Einflüssen lateinamerikanische Rhythmen, Funk und Folklore zu einem überraschend organischen ganzen verschmolzen sind… wieviel Miles Davis hierin zu hören ist, muss jeder selber wissen, ist jedenfalls ein sehr sehr lohnendes Album (auch wenn ich meine Zweifel hab, ob es clasjazz gefallen wird… :-) )

Das Album ist teil des neuen (günstigen!) 5CD Sets mit Ravas Black Saint und Soul Note Alben, man kann es auf der Seite des Labels komplett anhören (link)

Enrico Rava – The pilgrim and the stars

Enrico Rava – Trumpet
John Abercrombie – Guitar
Palle Danielson – Bass
Jon Christensen – Drums

Ravas drittes (?) Album von 1975, diesmal für ECM, und witzigerweise hört man das auch schon nach wenigen Sekunden… liegt sicherlich zu einem großen Teil an Abercrombies Gitarre, dass das so ist; die Musik hat 200 Prozent weniger Humor (ist natürlich immer noch welcher übrig), ist sehr viel mehr auf atmosphärisches Meisterwerk angelegt… Funk- und Rockreferenzen kann man auch hier noch hören, keine Frage… trotzdem ist die Musik ganz erheblich weniger lebendig, Rava klingt einfach ein bißchen eingeschränkter… das soll nicht heißen, dass das hier eins der verschnarchten ECM Alben ist, die Rhythmusgruppe ist wunderbar agil, neben Abercrombie gefällt mir vor allem Jon Christensen ausgesprochen gut, und was Momente von „purer Schönheit“ betrifft, mag Pilgrim and The Stars die Nase vorn haben gegenüber Giorno in 80 Mondi…

unterm Strich zwei wunderbar komplementäre Alben, kein Free Jazz, grad auch nicht von Rava her, aber sicherlich auch keine eingeschlafenen Füße, vorerst ****1/2 für Giorno in 80 Mondi und **** für Pilgrim and the Stars

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