Re: ROLLING STONE Januar 2010

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sonic-juice
Moderator

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Licht und Schatten liegen für mich im aktuellen Heft ziemlich nah beieinander. Einige Eindrücke:

Danke für die Tocotronic-Titelstory „Deutschlands beste Band“ – yes! -, die sich hinter dem SPEX-Artikel keineswegs verstecken muss und viel Appetit auf das neue Album macht; für das informative Madonna-Interview, das nach all dem Kabbala-, Adoptions- und Scheidungsquatsch, auf den sich nicht nur die Klatschblätter eingeschossen haben, angenehm werkkonzentriert bleibt und sehr plastisch herausstellt, warum sie eine solche bedeutende und nach wie vor faszinierende Künstlerin ist, die viel zu erzählen hat, wenn man nur die richtigen Fragen stellt; für den Artikel über Ellroy,mit dem ich mich zuvor noch nicht beschäftigt habe; ganz besonders für die Würdigung des „Alten Meisters“ Curtis Mayfield durch Klaus Walter, die idealtypisch vorführt, welchen eigenständigen Beitrag der deutsche Rolling Stone zur Aufarbeitung und Veranschaulichung der Popgeschichte leisten kann, wenn er einen Autor gewinnt, bei dem Informiertheit, Leidenschaft, attitude, Glaubwürdigkeit und Schreibtalent (insbesondere auch die Bewusst- und Nutzbarmachung der subjektiven Autorenperspektive) so ideal zusammenkommen wie bei Walter – mehr davon!; für Frank Schäfers Rezension der Them Crooked Vultures-Platte, die zwar nicht unbedingt Lust auf die Musik macht, aber ein Lesevergnügen war; schließlich auch die Konzertberichte zu Van Dyke Parks und The Specials.

– Ansonsten erscheinen mir große Strecken des Heftes erstaunlich lust-, geist- und ambitionslos, das fängt noch recht harmlos an mit „my typewriter“ (wenn innerhalb von 4 Wochen nichts kommentierwürdigeres gefunden wird als die Cliffhanger-Technik von SPON sollte man die Kolummne vielleicht einstellen), erreicht aber einen Tiefpunkt mit dem „Rückblick auf das Jahrzehnt“, der mich offen gesagt ziemlich fassungslos macht: kann es wirklich sein, dass die Rolling Stone-Redaktion die Nuller-Jahre mit Artikeln über Springsteen, U2 (wo bleiben The Rolling Stones, Dylan, Neil Young und McCartney, die doch mindestens so prägend waren für die musikalischen Innovationen der Dekade), Ohrenstöpsel, Coaching-TV, Mobiltelefone, Google und irgendwelche Tennishelden würdig repräsentiert sieht? Nicht nur die Artikel von Bauerfeind und Thadeusz hätten vermutlich selbst „Mobil“ oder „TV Spielfilm“ wegen Irrelevanz, Uninspiriertheit und Zeilenschinderei abgelehnt, das gesamte Dekaden-Special scheint vornehmlich flott und „aus dem Bauch heraus“ konzipiert und geschrieben worden zu sein, ihm fehlt es von vorne bis hinten an Reflektiertheit, Inspiration und klugen Gedanken, erschreckend ist nicht nur die banale, nahezu willkürliche Auswahl der musikalischen Kronzeugen fürs Jahrzehnt (auch die Nähkästchen-Plaudereien von Robert Foster und das naive New York-Gechatte von Julian Casablancas müssen in einer solchen Rückschau keinen Platz haben) und nahezu vollständige Missachtung kultureller Trends und Entwicklungen in den Bereichen Film, Fernsehen, Kunst, Literatur und sogar Popmusik, insbesondere auch die völlige Abwesenheit von relevanten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Betrachtungen; das Magazin scheint sich von der Ambition, auch politisch und gesellschaftlich aussagekräftige Ansichten und Recherchen zu veröffentlichen und sich hierbei um intelligente, unangepasste, originelle Köpfe zu bemühen, gänzlich verabschiedet zu haben – oder ist die lausige Dekaden-Revue am Ende gar ein verstecktes Fuck You! der alten Chefredaktion?

– Einige Petitessen noch: Die jeweils links oben genannten Rubriken ergeben über weite Strecken keinen Sinn: warum firmiert James Cameron unter „Musik“, Final Fantasy unter „Kultur“ (ist Musik keine Kultur und warum ist Final Fantasy keine Musik?), Coen Brothers und Spike Jonze wiederum unter „Kultur“, die Filmbesprechungen aber unter „Leinwand“, Bücherrezensionen unter „Kulturgut“ (sind Filme und Platten kein Kulturgut?) und die Vorstellung des Autoren David Schalko unter „Gute Literatur“ (handelt es sich bei Adam Haslett und „Printpop“ also um schlechte Literatur?).
Die „HighTechToys“-Rubrik halte ich nach wie vor für überflüssig, da keinerlei nachvollziehbare Testkritierien genannt werden und es sich offenbar eher um einen Werbeblock handelt.
Und schließlich könnte sich Wolfgang Doebeling ja Arne Willander noch mal zur Brust nehmen und ihm erläutern, dass es sich die Zeile „from Hank to Hendrix“ auf Hank Williams, nicht Hank Marvin bezieht (die Diskussion hatten wir hier im Forum ja schon mal, vielleicht sollte Herr Willander doch ab und zu mal reinschauen).

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